Deutsche Nahost-Politik

Handel statt Wandel

Kritik musste sich der syrische Präsident Assad in Berlin nicht gefallen lassen. Deutschland intensiviert lieber seine Wirtschaftsbeziehungen zu einem der schärfsten Gegner Israels.

In Frankreich demonstrierten Ende Juni 8 000 Menschen gegen den Staatsbesuch des syrischen Präsidenten Bachar Al-Assad. Sie kritisierten die antisemitischen Ausfälle des »Sohnes des Löwen«, Pariser Stadtverordnete bezeichneten ihn als »unerwünscht«. In Berlin dagegen nahmen letzte Woche nicht einmal 200 Demonstranten an der von jüdischen Organisationen initiierten Demonstration gegen den Besuch Assads teil. Vor dem Hotel Adlon konnten arabische Unterstützer des Präsidenten sogar antisemitische Parolen skandieren. Die Bundesregierung indes suchte den »kritischen Dialog« mit dem Regime.

Seitdem Syrien nach dem Tode Hafiz Al-Assads im letzten Jahr seine Politik des strikten Wirtschaftsisolationismus aufgegeben hat, nährt Bashar Al-Assad die Hoffnungen auf einen stärkeren europäischen Einfluss im Nahen Osten. Neben Frankreich, das gerade seine ehemaligen Kolonialbeziehungen zur arabischen Welt reaktiviert, drängt vor allem Deutschland auf den dortigen Markt. Im Oktober vergangenen Jahres war es Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als erster westlicher Staatsmann dem neuen syrischen Präsidenten einen offiziellen Besuch abstattete und den »kritischen Dialog« begann. Schröder stundete der syrischen Regierung alte Schulden in Höhe von rund 2,5 Milliarden Mark und versprach einen Ausbau der Entwicklungshilfe. Im Gegenzug stellte die importabhängige syrische Staatswirtschaft sich auf deutsche Produkte ein. Deutschland wurde zum wichtigsten Lieferanten und verschaffte der Staatselite seitdem über drei Milliarden Mark an Einnahmen, ohne die das wirtschaftlich marode Regime kaum überlebensfähig wäre.

So verwundert es nicht, dass Gerhard Schröder in der letzten Woche den »Reformprozess« in Syrien lobte. Unter deutschem Wirtschaftsdiktat hat eine schrittweise Privatisierung der Staatsökonomie eingesetzt. Angestrebt wird eine Freihandelszone mit der Europäischen Union, die aber zumindest formale Reformen voraussetzte, von denen das syrische Regime weit entfernt ist. Denn weder wurde die versprochene Aufhebung der rigiden Pressezensur, noch eine Reform der Polizei und der Justiz eingeleitet. In keinem anderen Land, klagt Amnesty International, säßen derart viele Gefangene ohne jedes richterliche Urteil über Jahre in Gefängnissen, wo Erniedrigung und Folter zum Alltag gehörten. Eines der bekannteren Opfer syrischer Herrschaftspraxis war der Kurde Hussein Daoud, der nach seiner Abschiebung aus Deutschland im Dezember letzten Jahres von syrischen Sicherheitskräften umgebracht wurde.

Assads Herrschaft fußt nach wie vor auf der brutalen Unterdrückung jeglicher Opposition. Zum Inbegriff dieses Regimes wurde die nordsyrische Stadt Hama, die Assads Vater nach Aufständen sunnitischer Muslime 1982 bombardieren ließ. 20 000 Menschen starben bei dem Angriff, die Innenstadt wurde vollständig zerstört.

Ganz im Sinne des »kritischen Dialogs« empfahl Außenminister Joseph Fischer anlässlich des Staatsbesuchs lediglich, »die Rhetorik in der Region sollte geändert werden«. Mit Rhetorik sind jene antisemitischen Ausfälle gemeint, die in Frankreich beinahe zur Absage des Besuchs geführt hätten. So erklärte Assad dem Papst während seiner Reise nach Syrien im Mai, dass »die Juden alle Prinzipien aller Religionen verletzen, genauso wie sie Jesus verraten haben und versucht haben, den Propheten Mohammed zu töten«. Wenig später erläuterte er dem spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar in Madrid, »der Rassismus der Israelis« übertreffe den Nationalsozialismus.

Schon sein Vater wollte sich mit antisemitischen Parolen zum Führer des arabischen Nationalismus aufschwingen. Unter der Herrschaft des Sohnes werden sie nun zum ideologischen Kernbestand der syrischen Politik. Nur wenige Tage vor seiner Ankunft in Deutschland wurde bekannt, dass Assad internationalen Holocaust-Leugnern persönlich die Erlaubnis erteilt hatte, eine Konferenz in Damaskus abzuhalten. Unter ihnen befindet sich auch der notorische Antisemit Roger Garaudy, der 1998 in Paris zu neun Monaten Haft verurteilt wurde. Die Konferenz dürfte auf großen Anklang stoßen bei der kleinen, aber erlesenen deutschen Exilgemeinde in Damaskus. Syrien war eines jener Länder, das deutschen Kriegsverbrechern Unterschlupf gewährte, darunter auch Alois Brunner, dem ehemaligen Vertrauten Adolf Eichmanns. Er wurde Mitte der achtziger Jahre von einem deutschen Reporter in der syrischen Hafenstadt Lattakiya entdeckt. Brunner ist verantwortlich für die Deportation tausender Juden aus Deutschland, Frankreich und Griechenland.

Dass Antisemiten wie Assad in Berlin empfangen werden, damit ein »kritischer Dialog« mit ihnen geführt werden kann, passt ins Bild der europäischen und deutschen Nahost-Politik. Kritisch steht die Bundesregierung bestenfalls dem Friedensprozess gegenüber, während sie Assads Regime kameradschaftliches Verständnis entgegenbringt. »Gerade wir Deutschen wissen, wie schwierig der Weg der Versöhnung ist«, erklärte Gerhard Schröder bei seinem Besuch in Damaskus.

Dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon gab Schröder in der Woche zuvor bei dessen Besuch in Berlin nur gute Ratschläge, »denn mehr als einen Rat können wir nicht geben«. (Jungle World, 29/01) Dagegen bot die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, dem syrischen Staatsgast einen »Wandel durch Zusammenarbeit« an und ganz konkret die Freigabe von Hermes-Bürgschaften.

Zum Dank hielt sich Assad in Berlin merklich zurück und bezeichnete den Nahost-Konflikt lediglich als einen Kampf zwischen »den israelischen Regierungen, die in Richtung Krieg drängen, und den arabischen Ländern, die alles in ihrer Kraft Stehende tun, um diesen Krieg nicht vom Zaun zu brechen«. Wie ernst es seiner Regierung damit ist, zeigte sie erst kürzlich mit dem Test einer Scud-Kurzstreckenrakete mit nachinstalliertem Trägerkopf für chemische Kampfstoffe, der in Israel für Aufregung sorgte. Auch Syriens Militär, das jährlich rund sechs Milliarden Mark verschlingt, lebt vom deutschem Außenhandel.

So blieb es der »antiarabischen Lobby«, wie Jürgen Möllemanns Deutsch-Arabische-Gesellschaft (DAG) raunte, überlassen, gegen den Besuch Assads zu demonstrieren. Beate Klarsfeld etwa, die sich im Namen der Organisation »Söhne und Töchter der aus Frankreich deportierten Juden« seit Jahren für die Auslieferung Alois Brunners einsetzt. Bei Berliner Behörden stieß ihr Engagement allerdings auf Ablehnung. Mit der Begründung, sie beleidige einen ausländischen Staatsgast, entwendete ihr die Polizei ein Transparent, auf dem Assad mit Goebbels verglichen wurde. Auch Möllemanns DAG war dieser Protest zu viel. In einer Presseerklärung beschwerte sich die Vertreterin deutscher Kapitalinteressen im Nahen Osten über »double standards« im Umgang mit Israel. »Was wäre wohl passiert«, fragte Möllemann, »wenn ich Ariel Sharon in Anzeigen mit seiner Rolle bei den Massakern von Sabra und Shatila, mit seinem die Gewalt bewusst entfachenden Besuch auf dem Tempelberg konfrontiert hätte?« Leider gar nichts.