Unruhen in Bradford

Verlorene Gebiete

Nach den Krawallen von Bradford setzt die Labour-Regierung verstärkt auf Law and Order. Eine lokale Studie hingegen fordert das Ende der sozialen und rassistischen Benachteiligung.

Die Straßenschlachten in der nordenglischen Stadt Bradford stellen einen neuen Höhepunkt in einer Reihe von Auseinandersetzungen dar, die in den vergangenen Monaten bereits die umliegenden Städte Oldham und Burnley erschütterten. Am vorletzten Wochenende und an den folgenden Tagen lieferten sich vor allem Jugendliche aus den verarmten asiatischen Communities Straßenschlachten mit der Polizei. Stundenlang flogen Steine und Molotow Cocktails, Geschäfte wurden demoliert, Autos und Gebäude und ein BMW-Ausstellungshaus in Brand gesetzt. Das Foto eines ebenso brandneuen wie ausgebrannten Mini, in fast allen Medien veröffentlicht, scheint für die englische Öffentlichkeit besonders schmerzhaft gewesen zu sein.

Die Gewissheit, dass an jenem Wochenende etwas geschehen würde, lag in der Luft. Die faschistische National Front (NF) plante einen ihrer Aufmärsche, die Anti-Nazi League (ANL) hatte zur Gegendemonstration gerufen und das Feuerwerk zum Abschluss des lokalen Stadtfestivals war in weiser Voraussicht bereits am Vorabend abgebrannt worden.

Der Naziaufmarsch wurde verboten und die Polizei versuchte vergeblich, die verstreuten Nazis von der Stadt fern zu halten. Die antifaschistische Gegendemonstration verlief friedlich. Erst als Hooligans rassistische Parolen skandierten und vor einigen Pubs asiatische Anwohner attackierten, begannen die Riots.

Auch Nick Griffin, der Führer der rechtsextremen British National Party (BNP), war am Vorabend in der Stadt, um seinen Anhängern den BNP-Kandidaten für Bradford-Nord vorzustellen, wo die Partei bei den Parlamentswahlen im Juni 4,6 Prozent der Stimmen erhielt. Seitdem rassistische Gangs in Oldham asiatische Wohnviertel überfielen, sind rechtsextreme Provokationen fester Bestandteil der Ausschreitungen, die von der britischen Presse immer noch einhellig als »Rassenunruhen« bezeichnet werden. Im Juni begrüßte ein Sprecher der BNP seine Kameraden mit den Worten: »Willkommen in Oldham, an der Front des Rassenkrieges!« Die Partei rief im Internet und per Handzettel zum Boykott asiatischer Geschäfte auf.

Wo asiatische Jugendliche ihrer Wut über Armut und Rassismus Luft machen und ihre Stadtteile gegen marodierende Hooligans verteidigen, sehen britische Rechte von BNP über NF bis hin zu den Nazi-Terroristen der Gruppe Combat 18 offensichtlich eine Möglichkeit, dem verhassten Multikulturalismus einen Schlag zu versetzen und - so die Propaganda der BNP - »die weiße Rasse zu verteidigen«.

So wurde der Anlass zwei Nächte später auch prompt von weißen Jugendlichen benutzt, um randalierend durch die Straßen zu ziehen und asiatische Geschäfte und Imbisslokale zu demolieren. Angesichts der Umstände wird die übliche Interpretation, sie hätten damit lediglich auf die Ereignisse der vorhergehenden Nächte geantwortet, zur Farce. »Niemand war bereit, die National Front nach Manningham marschieren zu lassen«, schildert Manawar Jan-Khar, der Sprecher der Anwohnervertretung des verarmten muslimischen Bezirks, die Lage.

Währenddessen bestreitet die Labour-Regierung jeden rassistischen Hintergrund der Vorfälle. Ministerpräsident Tony Blair, der seit den ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen im Mai die Region nicht ein einziges Mal besucht hat, verurteilte die Ausschreitungen als das »verbrecherische Verhalten hirnloser Krimineller«, die nur ihre eigene Community zugrunde richteten. Innenminister David Blunkett nannte es albern, die Ausschreitungen mit dem Verhalten der Polizei gegenüber den asiatischen Communities und mit institutionellem Rassismus in Verbindung zu bringen. Er sieht hingegen in dem angeblich zu sanften Vorgehen der Polizei einen Grund dafür, dass die Auseinandersetzungen so lange anhielten.

Auf den Monat genau 20 Jahre nachdem Straßenschlachten etliche britische Städte erschütterten, hat eine Regierung, die mit dem Wahlversprechen angetreten ist, soziale Ungleichheit zu reduzieren, kein anderes Rezept gegen Armut und Rassismus, als mit einer härteren Aufstandsbekämpfung zu drohen. Unmittelbar nach den Riots forderte Blunkett, bei gewaltsamen Demonstrationen künftig Tränengas und Wasserwerfer einzusetzen. Doch ganz so wehrlos, wie Blunkett es gerne hätte, war die Polizei offensichtlich nicht.

Späteren Berichten zufolge wartete zum Höhepunkt der Krawalle eine mit Gummigeschossen bewaffnete Polizeieinheit auf ihren Einsatz, den Graham Moore, der Polizeichef von West Yorkshire, dann doch noch abblies.

Der Versuch, die jugendlichen Steinewerfer von vornherein als Kriminelle darzustellen, wird in den britischen Medien willig aufgenommen. Von No-go Areas ist da die Rede, in denen pakistanische Dealer nicht nur den Drogenhandel, sondern auch die Straßen kontrollierten. Es habe in den letzten fünf Jahren einen Kampf um die Kontrolle des Drogenhandels gegeben, in dem eine kleine Minderheit der 55 000 Einwohner pakistanischer Herkunft nun die Oberhand gewonnen habe. »Ihre Absicht war es, der Polizei zu sagen: 'Dies ist unsere Gegend und wenn ihr hier herkommt, ist das die Antwort'«, glaubt Terry Rooney, der Parlamentsabgeordnete von Labour für Bradford-Nord.

Dass es in Bradford Konflikte gibt, ist nicht zu übersehen. Sir Herman Ouseley, ehemaliger Vorsitzender des Council for Racial Equality, der in der letzten Woche einen Bericht über die so genannten Rassenbeziehungen in Bradford veröffentlichte, erklärte nach den Riots: »Wenn man die städtischen Aufstände der letzten 20 Jahre betrachtet, so wird deutlich, dass junge Männer sich auf aggressive Weise zu behaupten versuchen, wenn sie nach einer Geschichte aus Beschimpfungen und Rassismus das Gefühl haben, überhört zu werden.«

In Bradford lebt etwa eine halbe Million Menschen. Ouseleys Bericht mit dem Titel »Community pride not prejudice« schätzt, dass 22 Prozent davon ethnischen Minderheiten angehören. Mit 15 Prozent der Bevölkerung stellen Einwohner mit muslimisch-pakistanischem Hintergrund den größten Anteil. Bradford galt früher als Beispiel multikultureller Integration.

Doch nach dem Niedergang der einst berühmten Textilindustrie stieg die Arbeitslosenrate vor allem in den asiatischen Communities. Zudem beobachtet der Bericht die Benachteiligung von asiatischen Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt, ihre rassistische Diskriminierung, die das Hauptproblem der Jugendlichen sei. »Wie sollst du einen Job in Bradford bekommen, wenn die Firmen denken, wir seien alle islamische Fundamentalisten, und nicht mal Bewerbungsunterlagen rausschicken, wenn sie deinen asiatischen Namen am Telefon hören?« bestätigt auch Manawar Jan-Khan.

Bradford stelle eine einzigartige Herausforderung an die »Rassenbeziehungen« in Großbritannien dar, lautet das Urteil des Ouseley-Berichts. Die Stadt sei nach sozialen, kulturellen, ethnischen und religiösen Kriterien geteilt. Die Hauptsorge ist, sdass die Beziehungen zwischen den verschiedenen Communities noch schlechter werden. Auf allen Seiten wachse die Furcht davor, die Probleme offen anzusprechen.

Währenddessen wandere die weiße Mittelschicht aus den Problembezirken ab, und eine relativ arme weiße Bevölkerung und Communities ethnischer Minderheiten blieben zurück. Diese bestünden vor allem aus muslimischen Pakistani, da Sikhs und Hindus dem Beispiel der weißen Mittelschicht folgten.