Berliner Stadtplanung: Der öffentliche Raum wird privatisiert

Den Tiger nähren, den Tiger reiten

Stadtplanung heißt Vertreibung. Die Berliner Stadtentwickler haben in den vergangenen zehn Jahren ihre Ziele erreicht. Der öffentliche Raum ist weitgehend privatisiert.

Wenige Wochen bevor er im Jahr 1991 einem bis heute nicht aufgeklärten Briefbomben-Attentat zum Opfer fiel, erklärte Hanno Klein, der Berliner Senatsbeauftragte für die Betreuung der Investoren, dem Spiegel, Stadtplanung sei nichts anderes als gut organisierte Vertreibung. Eine »Gründerzeit mit Markanz und Brutalität« wünschte sich der Mann fürs Grobe im Auftrag der Senatsverwaltung. Blickt man auf die Stadtplanung im Berlin der großen Koalition zurück, erweist sich Hanno Kleins letzter Wunsch geradezu als Prophezeiung.

Aufstieg zur Weltstadt

Heute lösen die Zukunftsszenarien, die nach dem Mauerfall in und für Berlin entwickelt wurden, nur noch Verwunderung aus. Eine Koalition aus Politik und Verwaltung, aus Immobilienmaklern und unabhängigen Beratern hielt Prognosen für realistisch, denen zufolge die Stadt innerhalb von zehn Jahren von 3,5 auf fünf Millionen EinwohnerInnen anwachsen sollte.

Eine Expertise des Politikberatungsinstituts Empirica sah Berlin auf dem Weg zur »global city«. Metropolitane Großprojekte sollten als strategische Instrumente dienen, um dieses Ziel zu erreichen. Eine Stadt, die bis dahin Verwaltungssitz der DDR und subventionierte Industriewerkbank der BRD gewesen war, sollte zu einer Steuerungszentrale internationaler Märkte aufsteigen. Die Stadtoberen wollten sich an New York und London messen, nicht an der niedergegangenen Industrieregion Ruhrgebiet oder gar an einer osteuropäischen Transformationsstadt wie Warschau.

Der ökonomische Druck, der durch die Spekulationen über gigantische Planungs- und Bauaufgaben entstand, ließ binnen kürzester Zeit die kleinteiligen, ökologisch und sozial orientierten Stadterneuerungsmodelle zusammenbrechen, die sich seit den achtziger Jahren in West und Ost allmählich durchsetzen konnten und die von der bis 1990 regierenden rot-grünen Koalition noch hochgehalten wurden.

Der Architekt Hans Kollhof etwa verspottete solche Vorstellungen als »Bündnis von Bürokratie und Biotop«, und Volker Hassemer, der Stadtentwicklungssenator der ersten großen Koalition, freute sich darauf, »endlich den Tiger reiten« zu können, auf den Berlin 40 Jahren gewartet habe. Der Hauptstadtbeschluss des Bundestages 1991 und die Entscheidung, sich für die Olympischen Spiele im Jahr 2000 zu bewerben, schienen die Planer zu bestätigen: Berlin würde auf schnellstem Wege zur Weltstadt aufsteigen.

NOlympia

Da die Stadt von zahlreichen Korruptionsskandalen erschüttert war, scheiterte die Olympia-Bewerbung 1993 - nicht zuletzt dank der NOlympia-Kampagne, die erfolgreich das städtische Image attackiert hatte. Trotzdem zog die Bewerbung Investitionen nach sich, die noch heute den städtischen Haushalt belasten. Allein der Neubau von drei großen Sporthallen kostete fast eine Milliarde Mark, ihre geringe Auslastung bringt dem Land jährlich zweistellige Millionendefizite.

Olympia diente als Katalysator für die so genannten »städtebaulichen Entwicklungsgebiete«, die auf alten Industrieflächen den Bau von über 31 000 Wohnungen vorsahen. Das Schlachthofgelände Eldenaer Straße und die Spree-Halbinsel Rummelsburger Bucht etwa sollten zu »olympischen Dörfern« umgestaltet werden. Die Planungen sahen außer 7 000 Wohnungen des »gehobenen Standards« auch 15 000 Büroarbeitsplätze vor. Heute tauchen die »städtebaulichen Entwicklungsgebiete« regelmäßig mit Verlustmeldungen in den Schlagzeilen auf.

Obwohl die Kommunen mit diesem baurechtlichen Instrument die Planungsgewinne selbst abschöpfen können, um damit die Projekte zu finanzieren, erwiesen sich die städtebaulichen Entwicklungsgebiete als Fässer ohne Boden. Die vom Land eigens gegründeten Entwicklungsgesellschaften machten bisher mindestens 1,2 Milliarden Mark Verlust, da die auf dem erwarteten Wachstumsboom basierende Bodenpreis-Kalkulation weit überzogen war.

Der prognostizierte Boom

Um die Entwicklung der Stadt zu einer internationalen Dienstleistungsmetropole zu forcieren, verwandelte der Senat gemeinsam mit der Treuhandanstalt viele Ostberliner Industrieanlagen in für Bürobauten verwertbare Immobilien. Aus den attraktiv an der Spree gelegenen Elektro-Apparate-Werken etwa machte der Immobilienhai Roland Ernst Bürotürme und gehobene Wohnanlagen. Das Narva-Kombinat, das mit 5 000 Beschäftigten Glühbirnen für den Export hergestellt hatte, heißt nun »Oberbaum City« und ist ein so genanntes »Dienstleistungszentrum« für »Kreative«. Frühere ArbeiterInnen können dort in einer Putzkolonne oder Sicherheitsfirma einen »Wiederanfang« starten.

Keine Dienstleistungsmetropole, so dachten die politisch Verantwortlichen, ohne Messegelände von Weltrang. Dafür erhielt die - selbst im deutschen Maßstab unbedeutende - Berliner Messe eine kräftige Finanzspritze. Vier Milliarden Mark spendierte das Land für deren Ausbau, eine Summe, die sich als glatte Fehlinvestition erwies. Während sich die Hoffnungen, internationale Messen von anderen Städten abwerben zu können, längst zerschlagen haben, specken einzelne Veranstalter heute sogar ihre Berlinprogramme ab.

Der prognostizierte gigantische Boom und die Aussicht, sich riesige, zentral gelegene Flächen unter den Nagel reißen zu können, die als ehemaliges DDR-Volkseigentum nun profitabel verwertet werden sollten, zogen weltweit agierende Investoren, Banken und Versicherungen an. Zeitweise zahlten sie Spitzenpreise bis zu 40 000 Mark pro Quadratmeter. Zu bewundern ist daher das Geschick der Weltkonzerne Daimler-Benz und Sony in den Verhandlungen mit dem damals noch rot-grünen Senat über das Gelände rund um den Potsdamer Platz. Der Quadratmeterpreis von 1 505 Mark, den der Autokonzern schließlich für sein sieben Hektar großes Tortenstück bezahlte, war so niedrig, dass die EU-Wettbewerbskommission einen Nachschlag forderte.

Ihre neuen, privat gemanagten Stadtinseln errichteten die Konzerne, ohne Altlasten zu beseitigen (25 Millionen Mark) oder provisorische Straßen (23 Millionen Mark) und die U-Bahn-Station (20 Millionen Mark) zu finanzieren. Die Stadt verkaufte das Gelände bevor die Nutzungskonzepte oder Bebauungsformen feststanden. Die Grundsatzentscheidung für diese Art der Stadtentwicklung durch Privatkonzerne wurde durch den jahrelangen Kleinkrieg um die Frage, ob eher europäisch oder amerikanisch anmutende Klötze das Terrain besiedeln sollten, lediglich verschleiert. Es gab keine Diskussionen über die großflächige Privatisierung öffentlicher Räume und ihre profitorientierte Konzeption, die das Entstehen kleinteiliger und vielfältig nutzbarer Orte verhinderten.

Auch das Ausschalten demokratischer Entscheidungsformen und - nach Eröffnung der Stadtteile ab 1999 - die Ausgrenzung nichtkonsumierender Gruppen standen nicht zur Debatte.

Symbolische Demokratie

Alle wesentlichen Entscheidungen über den Verkauf und die künftige Nutzung großer Innenstadtgebiete fällte der Koordinationsausschuss für innerstädtische Investitionen (Koai) in einer Geheimpolitik, die in der Bundesrepublik ohne Beispiel ist. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kamen in diesem parlamentarisch nicht kontrollierten Gremium Landes- und Bundesbehörden mit der Treuhandgesellschaft zusammen und verhandelten über 50 große Entwicklungsprojekte direkt mit den Global Players.

Die Investoren nutzten die extrem hohen Bodenpreise, um Projekte in immensen Größen durchzusetzen und Flächen maximal auszunutzen. In der Friedrichstraße kann man heute das Ergebnis sehen: Massige Baublöcke umfassen vier unter- und acht überirdische Geschosse, frühere Plätze und Grünflächen sind überbaut, die Läden vermarkten durchgängig Luxuswaren. Da der Kalkulation auch hier die Boomprognosen zugrunde lagen, stehen heute immense Flächen leer.

Während der Koordinationsausschuss die Fakten schuf, sollte eine Mischung aus Marketing und symbolischer Teilhabe die Legitimation für den Umbau der Innenstadt schaffen. Das öffentliche Diskussionsgremium Stadtforum, ursprünglich von der grünen Senatorin Michaele Schreyer zur »Demokratisierung der Bau- und Stadtplanungskultur« ins Leben gerufen, verwandelte sich etwa ab 1991 zum Legitimationsinstrument der offiziellen Planung. Doch während auf unzähligen Sitzungen und Symposien noch Entwicklungsziele und Visionen verhandelt wurden, waren die Grundstücke längst verkauft und die Baugenehmigungen erteilt.

Bei umstrittenen Großprojekten kamen neuartige Akzeptanzstrategien zum Einsatz: Im Infocontainer am Potsdamer Platz etwa setzten computergenerierte Bilder eine großartige Zukunft in Szene. Gleichzeitig sollten Theatershows und Musik-Happenings die Baustellen zum Dauerereignis stilisieren. Während diese Politik der Bilder für ein positives Image sorgte, wurde eine reale Bürgerbeteiligung durch juristische Tricks ausgeschaltet. So genehmigte die Verwaltung diverse Großprojekte auf der Basis des Paragrafen 34 des Baugesetzbuchs, der eigentlich die Schließung kleinerer Baulücken regelt. Häufig entzogen Sonderregelungen den zuständigen Bezirksgremien die Planungsverfahren.

Hier kommt der Masterplan

Nachdem bereits das Scheitern der Olympia-Bewerbung die Wachstumseuphorie hatte verfliegen lassen, markierten die Wahlen von 1995 eine weitere Zäsur. Deutlich sichtbar stand Berlin nun am Rand der Pleite. Industrie und Arbeitsmarkt waren kollabiert, die Wirtschaft stagnierte, erhoffte Großinvestitionen blieben aus und die ins Umland ziehenden Besserverdienenden ließen die Einwohnerzahl schrumpfen. Der Traum von der Weltmetropole war geplatzt.

In dieser Situation forcierte die zweite Auflage der großen Koalition die Standortpolitik. Zum einen verschärften repressive Ordnungsmaßnahmen den Druck auf von der Norm abweichende Nutzer innerstädtischer Räume. Diese galten nun immer stärker als ökonomische Ressourcen, die in Wert gesetzt werden sollten. Die meisten besetzten Häuser und Wagenburgen wurden geräumt. Eine ineinander verschränkte Sauberkeits- und Sicherheitspolitik, die gleichermaßen gegen Graffiti und Müll, gegen öffentliches Grillen und Trinken vorging, diente im offiziellen Jargon der »Rettung des Stadtbildes«. Zum anderen leitete der neue Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) mit einem Masterplan, der nach dreijähriger Diskussion 1999 Gesetzeskraft erhielt, eine weitere Runde des Innenstadtumbaus ein.

Nachdem die brachliegenden Filetstücke vermarktet waren, sollte dieses »Planwerk Innenstadt« nun auch jene Bereiche der östlichen Mitte der Verwertung zuführen, die von preisgünstigen Mietwohnungen in Plattenbauweise beherrscht werden. Die vom Senat beauftragten Stadtplaner interpretierten die verbliebenen Reste sozialistischer Nutzungsstruktur »im Rahmen internationaler Städtekonkurrenz als Entwicklungshindernis«. Das »Planwerk« sieht auf bisher öffentlichem Grund den Bau von 20 000 Wohnungen als parzelliertem Kleineigentum vor.

Während offiziell stets verkündet wurde, durch attraktive Wohnangebote normalverdienende Familien in der Stadt halten zu wollen, zeigen die ersten Realisierungsschritte den wahren Gehalt des Vorhabens. Die gegenwärtig in zentraler Lage entstehenden Wohnungen werden als Lofts und Luxusapartments mindestens 8 000 Mark pro Quadratmeter kosten.

»Wir beschäftigen uns nicht mehr mit Wohnungsbau für sozial Schwache sondern für soziale Starke«, verkündete der für den Berliner Umbau wesentlich mitverantwortliche Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) kürzlich. Das »Planwerk Innenstadt« leitete diesen wohnungspolitischen Orientierungswechsel von der Mieter- zur Eigentümerstadt, vom sozialen Wohnungsbau zur Subvention eines Luxussegmentes ein.

Ganz offen spricht eine Koalition aus Politik und Senatsverwaltung, Stararchitekten und Investoren von der Wiederherstellung eines an der Gründerzeit orientierten großbürgerlichen Ambientes, zu dem Loggien, Stuck und hohe Decken ebenso gehören wie Doormen und repräsentative Eingangshallen. Eine derartige Restauration des bürgerlichen Klassenmodells wird in Kürze etwa neben dem Kunsthaus Tacheles zu bewundern sein, wo ein großer Investor »gehobenes Wohnen« in neoklassizistischen, mit Erkern und Türmchen verzierten Prachthäusern verwirklichen will.

Gleichzeitig zerschlägt die Privatisierungspolitik den kommunalen Wohnungsbestand. In nur fünf Jahren, so errechnete die Grünen-Abgeordnete Barbara Oesterheld kürzlich, hat der Senat den landeseigenen Wohnungsunternehmen 3,1 Milliarden Mark entzogen und genau diesen Betrag für die Eigentumsförderung ausgegeben. Bereits beschlossen ist der Verkauf des mit 69 000 Wohnungen größten kommunalen Unternehmens GSW. Darüber hinaus stopft der Senat seine Finanzlöcher durch sogenannte In-Sich-Geschäfte. Dabei übernimmt eine landeseigene Gesellschaft ein zweites Unternehmen und bezahlt dafür einen Kaufpreis an das Land. Um diesen aufzubringen, müssen auf Kosten der MieterInnen Tausende von Wohnungen verkauft werden.

Zurzeit steht das letzte Instrument einer sozial orientierten Wohnungspolitik am Pranger: die »soziale Stadterneuerung«. Damit förderte das Land zuletzt vor allem in Ostberliner Altbauquartieren Sanierungsmaßnahmen privater Hausbesitzer und erhielt im Gegenzug eine soziale Bindung dieser Wohnungen. Obwohl auch so der Mietpreis gesteigert, das Umfeld aufgewertet und MieterInnen verdrängt werden, ermöglicht soziale Stadterneuerung Schutzmaßnahmen und den Erhalt vergleichsweise billigen Wohnraums.

So konnten die Bezirke in gefragten Gegenden - wie etwa in bestimmten Teilen von Prenzlauer Berg - mehrjährige Mietobergrenzen festlegen, um Verdrängungsprozesse zu verhindern. Während die übergeordnete Senatsverwaltung diese Politik der Bezirke schon lange unterläuft, da sie ihrer Aufwertungspolitik entgegensteht, stellt sie seit der Bankenkrise das gesamte Förderinstrumentarium in Frage. Künftig könnten daher attraktiven innerstädtischen Wohlstandsenklaven abgewertete Investitionsbrachen und vernachlässigte Großsiedlungen gegenüberstehen.

Dort kann die neue Wunderwaffe SPD-naher Stadtplanung einsetzen: das »Quartiersmanagement«. Seit 1999 sollen damit Armutsräume stabilisiert und die sozialen Brüche der wettbewerbsfixierten Stadtentwicklung notdürftig repariert werden. Dafür bietet es »Jobs statt Sozialhilfe«, Animation zur Eigeninitiative und die Beteiligung an Wohnumfeld-Aufbesserungen. Die kommunale Wettbewerbspolitik hingegen steht nicht zur Debatte.

Die Türme warten

Häufig gilt der radikale, für die öffentlichen Kassen extrem kostenträchtige Umbau Berlins als verfehlte Stadtentwicklungspolitik. Dafür scheinen riesige Leerstandsquoten oder dahinsiechende Entwicklungsgebiete zu stehen. Legt man dem Projekt »Neues Berlin« jedoch die Sichtweise der herrschenden Stadtpolitik als Beurteilungsmaßstab zu Grunde, zeigt sich sein durchschlagender Erfolg.

Zehn Jahre haben genügt, um vor allem Ostberlin auf der Basis eines kapitalisierten Bodens ein völlig neues Gesicht zu verpassen. Zudem ist es gelungen, die Innenstadt als Repräsentationsort neuer Eliten, als gehobenen Konsumraum, New Economy-Standort und hauptstädtisches Schaufenster der Republik zu definieren und zumindest auf ideologischer Ebene erschwingliches Wohnen, subkulturelle Praxis oder Nischenökonomien in abgewertete Peripherien zu verbannen. Die fatale Haushaltslage bietet aus dieser Perspektive eine weitere Chance, öffentlichen Wohnraum zu privatisieren, soziale Programme zurückzunehmen und die Stadtentwicklung unter die Standortlogik zu subsumieren.

Interessant wird der Zeitpunkt werden, zu dem durch Fehlspekulationen in die Pleite getriebene Shopping-Malls und Bürotürme als monumentale Brachen einer kollabierten Weltstadt zur Eroberung einladen.