Korrupte Minister

Kabinett sucht Jobs

Bevor die polnische Regierung Ende September abgewählt wird, treten die Minister reihenweise wegen Korruptionsskandalen zurück.

Irgendwo in der Ostsee am 9. Juli: Geheimdienstagenten seilen sich aus einem Militärhubschrauber auf eine Fähre ab, die von der polnischen zur schwedischen Ostseeküste unterwegs ist, nehmen einen Mann fest, binden ihn auf einen Stuhl und ziehen ihn in den Hubschrauber hoch. Der unfreiwillige Passagier heißt Zbigniew Farmus und galt bis dahin als rechte Hand des stellvertretenden Verteidigungsministers Romuald Szeremetiew. Der Anlass für die Action-Szene war ein Bestechungsvorwurf. Farmus soll von Investoren, die sich um Rüstungsgeschäfte in Polen bemühten, Summen in beträchtlicher Höhe für private Zwecke abgezweigt haben.

Persönlich profitiert haben soll auch sein Chef Szeremetiew, dessen frisch erworbene Luxusvilla nicht so recht zu seinen Einkünften als Minister passen will. Szeremetiew wollte Farmus offenbar noch die Flucht ermöglichen und hatte angegeben, dieser halte sich weiterhin in Polen auf. Doch der Geheimdienst wusste bereits, dass sich Farmus auf einem Schiff nach Schweden befand. Der Versuch seinen Untergebenen zu decken, kostete Szeremetiew dann seinen Job im Ministerium.

Szeremetiew ist nicht der erste, aber der bisher spektakulärste Fall einer regelrechten Entlassungsserie von Ministern aus der Regierung unter Jerzy Buzek. In der ersten Juliwoche musste Justizminister Lech Kaczynski nach einem Geheimdienstskandal zurücktreten, woraufhin Kaczynskis Intimfreund, der Kultusminister Michal Ujazdowski, auch gleich aufgab.

Mitte Juli erhob dann der Oberste Rechnungshof gegen den Kommunikationsminister Tomasz Szyszko den Vorwurf der Korruption bei der Vergabe von UMTS-Lizenzen. Zur gleichen Zeit wurde auch der Chef der staatlichen Lebensversicherungsgesellschaft verhaftet. Man lastet ihm sowie der gesamten Leitungsebene des Unternehmens »Unregelmäßigkeiten« bei der Teilprivatisierung an. Ende Juli schließlich beschuldigte der Rechnungshof den Finanzminister Jaroslaw Bauc wegen der Fälschung von Bilanzen, illegaler Finanzoperationen und Kompetenzüberschreitung. In Warschau spricht man bereits vom größten Finanzskandal seit der Wende von 1989.

Bereits am 12. April war der ehemalige Sportminister Jacek Debski auf offener Straße erschossen worden. Er hatte vermutlich Kontakte zu Geschäftsleuten unterhalten, die illegal erworbenes Geld offiziell in einen Hotelkomplex in Warschau investieren wollten. Debski konnte das Geschäft nicht vermitteln, hatte jedoch seine Provision schon erhalten und ausgegeben und konnte sie nicht mehr zurückzahlen.

Die anhaltende Korruptionswelle im polnischen Staatsapparat hat mehrere Ursachen. Zum einen versucht man verstärkt, das während der Wendejahre hauptsächlich bei der Privatisierung der Staatsbetriebe illegal erwirtschaftete Geld wieder in den legalen Verwertungskreislauf einzuspeisen.

Zweitens muss sich die Regierung wegen der anhaltenden Stagnation des Wirtschaftswachstums verstärkt um Investitionen bemühen. Ob das Geld nun »schmutzig« ist, interessiert zwar den Staat als Inhaber des Gewaltmonopols, nicht aber die auf Akkumulation bedachten Repräsentanten des nationalen Gesamtkapitals. Deshalb befindet sich der Staat in einer Zwickmühle zwischen der Wahrung des Gewaltmonopols, das er durch Geschäfte in der Grauzone gefährdet sieht, und der notwendigen Akkumulationssteigerung.

Drittens gibt es die mit Abstand meisten Korruptionsfälle innerhalb der rechtskonservativen Regierungspartei Wahlaktion Solidarität (AWS), die jedoch allen Umfragen zufolge bei den Ende September anstehenden Parlaments- und Senatswahlen haushoch verlieren wird. Damit sind auch die gut bezahlten Jobs einiger hoher AWS-Funktionäre in Gefahr, die nun offenbar versuchen, ihr Einkommen anderweitig zu sichern.

Paradoxerweise haben jedoch gerade die Rechten jenen Polizei- und Sicherheitsapparat, der jetzt gegen Teile ihrer Klientel vorgeht, ausgebaut. Der »Kampf gegen die Korruption« ist seit Jahren einer ihrer wichtigsten Wahlkampfslogans. Es handelt sich dabei um einen Versuch, der wachsenden Anzahl von Armen Schuldige für ihre schlechte Lebenssituation zu präsentieren. Einzelne Politiker oder Parteien für soziale Krisen verantwortlich zu machen, hat in Polen eine lange Tradition.

Nach den Wahlen am 23. September wird es einen Regierungswechsel geben, denn die von der AWS dominierte, national-katholische Administration ist schon jetzt am Ende. Die AWS wurde 1997 als breites Bündnis, bestehend aus rechten Parteien und der Gewerkschaft Solidarnosc, gegründet und konnte zusammen mit ihrem Koalitionspartner, der Freiheitsunion (UW), die Sozialdemokraten (SLD) in der Regierung ablösen.

Doch bereits im Mai dieses Jahres ist die Solidarnosc, die einzige Gruppe innerhalb der AWS mit einer breiten organisatorischen Basis, aus dem Bündnis ausgetreten. Umfragen zufolge ist es sogar ungewiss, ob der verbliebene AWS-Rumpf überhaupt die für Parteienbündnisse geltende Acht-Prozent-Hürde schaffen wird. Da nützt es ihr offenbar auch nichts, dass sie nun versucht, die fundamental-klerikale und national-soziale antisemitische Klientel zu bedienen.

Für die ebenfalls aus der alten Solidarnosc hervorgegangene linksliberale UW scheint indessen schon die Fünf-Prozent-Marke unüberwindbar. Damit würden die letzten auch international bekannten Größen der Solidarnosc aus dem politischen Tagesgeschäft verschwinden, so zum Beispiel Tadeusz Mazowiecki, der erste nicht kommunistische Premier, der ehemalige Außenminister Bronislaw Geremek, sowie die intellektuellen Dissidenten Jacek Kuron und Adam Michnik.

Während die von der UW repräsentierte alte bürgerliche Mitte drastisch an Einfluss einbüßt, hat sich eine neue Mitte Anfang des Jahres der politischen Öffentlichkeit präsentiert (Jungle World, 8/01). Die neoliberal-wertkonservative Bürgerplattform (PO) vertritt die Transformationsgewinner.

Die derzeit größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische SLD, könnte sich die Kosten für den Wahlkampf eigentlich sparen, denn sie steht bereits als Gewinnerin fest. Unklar scheint nur noch zu sein, ob sie die absolute Mehrheit erreichen wird. Meinungsumfragen versprechen den Sozialdemokraten über 40 Prozent, die PO landet derzeit bei 20 Prozent, während die Gewinner von 1997 mit sieben (AWS) und drei Prozent (UW) schon in die Rubrik Splitterparteien abgesunken sind.

Die noch amtierende Regierung wird für die Folgen der so genannten Reformprogramme verantwortlich gemacht. Selbst das Handelsblatt erkennt als Konsequenz des Sozialabbaus »große soziale Härten für viele Bürger«. Die staatliche Krankenversicherung ist zusammenbrochen und die Rentenkasse funktioniert jetzt nach dem Prinzip der Kapitaldeckung, das heißt, nur wer üppig einzahlt, bekommt auch genug heraus.

Welch großartige politischen Veränderungen durch den bevorstehenden Machtwechsel in Warschau ins Haus stehen, lässt sich am phantasiereichen Wahlkampf-Slogan der SLD ablesen, der vor zwei Wochen zur Eröffnung des Wahlkampfes vorgestellt wurde: »Lasst uns Normalität wiederherstellen, lasst uns die Zukunft gewinnen.« Außerdem soll die Arbeitslosenquote, die bei 18,2 Prozent liegt, gesenkt werden. Der wichtigste Programmpunkt aber ist der Krieg gegen die Korruption.