Neue Sportart: Schweigen

Sprachlos gedopt

Jahrzehntelang muss selbst dem naivsten Interviewer völlig klar gewesen sein, was sein Gegenüber zum Thema Doping zu sagen hat. Dass die Einnahme unerlaubter Substanzen etwas Fürchterliches sei, dass der Sport durch derartige Manipulationen kaputt gemacht werde, die Fans somit betrogen und die ehrlichen Mitkonkurrenten um den Lohn für ihre jahrelangen Anstrengungen gebracht würden. Man selbst habe selbstverständlich niemals auch nur mit dem Gedanken gespielt, das eigene Leistungsvermögen mit illegalen Substanzen zu verbessern, denn man wolle ja schließlich ein Vorbild sein.

Dann folgte meistens, je nach der Klasse des Athleten, entweder die Andeutung, dass es natürlich sehr verwunderlich sei, wie dieser oder jener Konkurrent sich in der letzten Zeit entwickelt habe, aber das sei jetzt nur so eine Anmerkung, denn man wolle selbstverständlich auf keinen Fall Gerüchte in die Welt setzen. Oder ein etwas deutlicherer Verweis wurde nachgeschoben, darauf, dass ja nur in Deutschland ausreichende Dopingkontrollen durchgeführt würden, man bei den Ausländern dagegen nicht sicher sein könne, ob da immer alles mit rechten Dingen zugeht.

So ging das jahrzehntelang, was nicht wirklich für den Berufsstand der Sportlerbefrager spricht. Zumal auch die Antworten erwischter Athleten (»Da muss ein Fehler vorliegen, ich würde nie im Leben ...«) sowie der Kollegen von ertappten Dopingsündern (»Das ist ein schwerer Schlag für die Sportart«, »Diese Leistungsexplosion war mir ja schon immer suspekt«) niemals Unerwartetes boten.

Dass es auch anders geht, bewies vor einigen Wochen der Leichtathlet Michael Johnson im schwedischen Fernsehen. Auf das Thema Doping angesprochen, erklärte er, nichts zu sagen zu haben, und als der Interviewer nachhakte, beschied ihm der ehemalige Weltklassesprinter, dass er das Studio verlassen werde, wenn ihm nicht eine andere Frage gestellt würde.

Das Echo auf diesen Vorfall war enorm, tagelang spekulierten die skandinavischen Medien über Johnsons Beweggründe, wobei man über dem angeblichen Skandal glatt die tatsächliche Sensation übersah. Erstmals war ein Sportler ohne eine der auch international durchweg gebräuchlichen, das Publikum langweilenden Phrasen ausgekommen. Jeder konnte sich ausdenken, was wohl hinter Johnsons Weigerung stecke, konnte wild herumspekulieren und sich so in seiner Meinung über den Star bestätigt sehen. Damit war man viel länger beschäftigt als mit dem Wegzappen der üblichen Statements.

Einzig die PR-Experten des Sportartikelhersteller Nike erkannten die Unterhaltungsqualitäten solcher Nichtanworten. Kurz vor dem Start der Leichtathletik-WM in Edmonton, Kanada, verpflichtete man Michael Johnson als Moderator einer Pressekonferenz mit Stars wie Maurice Greene und Marion Jones und probierte dort das schöne neue Spiel gleich mal aus. Als ein Journalist die versammelten Athleten nach ihrer Meinung zum Fall der angeblich mit EPO gedopten Langstreckenläuferin Olga Jegorowa ansprach, verkündete man, »im Sinne des Sportgeistes« seien solche Fragen nicht erwünscht.

Die internationalen Sportjournalisten, die wahrscheinlich schon vor Stunden die üblichen Antworten an ihre Redaktionen gemailt hatten, reagierten sauer. Und bei der WM ist jetzt ein neuer Wettbewerb zu erwarten: »Komm, jetzt sag den Satz!«