Germanismen in osteuropäischen Sprachen

Man sprichte deutch

Zagreber Rechte sprechen von glajhsaltovati, wenn eins ihrer Mistblättchen dicht macht. Milosevic verschob Lästiges gern auf malo morgen: Germanismen fühlen sich in den osteuropäischen Sprachen wohl.

Diese Szene möchte ich zu gern einmal realisieren. Aus geziemender Höhe kracht ein Auto auf die Bühne. Was dort dann herumliegt, ist im modernen Polnisch autoszrot - der von Osteuropäern Stück für Stück wieder zusammen gesetzt werden könnte: auspuh, dihtung, felna (Felge), lajsna (Leiste), sofersajbna (Windschutzscheibe), gepek (Kofferraum), rikverc (Rückwärtsgang) und so weiter. Keine Sprache unserer Nachbarn müsste fehlen. Selbst das Werkzeug klänge noch vertraut, vom rumänischen srubul über den tschechischen sroubovák bis zum serbokroatischen srafciger (der im Mazedonischen auch ein hoch prozentiges Getränk bezeichnet).

Nun ja, wie die Russen sagen: U nemca za vse strument est' - der Deutsche hat für alles ein Werkzeug, und die deutsche Sprache verleiht die zugehörigen Benennungen. Und das nicht nur in der Technik. In der Mode tummeln sich die Germanismen genauso: russisch pljus' (Plüsch), polnisch fartuch (Vortuch, d.h. Kittel), serbo-kroatisch rajsferslus. Kaum geringer ist der Anteil der Germanismen, wenn es um Essen und Trinken geht: russisch buterbrod und vaflja (Waffel), polnisch trunk (Getränk) und szprot (Sprotte), serbokroatisch escajg (Esszeug, d.h. Besteck), rumänisch svajter (Schweizer, d.h. Käse). Nicht einmal die Kosmetik bleibt ausgespart, siehe serbokroatisch miteser, vikler und sminka.

Begonnen hat das in vorchristlicher Zeit, also vor über anderthalb Jahrtausenden, als z.B. die Tschechen den vasrman (Wassermann) als heidnische Gottheit einführten. Schwung kam in den Sprachentransfer etwa ab dem 12. Jahrhundert, als deutsche Bergleute im ganzen Osten ihre Terminologie verbreiteten, die dort noch lebt, wie der tschechische stajgr und seine sichta zeigen, sogar in Ländern wie Slowenien, wo Bergbau nicht mehr existiert: knap, laufer, haver (Hauer), kipsina etc. Andere Wege des Sprachentransfers sind in staubigen Akten zu finden, etwa in jenem serbischen Gesetz aus dem mittleren 13. Jahrhundert, das gegen spilmani vorging. Warum? Wegen deren Vorliebe fürs trinkati.

In späterer Zeit war es vor allem das Militär, das Namen und Benennungen entlieh, die bis heute noch gelten: bocman, sturman (russisch), efrejter (bulgarisch), felczer (Feldscher) und wachmistrz (polnisch), rotmistr (tschechisch). Das nahm bald solche Ausmaße an, dass bereits im frühen 15. Jahrhundert der tschechische Kirchen- und Sprachenreformer Jan Hus gegen die Flut der Germanismen Front machte, was 300 Jahre später seinen Landsmann Jan Amos Komensky (Comenius) nicht hinderte, Paradies mit Lusthauz zu umschreiben.

Zu Komenskys Zeiten waren Sprachanleihen aus Handwerk und Technik schon Alltag, und dort halten sie sich bis in die Gegenwart: parikmacher (russ. für Friseur), slajfmasina (bulg.), spachtle (tschech.), smirghel (rum.), bedinerica (serbokroat.). Diese Entwicklung hat sich mittlerweile bis zum gastarbajter fortgesetzt, und alle diese Ausdrücke bestätigen nur, was die kulturelle Transferforschung ermittelt. Diese befasst sich mit der Sprache als Medium von Normen, Werten, Systemen, Strukturen, Techniken etc., die ein Volk von einem anderen übernimmt oder über die Sprachkonventionen eines dritten Volks empfängt. Dabei ist die (deutsche) Gebersprache absolut passiv, weil die diversen Nehmersprachen souverän auswählen, was sie übernehmen, wie sie es einsetzen, verändern, in eigene Sprach- und Sachstrukturen einfügen.

Was da so alles anklingt, konnte man vor einem Jahr im serbischen Wahlkampf hören, wenn z.B. Slobodan Milosevic Lästiges auf malo morgen (bisschen morgen) verschob, wenn Zoran Djindjic die Versprechen des Präsidenten als »Automodell mit ausschließlichem rikverc« verhöhnte, wenn der Montenegriner Milo Djukanovic über Milosevics slagvorti lästerte, die den Belgrader nur in cajtnot brächten. Die zügige Karriere des Russen Wladimir Putin, der sehr gut Deutsch spricht, kommentierten Journalisten gerne mit deutschen Lehnworten. Als Boris Jelzin ihn aus dem Hut zauberte, lästerte die Wochenpresse über den Klonprinc, als er dann Präsident wurde und bei deutschen Medien bestens ankam, avancierte er zum obermens, und als er zum ersten Mal in Berlin Visite machte, war das für Moskauer Spötter, denen Putins KGB-Tätigkeit in Dresden vertraut war, eine vozvrascèenie v vaterland (Rückkehr ins Vaterland).

Es gibt osteuropäische Blätter, die es mit diesem Wortwitz zu wahrer Meisterschaft gebracht haben. Einer meiner Favoriten ist die polnische Wochenzeitung Wprost: Wenn Tausende Deutsche in Polen Arbeit suchen und finden, dann kommentiert sie das mit dem deutsch-polnischen Neologismus Gastpracovnicy (der in Gotisch-Fraktur gesetzt wird). Und wenn so genannte Vertriebene zu Zehntausenden ins Land ihrer Kindheit zurückkommen, setzt Wprost ironisch einen drauf: Drang nach Osten. Noch besser kann's die in Split erscheinende kroatische Wochenzeitung Feral Tribune, die seit Jahren einen Privatkrieg mit dem in Zagreb lebenden konservativen deutschen Journalisten Carl G. Ströhm ausficht. Wenn sie eine verquere Äußerung von ihm in ihre Serie »Greatest Shits« aufnimmt, verleiht sie ihm oft den Titel Oberströhmbahnführer.

Da kann die Belgrader Republika, ein altehrwürdiges Blatt der unerschrockensten serbischen Bürgerrechtler, nicht zurückstehen: Als Slobodan Milosevic vor einigen Jahren versuchte, seiner »sozialistischen« Partei einen Jugendverband zu verpassen, hatte Republika dafür den richtigen Namen parat: Sloba-Jugend. Und als Milosevic die jugoslawische Nationalhymne Hej Sloveni (Auf ihr Slaven) - die dieselbe Melodie wie die polnische hat, was bei Fußball-Länderspielen stets für Verwirrung sorgt - ändern wollte, riet Feral Tribune zu Heil Sloveni .

Ach ja, Heil, schönes deutsches Wort, seit Walther von der Vogelweide in der Bedeu-tung von Glück frequent, was ist dir geschehen. Ich habe es geprüft: Als Anfang 2000 in Österreich Jörg Haider siegte, stieß die russische Wochenzeitung Itogi ein markiges Chajl Haider aus, die restliche Presse Osteuropas, bis zur Bukarester România liberã, begnügte sich mit »Heil Haider« (was auch passte). Die Schriften des ungarischen Rechtsradikalen Istvan Csurka verhöhnte der Prager Respekt schon 1992 unter dem Titel Mein Pamphlet. Acht Jahre später musste die Prager Presse registrieren, dass auch an der Moldau rechtsextreme Schriften im Umlauf waren, was die Wochenzeitung Tyden mit dem Seufzer Unser Kampf kommentierte.

Und da fängt's an, weh zu tun. In den osteuropäischen Ländern wird mehr und mehr NS-Vokabular mit einer spielerischen Souveränität verwendet, die mich zum Teil ratlos macht, zum anderen aber auch ob ihres provokativen Witzes einnimmt. In Sarajevo gab es vor drei Jahren eine Ausstellung Kunst macht frei (und diesen Titel zitierten selbst russische Blätter, wenn sie aus Bosnien berichteten). Als dieser Tage das Haager Tribunal nach einem kroatischen Kriegsverbrecher fahndete, ihn aber nicht fand (weil er angeblich in den Ferien war), bemerkte Feral Tribune lakonisch Urlaub macht frei. Und der Prager Tyden handelte sich Abonnementskündigungen in Fülle ein, als er einen bitteren Drogenreport publizierte und mit einer Karikatur versah: Trava (Gras) macht nicht frei!

So etwas findet sich überall. Wenn Michail Gorbatschow die Kosovo-Mission der Nato kritisiert, fragt er wütend, ob das eine prodol'zenie politiki vermachta, eine Fortsetzung der Politik der Wehrmacht sei. Als in Rumänien 1992 der rechtsradikale »Arbeiterführer« Miron Cosma hetzte, höhnte der Viitorul Românesc (unübersetzt) Miron Cosma über alles. Das können Russen auch, machen aus dem Diphtong aber lieber ein juber alles. Ihre Abneigung gegen die Nato-Ost-Erweiterung artikulieren Moskauer Rechte mit dem inflationärem Gebrauch des deutschen Wortes ansljus, das tschechische Kommunisten als anslus einsetzen, wenn sie wieder mal etwas gegen die EU-Erweiterung vorbringen.

Zagreber Rechte mosern von glajhsaltovati (gleichschalten), wenn mal wieder eines ihrer Mistblättchen marktwirtschaftlich den Bach heruntergegangen ist. Serbische Militäraktionen in Bosnien wurden von der dortigen Presse oft als blic krig hingestellt (besonders wenn sie misslangen), und die jüngst in Deutschland eingeführte doppelte Staatsbürgerschaft veranlasste Moskauer Blätter zu der Frage, ob die Türken in Deutschland chotjat stat' istinnymi arijcami (echte Arier werden wollen). Wie gesagt: Das tut weh (wenn auch nicht sehr).

Warum erzähle ich das alles? Weil es mein Hobby ist, Germanismen in osteuropäischen Sprachen zu sammeln. Weil mich Witz, sprachliche Kompetenz und Sprachspielereien unserer Nachbarn begeistern. Und weil ich Lutheraner bin. Luther hat bekanntlich »dem Volk aufs Maul geschaut«, was wir bei unseren Nachbarn öfters tun sollten.