Eine Odyssee nach Zagreb

Unabhängig ohne Frühstück

In der kroatischen Hauptstadt sind Restaurants Mangelware. Dafür gibt es viele Fahnen und den Internet Art Club. Eine Turborecherche

Zagreb, 16. August 2001. Es ist sieben Uhr abends, wir sitzen in einer Pizzeria und versuchen Marko Vukovic zu erreichen. Das Bier der Marke Karlovacko ist kühl, die Cola auch. Nach gut fünf Stunden im Auto kommen die Getränke besonders gut.

Kurz nach Mittag sind wir aufgebrochen, von der dalmatinischen Küste über die Plitvicer Seen nach Zagreb. Es geht durch die Berglandschaft, die man noch aus den Winnetou-Filmen der siebziger Jahre kennt, und ist doch geschockt von dem, was man sieht. Entlang der Strecke ist ungefähr jedes sechste Haus zerstört. Bis zu 200 000 Serben wurden 1995 mit der militärischen Aktion »Operation Sturm« von der kroatischen Armee aus der Krajina vertrieben. Ihre Häuser wurden meist abgefackelt, um eine spätere Rückkehr unmöglich zu machen, oder von Kroaten bezogen, die vor dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina flohen.

Leben ohne Nachbarn: Neben den bewohnten Häusern, auf deren Dächern oft die kroatische Fahne weht, stehen Ruinen, fensterlose Gebäude, die Dächer abgebrannt, ein U für Ustascha an die Wände gemalt oder Graffitis, die den Ustascha-Führer der vierziger Jahre, Ante Pavelic, rühmen. Niemand ist da, der die zerstörten, unbewohnbaren Häuser abreißen, geschweige denn wieder instandsetzen könnte. Nur langsam kehren einige Serben zurück. Ein herzlicher Empfang erwartet sie allerdings nicht.

Jetzt tut es gut, im Ort Slunj in den Fluss Korana zu hüpfen. Hier kann man sich nur schwer vorstellen, dass jemals ein Bürgerkrieg stattgefunden hat. Jugendliche klettern auf Bäume und springen von dort ins Wasser, ein dickbäuchiger Mann lässt sich mit seinem Schlauchboot im Fluss treiben, vom Kiosk hört man leichte Musik, Simply Red oder soften Jazz. Man schließt die Augen und glaubt, woanders zu sein. Erfrischt durch das Flussbad geht es weiter nach Zagreb.

19.30 Uhr. Die Gläser sind leer, Marko haben wir nicht erreicht, also machen wir uns erstmal auf die Suche nach einem Restaurant. Auf den ersten Blick ähnelt Zagreb ein wenig München. Das liegt auch an den blauen MAN-Bussen, bei denen nur noch das Münchner Kindl-Symbol an den Seiten fehlt. Der Zagreber Marienplatz heißt Jelacic-Platz: Hier thront auf einem Bronzepferd der kroatische Nationalheld und Feldherr Josip Jelacic, der 1848/49 die Ungarn im Krieg bezwang. Das Denkmal, das in der Tito-Zeit abgebaut worden war, steht seit 1991 wieder in der Mitte des Platzes. Im Café Ban, direkt hinter dem Denkmal, sitzen vorwiegend ältere Herren, die existenzialistisch wirken und schwarzen Kaffee trinken.

20 Uhr. Wir stehen vor der Kathedrale Mariä Himmelfahrt. 105 Meter sind die Türme hoch, angeblich die höchsten auf der Balkanhalbinsel. Uns aber macht inzwischen der Hunger zu schaffen. Restaurants sind hier Mangelware, wir irren durch die Fußgängerzone, die voller Cafés und jungen Leuten ist, die alle gleich aussehen. Hier gibt es keine Punks oder Rastas, alle sind schick gekleidet und wirken wie formatiert. Und eine multikulturelle Stadt ist Zagreb auch nicht gerade. Afrikaner oder Asiaten sind hier nicht zu sehen.

20.30 Uhr. Noch immer kein Restaurant. Dafür hängt an jeder Ecke die Nationalfahne. Nachdem wir durch die halbe Stadt gelaufen sind, schleppen wir uns zurück in die Pizzeria, in der wir schon waren.

21 Uhr. Die Pizza entpuppt sich als Tiefkühlware, die Lasagne besteht aus Nudeln und geschmolzenem Scheibletten-Käse. Man muss ja nicht immer lecker essen. Da wir Marko nicht erreichen, beschließen wir, erst mal die Nerds im Art Net Club zu besuchen. Auf dem Weg dorthin entdecken wir ein Plakat von Attack. Zumindest Globalisierungsgegner gibt es hier also. Wir befinden uns im Zentrum des kroatischen Widerstandes.

22 Uhr, Art Net Club. Absolut coole Einrichtung, das älteste Gerät, das sich im Raum befindet, ist unser Diktafon. An den anthrazitfarbenen Computern sitzen szenig aussehende Leute. Es gibt Stahlregale, graue Stühle und Resopaltische, an den Wänden hängen Bilder von Franko Busic, Pop Art-Pornografie. Unsere erste Interviewpartnerin entpuppt sich als Journalistin aus Berlin. Sie fragt: »Habt Ihr schon ein Restaurant gefunden, in dem man gut essen kann?«

Später lernen wir Amin Yacoub kennen, der uns das Konzept des Art Net Clubs erläutert. Neben Internetzugängen biete er Jazz-Konzerte und Ausstellungen, es gehe darum, »den Club und das kroatische Erbe im Internet zu repräsentieren«. Auf die Frage nach der politischen Situation in Kroatien antwortet der Mitarbeiter des Clubs: »Darüber möchte ich nicht sprechen. Wenn Sie objektive Informationen wollen, ist es besser, CNN zu gucken als das kroatische Fernsehen.«

23 Uhr. Marko erreicht! Wir haben ein Date, morgen um 12 Uhr. Noch eine Flasche Wein organisieren, einen heimeligen Park suchen, denn die Hotels sind teuer, und ab in den Schlafsack.

17. August, 9.30 Uhr. Die Suche nach einem Frühstückscafé gestaltet sich genauso schwierig wie die nach einem Restaurant fürs Abendessen. Am Ende gibt's nur einen alten Apfelstrudel und einen trockenen Käse-Toast mit einer Olive oben drauf im Café Ban. Die älteren Herrschaften schlürfen schon wieder ihren schwarzen Kaffee. Wir kommen uns langsam vor wie in der Truman Show: Alles scheint wie für uns inszeniert.

12 Uhr. Endlich das Treffen mit Marko Vukovic. Wir sind überrascht, weil er aussieht wie der Zwillingsbruder von einem unserer Autoren. Die Begrüßung ist herzlich, und Marko beginnt sofort zu erzählen. Von der Autonomen Kultur Fabrik, in der er Mitglied ist und die aus dem Widerstand gegen das Regime Franjo Tudjmans hervorgegangen ist. Die Gruppe trat 1997/98 mit spektakulären Aktionen an die Öffentlichkeit: Sie veranstaltete wilde Partys im Park, Straßentheateraktionen, in denen der Staatspräsident karikiert wurde, Blockaden und Fahrraddemos. »Es war für die beteiligten Leute eine wichtige Erfahrung, dass man so etwas tun kann und eben nicht zu stoppen, wenn der Polizist 'stopp' sagt.« Die Polizei habe anfangs nicht gewusst, wie mit den Aktionen umzugehen sei. Sie seien etwas völlig Neues für die kroatische Gesellschaft gewesen. Aber die Repression ließ nicht lange auf sich warten, einige Aktivisten mussten ins Gefängnis.

Marko zeigt sich ungemein erleichtert, dass die Tudjman-Ära vorüber ist. Die neunziger Jahre hätten aus Kroatien »ein extrem nationalistisches Land« gemacht, eine »nationale Euphorie« habe die Leute erfasst. Die Medien seien völlig unter der Kontrolle Tudjmans und seiner Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) gewesen. Marko empfindet den Regierungswechsel des vergangenen Jahres als »Wende«. Die regierende Koalition aus Postsozialisten und verschiedenen liberalen Parteien unter Ivica Racan (SDP) hätte einige Veränderungen eingeleitet: Die Rückkehr der Serben in die Krajina werde gefördert, vor allem aber hätte sie den extremen Rechten die staatliche Finanzierung gekappt. »Die Politik ist transparenter geworden, es gibt zum ersten Mal parlamentarische Auseinandersetzungen.«

Trotzdem sei die extreme Rechte noch immer sehr stark, sie kontrolliere große Teile der Institutionen und Universitäten, der Klerus spiele dabei eine üble Rolle. »Ich habe Angst, dass sich so etwas wie in den neunziger Jahren wiederholen könnte«, gesteht Marko, »vielen Rechten traue ich zu, dass sie wieder losziehen, um Serben zu töten.«

Die linke Szene, sagt er, habe sich inzwischen differenziert. Es gebe ökologische und feministische Initiativen, andere dagegen engagierten sich nur noch für Techno-Clubs. Markos Gruppe konzentriert sich darauf, zu intervenieren, wenn etwa serbische Schulkinder oder Roma diffamiert werden. Insgesamt überwiegt die Zuversicht. Vielleicht liegt es daran, dass Marko seine bevorzugte politische Aktionsform zum Beruf machen konnte: Er arbeitet als Web-Entwickler. In Systeme eindringen, Online-Demos veranstalten, als »Hacktivist« leben - für einige kroatische Linke sei das inzwischen eine Handlungsoption.

Am Ende des Gesprächs klärt er uns noch über unser kulinarisches Problem auf. Normalerweise existiere in Zagreb eine Art Volksküchen-System, aus dem sich kleine Restaurants entwickelt hätten. Aber im Sommer sei die Stadt praktisch leer, die Leute seien an der Küste. Marko rät uns, auf der Rückfahrt in einem der Gasthäuser an der Landstraße zu essen.

Und das tun wir dann auch. Auf dem Weg nach Zadar nehmen wir einen Tramper mit, einen jungen Hippie, der gerade eine Ausbildung zum Förster macht. »Ich will erst mal mein Land bereisen und hier alles kennenlernen, bevor ich woanders hinfahre«, sagt er völlig unbekümmert. Es ist der 17. August im Jahr 2001 in Kroatien. Wir sind nur noch müde.