Die Irrwege eines Hoffnungsträgers

Der Steffel geht weiter

»Neger«, »Mongos« und »Kanaken«. Frank Steffel, der Bürgermeisterkandidat der CDU, hat diese Wörter erstens nicht gesagt und zweitens nicht so gemeint. Die Irrwege eines Hoffnungsträgers skizziert

Früher war alles einfacher. 1994 gelang es dem CDU-Wahlkämpfer Peter Radunski, den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl noch einmal im Amt zu halten. Zwar hatte der Gegenkandidat Rudolf Scharping die besseren Umfragewerte, doch setzte man bei der CDU ganz simpel auf die Aura der Macht. Ein Wahlplakat zeigte Kohl inmitten einer Menschenmenge, dazu gab es nichts weiter, keinen Spruch, kein CDU-Logo, nichts. Zu sehen waren nur der Kanzler und sein Volk.

Noch heute lässt Radunski, der ehemalige Kultursenator Berlins, der es inzwischen zu einem mutmaßlich hoch dotierten Arbeitsplatz in der Werbebranche gebracht hat, die ihm anvertrauten Politiker gern in der Menge baden. So jagt er den Berliner CDU-Spitzenkandidaten Frank Steffel von Termin zu Termin, lässt ihn sein widerwilliges Lächeln und seine von keiner Denkerfalte entstellte Stirn in jede Kamera halten, die nicht rechtzeitig wegdreht wird.

So hat er immerhin erreicht, dass der im Juni noch unbekannte Steffel von einer großen Mehrheit der Berliner als Bürgermeisterkandidat der CDU erkannt wird. Das ist nicht wenig. In Berlin muss man etwas oft sagen, ehe es der Boulettenliebhaber und die Currywurstfeinschmeckerin auch wirklich fehlerfrei wiederholen können.

Zunächst lief mit Steffel alles glatt. Man hatte einigermaßen glaubhaft vermitteln können, dass er es trotz starker innerparteilicher Gegner - wie zum Beispiel dem ehemaligen Finanzsenator Peter Kurth - geschafft habe, die durch Machtverlust und Spendenaffäre verwirrte und gespaltene Berliner CDU wieder zu einen.

Steffel wurde als lokaler Wolfgang Schäuble aufgebaut: ein grober Klotz, wenig souverän in öffentlichen Auftritten, aber doch eine tatkräftige Persönlichkeit. Ein 35jähriger erfolgreicher Unternehmer, zudem auch ein Mann aus dem alten Westberlin.

Seine Unbeholfenheit machte ihn in manchen Kreisen sogar beliebter, der rüde Umgangston in Bezug auf die PDS und seine plakative Heterosexualität schließlich ließen die CDU sogar ganz kurz zu einer ernsthaften Konkurrentin der SPD werden. Die Umfragewerte jedenfalls besserten sich.

Jetzt allerdings sieht es ganz anders aus. Denn Steffel ließ sich von der Zeitschrift Max aufs Glatteis führen. Er bekannte sich merkwürdig verschwiemelt sowohl zu den rassistischen Sprüchen, die ihm einstige Schulkameraden nachsagen, und dementierte zugleich, derartiges je gesagt zu haben. Genauer: Er bestritt nicht, dass er vielleicht Schwarze »Neger«, Ausländer »Kanaken« und Behinderte »Mongos« genannt habe, andererseits aber gehörten solche Wörter nicht zu seinem Wortschatz. Ein Rätsel für Linguisten. Es sei unter Jugendlichen »normal«, solche Ausdrücke zu benutzen, erklärte Steffel.

Und schon stand der CDU-Kandidat im Rampenlicht. Die SPD fordert nun, Steffel müsse auf seine Kandidatur verzichten. Andere Politiker verlangen von ihm mit derselben moralischen Vehemenz, wie sie Steffel gegenüber der PDS zur Schau stellt, eine Entschuldigung. Die eigene Partei, insbesondere die Bundesführung zeigt sich irritiert. Bei einem Auftritt auf dem Weißenseer Blumenfest wurde er mit einem Ei beworfen.

Und von seinem Parteikollegen Michel Friedman, der sich soeben erst von einem Gericht bestätigen lassen musste, dass man ihn einen »Zigeunerjuden« nennen dürfe, ließ er sich im Fernsehen fast wehrlos vor über einer Million Zuschauern demontieren. Steffel bestritt immerhin, dass die von Max zitierten Äußerungen richtig seien, andererseits bezeichnete er sie als »blöde Aussagen eines Schülers«. Das ist eben irgendwie ganz normal: »Ich habe in meiner Jugend auch Negerküsse gegessen und kein Schaumgebäck.«

Steffel also hat sich politisch derart diskreditiert, wie es selbst seine Gegnerinnen und Gegner nicht zu hoffen wagten. Doch er ist noch immer nicht isoliert. Seine Berliner Parteifreunde halten zu ihm bis zur Verblödung. Hinter der Enthüllungsgeschichte von Max, da sind sich die Christdemokraten sicher, stecke die SPD mit ihren vielen Medienbeteiligungen. Der SPD jedoch fiel es sehr leicht, das zu dementieren; die weitgehende Selbstständigkeit des Milchstraßen-Konzerns, zu dem auch Max gehört, ist allgemein bekannt.

Und als das Ei von Weißensee gegen Steffel flog, konnte sein Wahlkampfleiter Volker Liepelt endgültig nicht mehr an sich halten und sagte: »Das sind die ersten Folgen der geistigen Brandstiftung, die gegen die CDU und ihren Spitzenkandidaten im Gange ist.«

Der Begriff »geistige Brandstiftung« bezog sich in den vergangenen Jahren häufig auf jene Äußerungen, die als Rechtfertigung für Angriffe von Rechtsextremen auf Asylbewerberheime und Synagogen dienten. Verwechselt die CDU den bekennenden Nicht-Rassisten Steffel jetzt sogar schon mit attackierten Asylbewerbern? Wird sich Steffel also beim nächsten Lebensmittelangriff nicht, wie einst auf dem Berliner Alexanderplatz, hinter dem breiten Rücken Edmund Stoibers verstecken, sondern stattdessen in einem Flüchtlingswohnheim Unterschlupf suchen?

Doch nicht nur die CDU steht zu Steffel. Auch der Durchschnitts-Icke an der Imbissbude ist dem konservativen Kandidaten durchaus wohl gesonnen. Der homosexuelle Sozialdemokrat Klaus Wowereit ist für viele Berliner einfach zu schlau.

Man darf nicht vergessen, Berlin wurde über zehn Jahre von dem allseits belächelten Eberhard Diepgen regiert. Wie dieser ist Steffel ein klassischer Berliner. Er posiert offen mit seiner sonnenstudiohaften Gestriegeltheit, führt seine Frau mit sich herum wie eine Trophäe oder eine Charaktereigenschaft und hat zudem früher vielleicht mal gesagt, was die meisten sowieso denken. Daher ist die Wahl für die SPD noch lange nicht gewonnen.

Sollte es den CDU-Wahlkämpfern gelingen, Steffel wieder ein bisschen aus der öffentlichen Kritik zu ziehen, gleichzeitig bei Teilen der Bevölkerung aber den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass Steffel mal geredet hat wie sie und vielleicht heute noch so denkt, dann könnte er Chancen haben.