EU-Parlament weitet den Begriff des Menschenhandels aus

Domestic Slavery oder Green Card?

Falsche Frage, sagen einige Aktivistinnen. Sie kritisieren die vom Europaparlament beschlossene Ausweitung des Menschenhandelsbegriffs auf bezahlte Hausarbeit.

Putzen, was sonst?« Die Frage, welchen Job sie haben, erscheint den meisten Migrantinnen ohne Aufenthaltsstatus absurd. Arbeit in Privathaushalten wie Putzen oder Babysitting ist für sie, egal wie qualifiziert sie sind, oft die einzige Geldquelle. Dennoch wurde dieser Arbeitsmarkt bisher kaum staatlich kontrolliert; und auch in der antirassistischen Öffentlichkeit fand der Joballtag von Migrantinnen kein größeres Interesse. Das scheint sich im Moment zu ändern. In staatlichen Projekten zum so genannten Menschenhandel taucht vermehrt das Thema der bezahlten Hausarbeit auf. Und antirassistische Kreise bringen diese Frage in die Debatte um die staatliche Migrationspolitik für Hochqualifizierte ein.

Mitte Juni stimmte das Europaparlament einem Rahmenbeschluss der EU-Kommission zu, mit dem die institutionelle Definition und Verfolgung des Menschenhandels reformiert werden soll. Darin wird der Begriff vom Bereich der Prostitution auf »sexuelle Ausbeutung« und »Ausbeutung von Arbeitskraft« ausgeweitet und das Strafmaß in der gesamten EU vereinheitlicht. Gleichzeitig haben die SPD und die Grünen im Bundestag einen »Antrag zur Prävention und Bekämpfung von Frauenhandel« vorgelegt, der sich weitgehend mit dem EU-Rahmenbeschluss deckt.

Mit dieser enormen definitorischen Ausweitung folgen die EU und die deutsche Regierung der Global Alliance against Trafficking in Women, einer internationalen Lobbyorganisation, die von vielen Frauenprojekten unterstützt wird. Sie setzt sich dafür ein, den Begriff des Frauenhandels auch auf Heiratsmigration und Haushaltsarbeit anzuwenden. Sie will damit Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse bei der Migration von Frauen sichtbar machen und sich von abolitionistischen Forderungen distanzieren, die Sexarbeit kriminalisieren und abschaffen wollen.

Kooperative NGO

Viele Frauenprojekte bezogen sich auch aus pragmatischen Gründen auf den Begriff des Frauenhandels. Prozesse zum Menschenhandel, in denen Migrantinnen als Zeuginnen auftreten, sahen sie als die einzige Chance, staatliche Stellen für die Belange illegalisierter Migrantinnen zu interessieren. Aber selbst die Verhandlungen über den Status dieser wenigen Zeuginnen sind zäh; wenn überhaupt, gibt es höchstens eine Duldung für die Zeit des Prozesses. Abschiebungen nach Razzien in Bordellen sind weiterhin normal. Auch jetzt sieht der EU-Rahmenbeschluss nur eine »zeitweilige Aufenthaltsgenehmigung« für Zeuginnen vor.

Die antirassistische Frauenprojekte-Szene hat einen hohen politischen Preis dafür gezahlt, am Begriff des Frauenhandels festzuhalten. Der Versuch, auf diese Weise Machtverhältnisse bei der Migration von Frauen anzusprechen, führte zu Verzerrungen und Widersprüchen. Schon die Politik statistischer Konstruktionen zeigt, wie unklar es ist, worum es eigentlich geht. Während die EU-Kommission 1996 die unbelegte, aber vielfach kolportierte Zahl von 500 000 Frauen, die in Westeuropa zur Prostitution gezwungen würden, in die Welt setzte, sprechen die Zahlen, die sich aus Ermittlungsverfahren ergeben, eine andere Sprache. Das Bundeskriminalamt (BKA) registrierte 1999 in ganz Deutschland 801 Opfer von Menschenhandel. Das Strafrecht ist also zur Zeit nur für sehr wenige Migrantinnen ein Instrument, sich gegen Gewalt und Ausbeutung zu wehren.

Wird das Ausmaß des Frauenhandels überschätzt? Ist alles eine Frage von Dunkelziffern? Würde eine umfassendere Definition des Frauenhandels mehr rechtliche Strategien eröffnen? Seit Jahren lavieren Frauenorganisationen herum, wie dieser Begriff zu definieren und von staatlicher Kontrolle und sensationsgieriger Berichterstattung abzugrenzen sei. Zu diesen Abgrenzungsritualen gehört der Hinweis, dass sich viele Migrantinnen - unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen - freiwillig für Sexarbeit, Haushaltsjobs oder Heiratsvermittlungen entschieden. Ebenso zählt dazu die Kritik an der Kriminalisierung der Opfer. Wie aber übersetzen sich diese Hinweise in einen politischen Begriff des Frauenhandels?

Eines ist klar: Der Staat ist an diesem Thema vor allem interessiert, um die transnationale Kooperation der Polizei zu verbessern und Migrationsnetze zu zerstören. Nicht zufällig bezieht sich die Lobby gegen Frauenhandel auf ein Zusatzprotokoll der UN-Konvention zur Bekämpfung der transnationalen organisierten Kriminalität. Und weiter trifft die Verfolgung solcher Delikte vor allem die, die sie zu schützen vorgibt. Das zeigt sich auch daran, dass beim BKA Menschenhandel als »Kontrolldelikt« gilt; Anzeigen kommen dann zustande, wenn Frauen bei Polizeiaktionen aufgegriffen werden.

So haben sich feministische Strategien in letzter Zeit in juristischen Diskursen verfangen, nicht nur weil Strafverfahren zu einem zentralen politischen Terrain geworden sind, sondern auch, weil Menschenhandel ein strafrechtlicher Sammelbegriff ist, der von der Anwerbung von Arbeitskräften über die Organisation von Grenzübertritten bis zu den Arbeitsverhältnissen im Zielland reicht. Der neue EU-Rahmenbeschluss lässt keinen Zweifel daran, dass auch die Beihilfe zu einem Tatbestand dieses Sammelsuriums strafrechtlich verfolgt werden soll.

Humanitäre Razzien

Migrationsnetzwerke sind also für den Begriff des Menschenhandels die zentrale Klammer. Sonst könnten die Menschenrechtsverletzungen, mit denen Migrantinnen konfrontiert sind, auch als Freiheitsentzug, Erpressung, Vergewaltigung oder Lohnraub behandelt werden. Auch wenn die EU-Kommission den Begriff Schleusung als »gegen den Staat gerichtetes Verbrechen« und Menschenhandel als »gegen Personen gerichtete Form der Kriminalität« formal getrennt behandelt, bleibt der Zusammenhang von Schleusung und Frauenhandel implizit bestehen. Das belegt auch der Antrag der SPD und der Grünen, in dem die bisher registrierten Fälle von Menschenhandel als »Spitze des Eisbergs« bezeichnet werden. Darauf folgt der Satz: »Nach Schätzungen von EU-Experten bringen Schlepper jährlich 120 000 Frauen nach Westeuropa.«

Warum also verabschiedet sich die feministische Projekte-Szene nicht ganz vom Begriff des Frauenhandels? Dagegen spricht vor allem, dass sie mit diesem Thema noch am ehesten an staatliche Finanzierungen kommt. Viele Frauen-NGO haben sich früher einmal wegen der politischen Konjunktur des Themas auf extreme Menschenrechtsverletzungen in der Sexarbeit spezialisiert; heute geht es nicht wenigen um Selbsterhaltung. Um in Kontakt mit Betroffenen zu kommen, haben viele Projekte die Strategie entwickelt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und sogar - wie in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen - Kooperationsverträge abzuschließen.

Inzwischen geistert eine neue Zahl durch die Institutionen. Das Komitee für Chancengleichheit des EU-Parlaments erklärte jüngst, dass es in Europa vier Millionen »gekaufter Haussklavinnen« gebe. Jede irreguläre Arbeit von Migrantinnen in Haushalten scheint hier als Menschenhandel definiert zu sein. Im Rahmenbeschluss muss für den Straftatbestand zwar die »Anwendung von Gewalt«, »Täuschung und Betrug« oder der »Missbrauch von Macht, Einfluss und Druckmitteln« vorliegen, dies trifft jedoch auf viele Jobs von Menschen ohne Papiere zu. Eine solche Konstruktion kann dazu dienen, Razzien als Rettung angeblicher Haussklavinnen zu rechtfertigen. Tatsächlich gab es in Frankfurt in diesem Jahr eine groß angelegte Durchsuchung von 280 Haushalten nach Krankenpflegerinnen und Haushaltshilfen ohne Papiere. 200 Frauen wurden nach Angaben der Frankfurter Beratungsstelle agisra aufgegriffen, viele von ihnen wurden anschließend abgeschoben.

Das europäische Netzwerk Respect, das sich seit 1998 für Migrantinnen in der bezahlten Hausarbeit einsetzt, zeigt sich empört darüber, dass es in letzter Zeit immer wieder in solche Strategien eingebunden werden sollte. Im Februar beschlossen Vertreterinnen von MigrantInnenorganisationen und NGO, sich klar von der Konstruktion der domestic slavery und von Kampagnen gegen Frauenhandel zu distanzieren. Respect setzt darauf, dass sich Selbsthilfe- und Unterstützungsgruppen über alltägliche Formen des Widerstandes austauschen. Eine Charta der Rechte von migrant domestic workers liegt bereits vor, in der Aufenthaltsrechte unabhängig von den ArbeitgeberInnen, soziale Rechte, Arbeitsrechte und ein einklagbarer Arbeitsvertrag gefordert werden.

Aufenthalts- und Arbeitsrechte für Hausarbeiterinnen sind Forderungen, die in den letzten Monaten auch in der antirassistischen Debatte in der BRD formuliert wurden. So kursierte beim Frankfurter Grenzcamp der Kampagnenvorschlag »Jeder Mensch ist ein Experte«, der sich wie agisra für eine Green Card für Hausangestellte einsetzte. Den Aufenthaltsstatus über eine Green Card an das Interesse eines Betriebs oder Haushalts zu binden, bestätigt aber eine ökonomische Logik, die heute auch von UnternehmerInnen formuliert wird. Mit der enormen Nachfrage nach Haushaltshilfen zu argumentieren, richtete sich noch bis vor kurzem gegen den Diskurs der Bedrohung durch »Wirtschaftsflüchtlinge«. Heute hindert die Forderung daran, gegen die Logik der Nützlichkeit zumindest menschenrechtliche, besser noch antikapitalistische Argumente zu formulieren. Agisra räumt ein, einer utilitaristischen Logik zu folgen, gibt aber zu bedenken, dass es arrogant sei, mögliche praktische Fortschritte nicht ernst zu nehmen. Realpolitisch gesehen, macht es für Hausangestellte jedoch wenig Sinn, Aufenthalt und Arbeitsvertrag zu koppeln. Denn letzterer ist ein knappes Gut. Nur etwa 38 000 Personen haben in deutschen Privathaushalten einen Arbeitsvertrag über eine sozialversicherte Beschäftigung. Gleichzeitig ermittelte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dass 4,3 Millionen Haushalte Haushaltshilfen anstellen.

Feministische Ökonomie

Respect diskutiert deshalb über Legalisierungen möglichst unabhängig vom Arbeitsverhältnis. Schließlich gibt es genügend schlechte Erfahrungen, wenn Aufenthaltstitel an die Arbeit in einem Haushalt gekoppelt sind. In England war der Aufenthalt von Hausangestellten lange Zeit an ihre jeweils ersten ArbeitgeberInnen gebunden, was zu extremen Abhängigkeitsverhältnissen führte. Auch bei Stichtagsregelungen wie in Italien oder Griechenland war es für Hausangestellte extrem schwierig, ein Arbeitsverhältnis nachzuweisen. Vertreterinnen von Respect fürchten, dass sich in Europa Legalisierungssysteme entwickeln könnten, bei denen Arbeitsverhältnisse regelmäßig überprüft würden; ein solcher Selektionsmechanismus ließe nur die bestehen, die sich auf dem formalen Arbeitsmarkt behaupten können.

Entgegen dieser politischen Entwicklung will die deutsche Gruppe von Respect die rechtlichen Möglichkeiten ausbauen, in denen Arbeit und Aufenthalt entkoppelt sind. So kann schon heute Lohn eingeklagt werden, ohne die Klägerin aufenthaltsrechtlich zu gefährden.

Für Gruppen in Deutschland gibt es einige Schwierigkeiten, sich an der Politik von Respect zu beteiligen. Während in anderen Ländern viele Migrantinnen als Hausangestellte bei nur einer Familie arbeiten und oft auch als »live-ins« dort wohnen, überwiegen in Deutschland mehrere Jobs in verschiedenen Haushalten. Dies macht die Hausarbeiterinnen zwar unabhängiger. Immer genügend Jobs zu haben, bedeutet aber einen hohen Organisationsaufwand. Die Strategie der Patchwork-Hausarbeiterinnen gegen schlechte Behandlung oder Ausbeutung besteht eher darin, die ArbeitgeberInnen zu wechseln, als sich aktiv zu wehren. In keinem anderen Land haben Hausarbeiterinnen so minimale Chancen, einen Aufenthaltsstatus anders zu bekommen als durch eine Ehe. Und in kaum einem anderen Land ist die Bedrohung durch Denunziation und Abschiebung so deutlich im Alltag präsent.

Dennoch trafen sich im Februar des vergangenen Jahres Hausarbeiterinnen, NGO und Migrantinnengruppen aus mehreren Städten und gründeten Respect in Deutschland. Außer zu Arbeits- und Aufenthaltsrechten sind aber noch keine konkreten Forderungen aufgestellt worden.

Denn erstens haben viele Migrantinnen andere berufliche Ambitionen, wollen nicht als Hausarbeiterinnen identifiziert werden und sich nicht als solche organisieren. Eine Politik zu bezahlter Hausarbeit muss also die Anrufung Migrantin gleich Putzfrau abweisen. Es gilt, eine Kritik an der rassistisch-sexistischen Segregation des Arbeitsmarktes zu formulieren und etwas gegen die restriktive Praxis zu tun, mit der Ausbildungsabschlüsse aberkannt werden.

Zweitens können Forderungen, die diesen Sektor arbeitsrechtlich und sozialpolitisch regulieren wollen, leicht zu Lasten der Arbeiterinnen ohne Papiere gehen. Dass Privathaushalte auch für deutsche Putzarbeiterinnen deregulierte Arbeitsplätze sind und dies als selbstverständlich gilt, gibt Frauen ohne Papiere die Chance, dort relativ sicher vor den Ausländerbehörden zu arbeiten.

Drittens ist es fraglich, ob bezahlte Hausarbeit als Niedriglohnsektor etabliert werden sollte, statt eine feministische Diskussion um die gesellschaftliche Verteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung fortzuführen. Organisieren sich Hausarbeiterinnen, läuft dies im Sinne einer gewerkschaftlichen Logik darauf hinaus, ihre Arbeit als Beruf zu etablieren.

Gleichzeitig löst der Blick auf die Hausarbeit als Beruf aber auch Irritationen aus, die nur über eine feministische Ökonomiekritik verständlich werden. So stößt die Forderung nach guter Bezahlung an eine Grenze. Bezahlte Hausarbeit ist notwendig Niedriglohnarbeit und nur bei starken Lohndifferenzen in einer hierarchischen Klassengesellschaft zu etablieren. Es gilt die unumstößliche Logik, dass eine Hausangestellte in ihrem Zuhause nicht selbst eine Hausangestellte finanzieren kann.

Hausarbeit als skilled work darzustellen, ist jedoch eine Provokation für das internationale Regime unbezahlter Arbeit, greift es doch die als quasi natürlich vorausgesetzte Sozialisation von Mädchen zur Hausfrau an. Aber auch diese Irritation verweist darauf, dass bezahlte Hausarbeit nur in ihrem Verhältnis zur unbezahlten Arbeit verständlich wird. Sie ist gesellschaftlich abgewertet, unsichtbar und extrem flexibilisiert. Emotionale Bindungen an betreute Kinder oder eine Arbeitgeberin, die Freundschaft beansprucht, machen es Hausarbeiterinnen schwer, sich formal abzugrenzen.

Hausarbeit - bezahlt oder unbezahlt - muss als Frauenarbeit in Frage gestellt werden. Dies geht auch in feministischen Ansätzen oft unter. Zu einem stehenden Begriff ist die »internationale Arbeitsteilung zwischen Frauen« geworden. Während diese Formulierung Klassendifferenzen und rassistische Hierarchien zwischen Frauen zu Recht betont, schreibt sie implizit die Zuständigkeit von Frauen fest. Politisch kann das dazu führen, sich nur auf das individuelle Verhältnis zwischen Hausherrin und Hausarbeiterin zu konzentrieren.

www.solidar.org - Stichwort: migrant workers; Respect Berlin, c/o Zapo, Oranienstr. 34, 10999 Berlin