Der Polizeieinsatz in Genua wird untersucht

Tute zerstritten

Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum G 8-Gipfel widersprechen sich leitende Polizeibeamte, so gut es geht.

Wer weiß, ob es ein Trost für die ist, die in Genua von der Polizei misshandelt wurden, oder für die restlichen fünf Deutschen, die immer noch im Gefängnis sitzen; aber die italienische Innenpolitik beschäftigt sich weiterhin mit den Ereignissen während des G 8-Gipfels. Gegen 16 Polizeibeamte, die die blutige Erstürmung der Diaz-Schule leiteten, darunter der Chef der mobilen Einsatzgruppe, Vincenzo Canterini, wurden am letzten Freitag offizielle Ermittlungen wegen Körperverletzung eingeleitet.

Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der zur Klärung der Vorfälle eingesetzt wurde, widersprechen währenddessen die drei vom Innenminister versetzten Beamten - der ehemalige stellvertretende Polizeichef, Ansoino Andreassi, der ehemalige Polizeipräsident von Genua, Francesco Colucci, und der ehemalige Leiter der Antiterrorismusabteilung, Arnaldo La Barbera - und die anderen Verantwortlichen der Ordnungskräfte einander, so gut es geht. Von Korpsgeist keine Spur; keiner will die Verantwortung für die Vorfälle in der Diaz-Schule, um die es hauptsächlich geht, auf sich nehmen.

La Barbera beschuldigt die Geheimdienste, unzureichende Informationen geschickt zu haben. Der oberste Polizeichef, Gianni De Gennaro, wirft den ausländischen Sicherheitskräften mangelnde Kooperation vor. Die politische Polizei Digos gibt die Schuld dem Genoa Social Forum (GSF), das von Andreassi hingegen in Schutz genommen wird. Nach Angaben von Andreassi mussten die Geheimdienste Informanten unter den Tute bianche haben, was ein Verantwortlicher der Carabinieri abstreitet. Nach der Aussage des obersten Kommandanten der Carabinieri, Sergio Siracusa, sind die Fallschirmspringer in Genua nie zum Einsatz gekommen. Andreassi zufolge haben sie sich in Genuas Gassen verlaufen, während der Provinzkommandant der Carabinieri, Giorgio Tesser, zugibt, dass sie kräftig mitgemischt hätten.

Der Hintergrund der ganzen Angelegenheit ist kompliziert. Die Rechtsregierung möchte den von ihrer Vorgängerin eingesetzten Polizeichef De Gennaro gerne loswerden, will aber nicht den Eindruck erwecken, ihn für sein Vorgehen in Genua zu bestrafen. Die Linksdemokraten sind hingegen darum bemüht, die Polizei zu verteidigen und stattdessen die Carabinieri in die Affäre hineinzuziehen. Allerdings sind es die Ordnungshüter nicht gewöhnt, genau beobachtet und harsch kritisiert zu werden. So stellte eine der Polizeigewerkschaften der Regierung inzwischen Bedingungen, wie ein Schutz weiterer Gipfeltreffen überhaupt noch zu gewährleisten sei.

Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi sah sich in einem Monat viermal bemüßigt, das Vertrauen »des Landes« (als ob er das Land wäre) zur Polizei feierlich zu bekräftigen. Währenddessen sammelt die rechte Regierungspartei Alleanza nazionale (AN) Geld für die Verteidigung der Polizisten. Und die Polizei rechtfertigt sich mit einem Dossier, in dem behauptet wird, dass das GSF und die Tute bianche gewalttätige Aktionen von langer Hand geplant und viele Demonstranten ihre Mißhandlungen erfunden hätten.

Um ausgewogen zu sein, gucken die Ermittlungsbehörden auch Zehntausende von Fotos durch, um angeblich mindestens 400 so genannte gewalttätige Demonstranten identifizieren und anklagen zu können. Vor allem sind sie an den zwanzig Leuten interessiert, die den Jeep angegriffen haben, aus dem Carlo Giuliani erschossen wurde. Drei haben sie schon identifiziert, von denen sich einer, der auf Bildern zu erkennen ist, wie er das Fenster des Jeeps mit einem Brett einschlägt, selbst bei der Polizei gemeldet hatte. Es wird erwogen, wegen versuchten Totschlags, vielleicht sogar wegen versuchten Mordes gegen ihn zu ermitteln.

Gleichzeitig werden aber auch Untersuchungen eröffnet, die das medizinische Personal, vor allem in den Gefängnissen, betreffen. Ihm wird unterlassene Hilfeleistung oder sogar Mitwirkung an den Misshandlungen vorgehalten.

Wer von weiteren Gipfeltreffen, und vor allem von der Konferenz der Welternährungsorganisation FAO, die für November in Rom geplant ist, nichts mehr hören will, ist Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Obwohl AN und Lega auf eine Machtprobe mit den No-globals drängen, die Opposition die Schwäche der Regierung verhöhnt, UN-Generalsekretär Kofi Annan sich offiziell gegen jede Verschiebung oder Verlegung ausspricht und 80 Staaten ihr Missfallen ausgedrückt haben, scherte sich der Ministerrat wenig um den drohenden Imageverlust und beschloss am letzten Freitag, zumindest zu versuchen, den FAO-Gipfel zu verschieben oder in eine Kleinstadt oder auf die abgelegene Insel Lampedusa zu verlegen. Innenminister Claudio Scajola fürchtet nämlich, dass der Black block das Kolosseum in Rom beschädigen könne.

Kein Problem hat die Regierung hingegen mit dem Nato-Gipfel. Er wird Ende September stattfinden, aber nicht in der Innenstadt Neapels, sondern in der festungsähnlichen Militärakademie von Pozzuoli. Die Vorbereitungen für die Gegendemonstrationen laufen bereits auf Hochtouren; und am Freitag traten Naomi Klein und Manu Chao bei einer Versammlung in Neapel auf.

In der Zwischenzeit hat Staatsanwalt Felice Casson, der die Bombenexplosion vom 9. August vor einem Gericht in Venedig untersucht und der die Aktionserklärung einer antiimperialistischen Guerillagruppe für unglaubwürdig hält, Ermittlungen gegen zwei Skinheads aus der Gegend eingeleitet.

In der Tat ist der Veneto seit den sechziger Jahren eine der Hochburgen des Rechtsextremismus; dass sich daran nichts geändert hat, zeigte der Aufmarsch von tausend Skinheads in der Kleinstadt Revine in der Nähe Trevisos. Aber auch die Rechte weiß die Zeichen der Zeit zu deuten. Im römischen Stadion entrollten rechtsextreme Lazio-Fans ein Spruchband mit der Aufschrift: »Verschiedene Ideale ... Ehre für Carlo Giuliani«.

Der FAO-Gipfel ist aber nicht der einzige Konfliktstoff in der Regierungskoalition. Die abgewählte Mitte-Links-Regierung hatte sich beim Durchschnittswähler besonders durch ihre ständigen internen Streitereien unbeliebt gemacht, während die Rechte gerne ihre Einheit unter dem großen Vorsitzenden Berlusconi betonte. Jetzt sind dort auch alle gegen alle. Die katholischen Integralisten in allen Parteien gegen den Rest, wenn es um die Abtreibung geht, Forza Italia (FI) gegen AN, Lega und Katholiken, was die radikale Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und die Pensionsreform angeht, AN gegen die Lega, was die Autonomie der Regionen, FI und die Katholiken gegen AN und die Lega, was das Verhältnis zur inner- und außerparlamentarischen Opposition betrifft.

Jeden Tag hat Berlusconi Grund, sich wegen einem seiner Minister die Haare zu raufen. Das bisherige Highlight lieferte Infrastrukturminister Pietro Lunardi, der erklärte, dass es die Mafia immer gegeben habe und immer geben werde. Und man könne deswegen nicht auf alle öffentlichen Arbeiten im Süden verzichten. Sowas denkt man, sagt man aber doch nicht.

Aber die Mafia hat alle Gründe, sich die Hände zu reiben. Auf nichts legt Berlusconi mehr Wert als auf den sofortigen Beginn einer Reihe von »großen Werken«: Autobahnen, die Brücke über die Meerenge von Messina, Hochgeschwindigkeitszüge. Wie alle Neoliberalen, wenn sie an der Regierung sind, will auch Berlusconi in bester keynesianischer Tradition die Wirtschaft durch massive Staatsinvestitionen ankurbeln. Damit nach angeblich langjähriger Stagnation endlich wieder die Presslufthämmer dröhnen können, wird sich die Regierung diesmal, das hat sie bereits klar gemacht, weder von Umweltschutz- noch von Antimafiaauflagen bremsen lassen.