Au revoir, arrivederci, auf Wiedersehen

Der Euro wird nicht nur die D-Mark und andere europäische Währungen ersetzen, er wird auch den Dollar kopieren.

Ein halbes Jahrhundert lang haben die Deutschen den Inbegriff ihrer nationalen Identität, ihre heiß geliebte Wunderwährung, im Geldbeutel mit sich herumgetragen, jetzt heißt es Abschied nehmen. Der Countdown hat begonnen. Noch gut hundert Tage, dann verwandeln sich die D-Mark-Bestände in Altmetall und Altpapier.

Die Aufregung über diesen symbolischen Schritt hält sich in Grenzen, aus einem makroökonomischen Blickwinkel zu Recht. Auf Banken, Einzelhandel, Automatenaufsteller und andere Stellen, die im großen Maßstab mit klassischen materiellem Geld hantieren, mag noch einiges an Arbeit zukommen. Für das transnationale Finanzgefüge und seine Regelmechanismen bedeutet die Ausgabe von neuen Scheinen und Münzen keinen wirklichen Einschnitt. Denn der Euro kommt nicht erst, seit der endgültigen Wechselkursfixierung für die teilnehmenden Währungen am 1. Januar 1999 ist er in der Weltökonomie bereits da.

»Stark wie die Mark« werde die neue Währung, verkündeten die Werbebroschüren der Bundesregierung 1998. Was ist aus diesem Versprechen geworden? Die Entwicklung der vergangenen zweieinhalb Jahre lässt sich sowohl als Bestätigung wie auch als drastisches Dementi lesen. Die Inflationsraten in Europa, für Otto Normalverbraucher das entscheidende Kriterium, blieben im Wesentlichen auf dem niedrigen Niveau, auf dem sie sich schon vor der Einführung der Einheitswährung Ende der neunziger Jahre eingependelt hatten. Der Außenwert des Euro, der für den Alltagsverstand nur während des Urlaubs außerhalb des Euroraumes unmittelbar eine Rolle spielt, ist dagegen drastisch gesunken. Bis zum Oktober 2000 verlor er gegenüber dem Dollar rund ein Viertel seines Wertes, um sich in den letzten Monaten vorerst etwas über diesem Stand zu stabilisieren.

Die offizielle Propaganda hat der Einheitswährung eine goldene Zukunft prognostiziert. Der Euro, so hieß es, ersetze die lokalen europäischen Währungen durch Geld mit Weltgeltung, das schon wegen des schieren Gewichts des größten Wirtschaftsraums der Erde in Konkurrenz zum Dollar treten und dessen Vorherrschaft brechen könne. Diese Hoffnung ist bisher nicht aufgegangen. Wird sich das mittel- oder langfristig ändern? Wohl kaum.

Die Enthusiasten, die sich den Euroraum als Zentrum einer blühenden neuen Weltwirtschaft erträumen, operieren bei ihrer Rechnung mit zwei realitätsfernen Annahmen über die Struktur und den Funktionsmechanismus der Weltwährungsordnung. Zunächst einmal fusionieren keineswegs bloße Regionalwährungen zum Euro, vielmehr löst die neue Einheitswährung ein längst fest etabliertes Weltgeld ab.

Der Job des Konkurrenten des Dollar ist bereits mit dem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse Anfang der siebziger Jahre der europäischen Zentralwährung zugefallen, sprich der Mark. Der Anteil der deutschen Währung an der gesamten Liquidität der Weltfinanzmärkte machte Mitte der neunziger Jahre rund ein Viertel aus. Der Yen brachte und bringt es auf einen halb so großen Anteil, vom britischen Pfund ganz zu schweigen. Das Schicksal des Euro hängt demnach davon ab, inwiefern er die spezifische Rolle seiner Vorgängerin ausfüllen kann und wie sich die Arbeitsteilung zwischen den beiden Weltwährungen im Übergang von der Mark zum Euro verändert.

Ausgesprochen anachronistisch ist zudem die Vorstellung, die relative Stärke einer Währung spiegele die realwirtschaftliche Potenz des jeweiligen Währungsraums wieder. Heute, da 99 Prozent aller Devisentransaktionen auf reine Finanzmarktoperationen zurückgehen und nicht auf den internationalen Warenaustausch, folgt der Wechselkursmechanismus längst anderen Regeln. Im kasinokapitalistischen Zeitalter bestimmt in erster Linie die Bewegung des fiktiven Kapitals die Wechselkursentwicklung.

Nichts dokumentiert das so eindringlich wie die Entwicklung des Dollar. Angesichts der ständig steigenden Leistungsbilanzdefizite der USA müsste die amerikanische Währung nach der gängigen volkswirtschaftlichen Lehre seit einem Vierteljahrhundert eigentlich beständig an Wert verlieren. Solange die USA aber als das gelobte Land funktionieren und als Zentrum der spekulativen Bewegung die transnationalen Geldkapitalströme ansaugen, hebt die daraus erwachsende zusätzliche Dollarnachfrage den Kurs der US-amerikanischen Währung deutlich über die Kaufkraftparität.

An der Entwicklung der Austauschrelation von Dollar und Mark in den letzten 20 Jahren lässt sich die Wirkung dieses Mechanismus unmittelbar ablesen. Als in der ersten Hälfte der achtziger Jahre mit den Reagonomics die erste Stufe jener Spekulationsrakete zündete, die nach der zweiten Ölkrise die Weltwirtschaft aus der Rezession katapultierte, stieg nicht nur das jährliche Leistungsbilanzdefizit der USA von 15 Milliarden Dollar (1978) auf schließlich 167 Milliarden. Parallel dazu kletterte die US-amerikanische Währung von 1,81 Mark auf 2,94.

In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren ließ der Sog der US-Ökonomie vorübergehend nach - ein von rückläufigen Defiziten begleiteter Prozess. Prompt erlebte die Mark ihre Renaissance. 1995, am Tiefpunkt dieser Entwicklung, war der Dollar schließlich für 1,43 Mark zu haben.

Erst als die zweite Stufe der auf die USA zentrierten kasinokapitalistischen Ökonomie ihre volle Kraft entfaltete, brachte das eine neue Wende. Der Take-off der New Economy katapultierte gleichzeitig das jährliche US-Leistungsbilanzdefizit auf satte 500 Milliarden Dollar und den Kurs des Greenback über die Grenze von 2,20 Mark.

In diesem Wechselspiel wird die Funktionstrennung der beiden Weltwährungen kenntlich und gleichzeitig die damit verbundene traditionelle Arbeitsteilung zwischen den USA und dem ehemaligen deutschen Musterknaben. Der Dollar reüssiert als Währung der ungebremsten spekulativen Dynamik, während die Mark als kleiner Bruder die durch diese Dynamik ausgelöste realwirtschaftliche Akkumulation repräsentiert. Die monetäre Stärke der USA lag und liegt in ihrer Fähigkeit, das Geldkapital der Welt im Namen ungedeckter Zukunftshoffnungen anzuziehen; die Pseudogediegenheit der Mark dagegen beruhte auf der Stellung Deutschlands als Exportweltmeister. In der Dollargestalt machte man Geld, in der Mark lebte dagegen die Wertaufbewahrungsfunktion des Weltgeldes fort.

Europas Kampf gegen die »Eurosklerose« bedeutet nun nichts anderes als die Aufweichung der Arbeitsteilung zwischen Europa und den USA. Die EU-Länder drängen, die USA zu kopieren, die Einführung des Euro ordnet sich in diesen allgemeinen Prozess ein. Mit dem Euro tritt an die Stelle des Antidollars, der Mark, eine Art Zweitdollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) mag noch so oft das Gegenteil beteuern, sie wird sich dem Zwang, den gesamten Währungsraum mit allen Mitteln auf Binnenwachstumskurs zu halten, viel weniger entziehen können als einst die deutsche Bundesbank. Diese doppelte Besetzung der Hauptrolle auf der monetären Bühne bringt ein zusätzliches Unsicherheitsmoment in die internationale Währungsordnung.

Dass der angestammte Platz der Mark leer bleiben wird, macht die von ihr wahrgenommene Funktion aber nicht gegenstandslos. Gerade das Ende der New Economy setzt auf den Devisenmärkten eine Absetzbewegung vom Dollar auf die Tagesordnung. Sollten die Anleger ihren Glauben an eine baldige Wende auf den Finanzmärkten verlieren und sich die Talfahrt auf den Aktienmärkten fortsetzen, dann muss das die USA am härtesten treffen und zum Versiegen der Zufuhr von frischem Geldkapital in die USA führen.

Das wiederum würde auf der Währungsebene als möglicherweise dramatischer, weil sich selber verstärkender Niedergang des Dollar zu Buche schlagen. Für den Pyrrhussieg über den Dollar im Weltwährungswettbewerb, der den Absturz der Weltwirtschaft begleiten müsste, käme wohl selbst bei einer antizyklischen, extrem expansiven Geldpolitik der EZB nur der Euro in Frage. Möglicherweise liest sich also in wenigen Jahren die Euro-Bilanz umgekehrt wie heute. Einem deutlich gestiegenen Außenwert könnten inflationäre Tendenzen gegenüberstehen.