Proteste gegen die Globalisierung

Götterdämmerung

Die meisten Formen der Militanz bleiben auf der Ebene der Repräsentationspolitik. In Genua haben sie ihren quasi religiösen Charakter offenbart.

Ein Holpern in der Zusammenarbeit der beiden ultrarechten Regierungen in Europa hat dazu geführt, dass die Politspektakelgruppe Volxtheaterkarawane in Österreich allen anderen Sommeroperetten die Show stehlen konnte. Die Dramaturgie war geschickt. Vom Salzburger WEF-Gipfel zog die Karawane in ein Grenzcamp an der slowenisch-kroatisch-ungarischen Grenze und anschließend nach Kärnten. Ihr Programm unter dem Motto »no border - no nation« bot Straßentheater, mobile Medienarbeit und Demospektakel.

Bei den Protesten gegen den G 8-Gipfel in Genua wurden dann 24 Mitglieder der Gruppe unter dem Vorwurf, dem so genannten Schwarzen Block anzugehören, verhaftet und drei Wochen lang eingesperrt. Das hatten sie der österreichischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner zu verdanken, die »belastende staatspolizeiliche Erkenntnisse« über die ausnahmslos nicht vorbestraften Leute nach Italien schickte. Die österreichischen Medien überschlugen sich mit empörten Berichten, die Außenministerin war fast gezwungen, sich zu entschuldigen, und auch das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem (Ekis) geriet in die Kritik.

An den Stammtischen wurde gerätselt, was es wohl bedeutet, polizeilich »vorgemerkt« zu sein, und ob es sich nun wirklich um harmlose SchauspielerInnen oder nicht doch vielleicht um gefährliche GewalttäterInnen handelt. Ich behaupte, dass die Mitglieder der Volxtheaterkarawane keine harmlosen, ungefährlichen SteineschmeißerInnen sind, sondern äußerst gefährliche Theaterleute, die den Gipfel in Genua als theatralische Herausforderung in Angriff nahmen.

Wie alle Demonstrationen, Kundgebungen und Besetzungen sind auch die Proteste gegen die Treffen der Designer der neoliberalen Weltordnung Aktionen, die sich auf der Ebene der Repräsentation und des Spektakels abspielen. Zu Hunderttausenden durch die Straßen zu ziehen, ändert nichts an den realen Machtverhältnissen, es enthebt keinen Staatschef seines Amtes, installiert keinerlei Finanztransaktionssteuer, senkt keine Profitrate und lässt den Kaffeepreis auf dem Weltmarkt nicht steigen.

Die durchschnittlichen linken AktivistInnen sind nicht nur völlig ohnmächtig gegenüber den politischen und ökonomischen Strukturen, die sie im großen Demokratiespiel öffentlich verdammen, sondern sie gehorchen als ökonomische Subjekte der Logik des Kapitals aufs Wort, die sie als politisch-moralische Personen bekämpfen wollen.

Eines der wesentlichen Begehren protestierender Linker ist es folglich, endlich die Bühne der Repräsentation zu verlassen, um die Machtverhältnisse im Realen zu verändern. Aber wie? Etwa mit dem Sturm auf die Bastille, um dann die Herrschaft der Schlechten durch die Herrschaft Besserer zu ersetzen? Oder durch häufiges Demonstrieren, damit die Gehirne der Menschen besser durchblutet werden, sie schlauer denken und deshalb klüger wählen, weshalb irgendwann gerechtere Konzepte realisiert werden können?

Die Militanten jedenfalls glauben, im Realen zu landen, indem sie Gesetze brechen, deren Hüter auf den Plan rufen und sich mit ihnen schlagen, um den politischen Konflikt in einen militärischen zu überführen. Das stimmt allerdings nur für die militanten Akteure selbst, denn sie sind im Anschluss an ihre Aktionen wirklich besoffen vom erbeutenen Wein und wirklich tot von der Polizeipistolenkugel. Auf dem Feld des Politischen bleiben sie wie alle anderen im Bereich der Repräsentation, dem sie lediglich ein wenig Säbelrasseln, Schlachtengetümmel, Ausnahmezustand und archaisch männliche Kriegermythen hinzufügen.

Militanz an sich ist aber immer zweischneidig. Einerseits überführen viele Formen von Militanz gesellschaftliche Konflikte in quasi militärische Auseinandersetzungen, die von der Linken nur verloren werden können. Andererseits sind es meistens erst die militanten Aktionen, die eine Protestbewegung überhaupt in den Fokus der Medien rücken. Hätte es in Genua nicht gekracht, hätten all die JournalistInnen eben nicht seitenweise über die Kämpfe der Protestierenden, über die Polizeigewalt, aber auch über die verschiedenen Ansätze von Kritik an der neoliberalen Globalisierung und dem herrschenden Weltwirtschaftssystem berichtet, sondern über die Roben der First Ladies beim Abendempfang und über den Politklatsch am Gipfelbüffet.

Allerdings werden schätzungsweise 70 Prozent der medialen Aufmerksamkeit, die die Militanten erweckt haben, für die Denunziation der Militanz selbst verwendet. Die restlichen 30 Prozent werden den ansonsten unbeachteten, medial vernachlässigten NGO und deren Forderungen gewidmet. Insofern sind die StraßenkämpferInnen mit ihren eingeschlagenen oder totgeschossenen Köpfen das Bauernopfer, das den eloquenten Sprechern - selten Sprecherinnen - gemäßigter Initiativen zum Wort verhilft.

Selten wird Militanz politisch-strategisch reflektiert und eingesetzt wie beispielsweise von den Tute bianche, sondern meistens moralisch begründet: Gegen das absolut Böse - das Kapital und alle, die sich von ihm funktionalisieren lassen - dürfen die absolut Guten, die Rebellierenden, mit allen Mitteln aufbegehren. Zerbricht dieses simple Weltbild dann irgendwann einmal an der Komplexität von Erfahrungen, wird man eben Außenminister, distanziert sich von der Gewalt in der Politik und lässt Bomben auf Belgrad schmeißen.

Das Volxtheater dagegen hat nie versucht, die Bühne der Repräsentation zu verlassen, sondern will sie bespielen und zwar im Bewusstsein dessen, dass politischer Aktionismus immer nur symbolisch wirksam wird und dass es um die Konstitution und Dekonstruktion von Herrschaftsbildern sowie um die Brechung von Unterwerfungsritualen geht.

Hierzu ein Beispiel. Als österreichische Soldaten 1995 bei einer Militärparade am Wiener Ring stolz ihre Panzer vorführten und Militärflugzeuge über die Universität zogen, knallte es plötzlich gewaltig. Massenweise stürzten Menschen blutend zu Boden, schrieen, wälzten sich, Gliedmaßen flogen durch die Luft. Es schien, als habe eines der Kampfflugzeuge eine Bombe abgeworfen oder einer der Panzerfahrer so getan, als befände er sich ein paar hundert Kilometer weiter südlich, wo zu jener Zeit mit dem Kriegsspielzeug etwas ernsthafter gespielt wurde. Die Sicherheitskräfte, die die Störung der Heeresschau zu unterbinden hatten, standen ratlos und schockiert vor den täuschend echt wirkenden Verletzten. Treffender lässt sich ein militaristisches und nationalistisches Mörderspektakel nicht stören, als dass man seine nahe liegenden Konsequenzen inszeniert.

Doch in Genua haben die Strategien der Überaffirmation und des Ausspielens des implizit Gemeinten nicht funktioniert, denn dort reichte der reflektierte Umgang mit der Theatralität von Politik und Protest nicht aus. Notwendig gewesen wäre stattdessen ein ebenso reflektierter Umgang mit den quasi religiösen Momenten der antineoliberalen Widerstandsbewegung. Es hätte thematisiert werden müssen, inwieweit die versuchte Gipfelstürmerei einer Art Gottesdienst gleichkommt, wo man sich in rituellen Formen versammelt, um sich der Existenz der Oberen, der Mächtigen und der Götter zu versichern, dieses und jenes von ihnen zu erbitten und ihnen den Krieg zu erklären. Das ist eine symbolische Operation der Selbstunterwerfung, denn es ist erst der Gottesdienst, der die Götter schafft. Und es ist erst das Setzen der »Roten Zone« als Allerheiligstes, in das es vorzudringen gilt, was Genua zum sakralen Raum machte, in dem ein junger Militanter als Märtyrer zum Beweis der Bosheit der Bösen und zur Gründung der antineoliberalen Kirche starb.

Um dieses quasi religiöse Ritual zu durchbrechen, wären also Strategien notwendig gewesen, die dem Bild von der monolithischen Macht an einem lokalen Zentrum Bilder von den allgegenwärtigen Mikromaschinen der Machterhaltung entgegengesetzt hätten.

Wie diese Strategien aussehen könnten, haben die Mitglieder der Volxtheaterkarawane in Genua nicht gewusst. Jedenfalls waren es erst die Polizeiapparate und Ministerien, die die VolxtheaterakteurInnen, denen der Ausbruch völlig entfesselter Polizeigewalt die Sprache verschlagen hatte, wieder auf den Boden ihres Projektes zurückholten. Als angeblich Militante verhaftet, mussten die SchauspielerInnen dieses Mal nur sich selbst spielen, damit die Mechanismen der Macht sich selbst entblößten.

Und plötzlich wurde auch ein kurzer Blick hinter die Kulissen eines geeinten europäischen Polizeistaats möglich, denn für einen Moment blitzte das Ausmaß an polizeilicher und ministerieller Zusammenarbeit, an Bespitzelung und Datenmißbrauch, an politischer Vorverurteilung auf.

Die Reise der Volxtheaterkarawane wurde dokumentiert im Internet-Tourtagebuch: www.no-racism.net