Imageschaden der Regierung

Berlusconi sieht schwarz

Auch Italien möchte jetzt zum Club der Großen gehören. Dennoch ist das internationale Ansehen der Regierung nicht gut.

Nach den Terroranschlägen in den USA saß der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi neben seinem Telefon und wartete. Sobald George Bush wieder wagte, seine Füße auf die Erde zu setzen, begann er, sich mit den Großen der Welt zu beratschlagen und rief in London und Paris, Berlin, Moskau und Peking an. Währenddessen fragte sich Berlusconi, ob Italien wie üblich nicht zum Club der Großen gezählt werde - ein ewiger Minderwertigkeitskomplex italienischer Regierungen. Aber am Donnerstagnachmittag kam das erlösende Klingeln, Bush unterhielt sich ganze 22 Minuten mit Berlusconi und verschaffte ihm die Befriedigung, die ihm all sein Geld nicht hätte geben können.

Doch im Falle, dass man in den Krieg zieht, werden die USA seinem Land auch dieses Mal kaum eine Schlüsselrolle zuteilen. Schon aus weit geringerem Anlass, im Zusammenhang mit den nicht enden wollenden Nachwirkungen des G 8-Gipfels, geht es in der italienischen Regierung und unter den Polizeikräften zu wie in einem Hühnerstall, in den der Fuchs eingedrungen ist.

Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss will weiterhin niemand für die Ausschreitungen der Polizei gegen die Demonstranten verantwortlich sein. Der Chef der mobilen Einsatzgruppe, Vincenzo Canterini, der als der Hauptschuldige gehandelt wird, hat seinem ehemaligen Vorgesetzten, dem Chef der Antiterrorismusabteilung, Arnaldo La Barbera, mit einer Anzeige gedroht, falls er an seiner Behauptung festhalte, er habe Canterini von der Erstürmung der Diaz-Schule im letzten Moment dringend abgeraten. Gegen sieben weitere leitende Polizeibeamte hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Damit ist die Anzahl der Verfahren auf 23 gestiegen. Auch gegen den Gefängnisarzt Giacomo Toccafondi, der unter anderem einem Festgenommenen einen Nasenring abgerissen haben soll, wird ermittelt.

Die Untersuchungen zum Tod von Carlo Giuliani werden von der Staatsanwaltschaft hingegen offenbar mit der Absicht geführt, dem 20jährigen Todesschützen Mario Placanica, einem Mitglied der Carabinieri, Notwehr zubilligen zu können.

Einen Erfolg kann die Regierung Berlusconi allerdings melden. Zum neuen stellvertretenden Polizeichef wurde Antonio Manganelli - zu Deutsch Anton Schlagstöcke - ernannt. Der Abschlussbericht der von Regierungsvertretern beherrschten Parlamentskommission spricht die Polizei und die Regierung praktisch von jeder Verantwortung frei.

Aber der italienische Staatsapparat ist nicht nur wegen der Aktionen in Genua in Schwierigkeiten geraten, sondern auch wegen nun bevorstehender Gipfeltreffen in Italien. Die Nato-Tagung am 26. und 27. September soll trotz allem, was geschehen ist, wie vorgesehen in der Militärakademie in Pozzuoli bei Neapel stattfinden.

Was den Gipfel der Welternährungsorganisation FAO am 5. November angeht, hatte Berlusconi nur die Wahl zwischen dem Ansehensverlust in der Folge neuer gewaltsamer Auseinandersetzungen und dem Ansehensverlust beim verzweifelten Versuch, den Gipfel loszuwerden. Er hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Hinzu kam allerdings ein für die rechte Regierung unerwartetes Problem. Sie musste sich von »Negern« (um es mit ihrem Wort zu sagen) vorschreiben lassen, was sie zu tun hat.

Erst lehnte UN-Generalsekretär Kofi Annan mit scharfen Worten die vom Kabinett schon fast beschlossene Verschiebung des Gipfels oder die Verlegung in ein anderes Land ab. Dann widersprach auch der Generalsekretär der FAO, der Senegalese Jacques Diouf, bei einem Treffen mit Berlusconi dem Vorschlag, den Gipfel in einer abgelegenen italienischen Kleinstadt abzuhalten.

So redete der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga, der heute zu den Förderern Berlusconis gehört, sicher vielen Rechten aus dem Herzen: »Ich habe viel Respekt vor den Afrikanern. Aber mir gefallen die Schwarzen nicht, die sich wie Weiße verhalten wollen. Sie sollen ruhig ihre Stammestänze aufführen, aber sich doch nicht in die Politik einmischen, und schon gar in die italienische, in die sich auch Italiener nicht einmischen dürfen.« Anschließend schlug er die sofortige Ausweisung Dioufs vor.

Originelle Ratschläge gab Cossiga auch zum Umgang mit den Demonstranten: »Lasst sie nur alles kaputtschlagen, dann werden die Leute selber nach Panzern auf der Straße verlangen. Nach geladenen Maschinengewehren, Polizisten mit Schießerlaubnis und so weiter.« Cossiga erinnerte während der Parlamentsdebatte über den Misstrauensantrag gegen den Innenminister Claudio Scajola stolz daran, dass in den Jahren 1977 und 1978 niemand seinen Rücktritt verlangte, als er Innenminister war und mehrere Demonstranten von der Polizei erschossen wurden.

Aber Berlusconi scheint eine solche Kaltschnäuzigkeit noch nicht zu besitzen. Er sucht lieber nach einem Ort, um die Konferenz der FAO, zu der hochrangige Delegationen aus 192 Ländern erwartet werden, zu verstecken, obwohl der Sprecher des Genoa Social Forum (GSF), Vittorio Agnoletto, bereits versicherte, die FAO sei ein Gesprächspartner, kein Gegner, und die Opposition Berlusconi vorwirft, in Wirklichkeit sei ein Welthungergipfel für ihn wohl unwichtig.

Was in Neapel passieren wird, ist schwer abzusehen. Einige Minister hatten bereits vor den Attentaten in den USA ein allgemeines Demonstrationsverbot für die Zeit der beiden Gipfel angeregt, was jedoch von anderen Vertretern der Regierungsparteien abgelehnt wurde. Die Polizei wird nach der Meinung der Presse zum Teil demotiviert und zum Teil voller Rachelust sein, während die Leitung der Polizei desorientiert wirke. Auch die Armee soll eingesetzt werden. 50 000 Demonstranten hat der lokale Sprecher der Antiglobalisierungsorganisationen, Francesco Caruso, ursprünglich angekündigt.

Jeder versucht nun, aus den Anschlägen einen Nutzen zu ziehen. Berlusconi schlug sofort einen außerordentlichen G 8-Gipfel vor, was der US-amerikanische Außenminister Colin Powell jedoch umgehend höflich ablehnte. Innenminister Scajola meinte, jetzt müsse Schluss sein mit dem Gerede über Genua. Allerdings ist bereits klar, dass die italienische Regierung nicht besonders an einem internationalen Rachefeldzug interesiert ist. Die Linksdemokraten demonstrierten atlantische Treue und innere Einheit, und die Gewerkschaften hielten kurze Solidaritätsstreiks gegen die Attentate und für den Frieden ab. In der Linken macht sich die Befürchtung breit, die Regierung könne die Attentate in den USA zur weiteren Legitimation repressiver Maßnahmen und eines autoritären Kurses benutzen. Zeitungen wie Il Manifesto sehen vor allem die Gefahr eines erneuten Gewaltausbruchs.

Was die Medien jedoch nicht erwähnen, ist die Tatsache, dass viele Menschen zugeben, zumindest im ersten Augenblick nach den Terroranschlägen eine Art unreflektierter Schadenfreude verspürt zu haben. In Italien, wie auch in anderen romanischen Ländern, gibt es eine geringere emotionale Identifikation mit Amerika als beispielsweise in Deutschland, was sich auch in der weitverbreiteten Abneigung gegen die englische Sprache ausdrückt. Jenseits politischer Bewertungen werden die USA in Italien als nützlicher, aber erdrückender großer Bruder angesehen.