Gesundheitsreform der Bundesregierung

Gesundheit & Co.

Die rot-grüne Bundesregierung plant eine Gesundheitsreform nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Obwohl am 1. Juli ein historischer Tiefstand der Krankmeldungen in Deutschland verkündet wurde, haben die Krankenkassen im ersten Halbjahr 2001 ein Defizit von 4,9 Milliarden Mark erwirtschaftet. Als Gründe werden die schlechte Wirtschaftslage und die gestiegenen Ausgaben für Arzneimittel angeführt. Der Griff zum Rezeptblock fällt den Medizinern seit der Abschaffung der Kollektivhaftung ihrer Zunft für die Überschreitung des festgelegten Medikamentenbudgets wieder leichter.

Insgesamt kostet das Gesundheitswesen jährlich 550 Milliarden Mark. Davon verteilen die gesetzlichen Krankenkassen etwa 250 Milliarden. Von dieser Summe, so Kritiker, profitieren hauptsächlich Ärzte und die Pharmaindustrie. Obwohl der Anteil des Gesundheitswesens am Bruttoinlandsprodukt mit fünf bis sechs Prozent in den letzten Jahren relativ konstant geblieben ist, gibt es unter den gesundheitspolitisch Verantwortlichen einen Konsens darüber, dass Einsparungen wegen der demografischen Entwicklung und der sinkenden Beitragszahlungen unausweichlich sind.

Uneinig ist man sich lediglich über die einzuschlagende Strategie. Die CDU und die FDP favorisieren erwartungsgemäß einen freien Gesundheitsmarkt. Insbesondere Dieter Thomae, ein Gesundheitsexperte der FDP, scheint besessen von der Idee, den Gesundheitssektor vollständig den Regeln von Angebot und Nachfrage zu unterwerfen. »Da hilft nur eine grundlegende Reform, die auf den Grundsätzen des Wettbewerbs, der Wahlfreiheit, der Eigenverantwortung und der Transparenz beruht«, heißt es in seiner Presseerklärung vom 10. September. Demgegenüber hält die SPD noch zaghaft an einer staatlichen Lenkung fest, wobei auch hier eine Beschränkung der Leistungen auf das »medizinisch Notwendige« als unumgänglich angesehen wird. Was auch immer das heißen mag.

Nachdem Finanzminister Hans Eichel eine Finanzspritze für den Gesundheitssektor kategorisch abgelehnt hat, gilt eine Erhöhung der Beitragssätze für die Ortskrankenkassen und Ersatzkassen um durchschnittlich 0,3 auf 13,9 Prozent schon als nahezu ausgemachte Sache. Aber auch wirksame Strukturveränderungen werden von der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) verlangt.

Rechnete die fröhliche Ministerin in ihrer ersten Regierungserklärung Mitte Mai dieses Jahres noch mit der »Bereitschaft der Beteiligten, die eigenen Positionen zum Wohl der Patientinnen und Patienten zu überdenken«, wurde sie inzwischen vom offensichtlichen Eigennutz der Lobbyisten auf den Boden der Tatsachen geholt. Der ebenfalls Mitte Mai eilends installierte »Runde Tisch«, ein aus Ärzten, Kassenvertretern und Pharmaproduzenten bestehendes Gremium, das die Grundlagen für die anstehende Gesundheitsreform erarbeiten sollte, erwies sich als Flop. »Die Interessenlage der Beteiligten«, so der Vorsitzende der Vereinigung der Betriebskrankenkassen, Wolfgang Schmeinck, »ist völlig heterogen.« Kein Wunder, dass man sich bisher nicht einmal auf eine einheitliche Definition des »medizinisch Notwendigen« einigen konnte.

In den vergangenen Monaten mehrten sich die Zweifel, ob die Ministerin tatsächlich am Wohl der Patienten interessiert ist. Werden doch die sich bereits abzeichnenden Veränderungen im Gesundheitswesen auf Kosten der Kranken gehen.

Das Bundesgesundheitsministerium wird die geplante Reform des Risikostrukturausgleichs - also des Kostenausgleichs zwischen den Kassen für besonders teure Patienten - möglicherweise vorziehen. So sollen schon Mitte 2002 statt wie geplant 2003 für einige chronische Krankheiten einheitliche Behandlungsprogramme, genannt Disease-Management-Programme, festgelegt werden.

Und 2003 sollen »Diagnosis Related Groups« (DRG) eingeführt werden, auf die Diagnose bezogene Fallpauschalen. Hierbei handelt es sich um ein Klassifizierungssystem, das Patienten mit »aufwandsähnlichen« Krankheiten zu Fallgruppen zusammenfasst. Damit erhalten die Kliniken zukünftig je nach der Erkrankung des Patienten ein pauschales Entgelt und dürfen nicht mehr wie bisher Belegzeiten und Pflegesätze mit den Kassen abrechnen. Absehbar ist, dass sich Krankenhäuser in Zukunft auf profitable Therapien konzentrieren und teure Patienten wie chronisch Kranke, Drogensüchtige und Alte ablehnen werden.

Mit dem geplanten angeblich lebensrettenden Medikamentenpass, einer Chipkarte, auf der gesundheitsrelevante und somit hochsensible Daten der Patienten gespeichert werden sollen, wird ein Steuerungsinstrument geschaffen, das nicht nur den »gläsernen Patienten« hervorbringen wird, sondern vor allem der Kontrolle der Arzneikosten dienen soll. Die Ärzteschaft und die Pharmaindustrie hingegen bleiben weitgehend verschont.

Vorschläge, den Stand der medizinischen Versorgung zu halten, werden geflissentlich ignoriert. So hat die Universität Heidelberg kürzlich unter der Leitung von Professor Ulrich Schwabe ein Modell erarbeitet, das den gesetzlichen Krankenkassen allein bei den Arzneimittelkosten Einsparungen in Höhe von 8,1 Milliarden Mark ermöglichte. 2,4 Milliarden könnten nach der Heidelberger Studie bei den so genannten Scheininnovationen eingespart werden, bei Medikamenten also, die zwar neu auf den Markt kommen, sich aber in ihrer Zusammensetzung und Wirkung nicht wesentlich von bereits vorhandenen Präparaten unterscheiden; drei Milliarden durch die Vermeidung überteuerter Generika, den »nachgemachten«, zum Teil wesentlich teureren Medikamenten; 2,7 Milliarden bei Medikamenten mit umstrittener beziehungsweise nicht nachweisbarer Wirksamkeit.

Diese Forschungsergebnisse ließen sich mithilfe einer Negativliste der entsprechenden Medikamente sowie einer gesetzlich verankerten veränderten Verschreibungspraxis recht zügig nutzbar nachen. Die daraus resultierenden Profiteinbußen für die Pharmaindustrie kann aber die Gesundheitsministerin offensichtlich nicht riskieren.

Daher bleiben ernsthafte Versuche aus, das Gesundheitswesen nicht zum Nachteil der Patienten umzustrukturieren. Im Gegenteil, die Regierungskoalition bastelt fleißig am marktorientierten Gesundheitswesen der nahen Zukunft. Niedergelassene Mediziner sind auf dem Weg, sich als Kleinunternehmer zu begreifen. Krankenschwestern werden zu Gesundheitshostessen und Krankenhäuser nach Abschluss des »Gesundschrumpfungsprozesses« zu effizient wirtschaftenden Klinikketten mutieren.