Europa reagiert auf den Terror gegen die USA

Sicher ist sicher

Über ihr Verhältnis zum Nato-Krieg ist sie sich nicht einig. Die EU setzt auf mehr Kooperation bei der Inneren Sicherheit.

Peter Struck fand den richtigen Ausdruck für die Stimmung zwischen Madrid und London, Paris und Berlin. »Heute sind wir alle Amerikaner«, verkündete der SPD-Fraktionschef im Bundestag pathetisch. So litten die Europäer in der vergangenen Woche - und zwar nicht nur mit den amerikanischen Freunden, sondern man fühlte sich nach den Anschlägen in New York und Washington ebenso bedroht wie die Menschen jenseits des Atlantik. Etwa in Luxemburg, das nach Meinung des örtlichen Tageblatt-Kommentators Alwin Sold »ein Ziel« des »Megaterrors« sein könne, weil sich hier »eine der wichtigsten Weichen für internationale Geldströme« befinde.

Etwas ernster sind da schon die Befürchtungen in Frankreich zu nehmen, wo man seit Mitte der neunziger Jahre über einschlägige Erfahrungen mit Attentaten der algerischen Bewaffneten Islamistischen Gruppen, der GIA, verfügt. Im Rahmen des damals entwickelten Programms Vigipirate wurden auch jetzt zahlreiche öffentliche Papierkörbe verschlossen, um potenzielle Täter daran zu hindern, dort Bomben abzulegen. Gleichzeitig verstärkten die französischen Sicherheitskräfte die Überwachung öffentlicher Gebäude und Plätze.

Auch in Großbritannien spielte die Innere Sicherheit nach den Anschlägen eine große Rolle. So sprach man im Notstandskomitee des britischen Kabinetts am Tag nach den Angriffen beispielsweise darüber, den Personalausweis einzuführen, der bislang auf der Insel keine Pflicht ist. Inwiefern die repressiven Massnahmen, ähnlich wie die in Deutschland geforderten weiteren Verschärfungen in der Zuwanderungspolitik, islamistischen und anderen tatsächlichen oder vermeintlichen Terrorgruppen Einhalt gebieten, bleibt wohl das Geheimnis der europäischen Sicherheitspolitiker. Diese jedenfalls ließen in der vergangenen Woche keinen Zweifel daran, dass der Angriff auf die USA ihre Bereitschaft erhöht hat, in Angelegenheiten der Inneren Sicherheit und selbstvertständlich auch in der Außenpolitik enger zusammenzuarbeiten.

»Die Europäische Union ist dazu aufgerufen, sich mehr und unablässig in die Weltpolitik einzumischen«, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der 15 Staats- und Regierungschefs. Ihr Ziel sei es, »Gerechtigkeit und Demokratie sowie die Integration aller Länder in ein weltweites System der Sicherheit und des Wohlstandes, zu verteidigen«. Die Außen- und die Sicherheitspolitik müssten weiter entwickelt werden, damit die Europäische Union »wirklich mit gestärkter und geeinter Stimme sprechen kann«.

Vorangebracht werden soll vor allem die interne sicherheitspolitische Harmonisierung. Ein europäischer Haft- und Auslieferungsbefehl und die gegenseitige Anerkennung der gerichtlichen Beschlüsse und Urteile zählen in diesem Bereich zu den empfohlenen Instrumenten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Am vergangenen Freitag trafen sich die Verkehrsminister, um über strengere Sicherheitsbestimmungen auf europäischen Flughäfen zu beraten. Darüber, wie solche Sicherheitsmaßnahmen überprüft werden können, wurde man sich jedoch nicht einig. Einige der 15 Minister zeigten nach Angaben von Diplomaten »grundsätzliche Vorbehalte«, im Zuge einer Vergemeinschaftung nationale Kompetenzen auf den Flughäfen kontrollieren zu lassen oder gar abzutreten.

In jedem Fall soll die Bekämpfung des Terrors künftig als fester Punkt auf der Tagesordnung der EU-Sitzungen stehen, lautet die Empfehlung der ersten Krisenstäbe. »Der Rat wird regelmäßig auf diese Frage zurückkommen«, versprach der belgische Außenminister und amtierende Ratspräsident, Louis Michel. »Die Maßnahmen sollen die Fähigkeit der EU erhöhen, gemeinsam mit den USA und anderen Partnern den Terrorismus zu bekämpfen«, bekräftigte Javier Solana, der außenpolitischer Koordinator der Europäischen Union. Auch die EU-Kommission schlug am vergangenen Mittwoch vor, »die transatlantische Zusammenarbeit gegen den Terrorismus« zu verstärken. Erst vor kurzem hatte Europol eine Spezialeinheit aufgestellt, um den Informationsaustausch über terroristische Aktivitäten zu koordinieren. Die Begrenzung ihres Mandats sei jedoch auf internationaler Ebene spürbar, hieß es in Brüssel. Wiederholt beklagten die USA mangelnde »Sachkenntnisse im Bereich Polizei und Sicherheit«.

Vor allem Frankreich weigert sich, bestimmte Informationen freizugeben. Das soll jetzt anders werden. Der Vorsitzende der rechtskonservativen Fraktion der Union für das Europa der Nationen im Straßburger Parlament, der ehemalige französische Innenminister Charles Pasqua, schlug vor, eine »ständige Kooperationsinstanz« zu schaffen. Dieses Gremium soll die Informationen auswerten, die die Europäer untereinander und mit anderen Ländern über die terroristischen Gefahren austauschen.

Doch nach den Sitzungen der vergangenen Woche wollte in Brüssel zunächst niemand etwas Konkretes verkünden. »Zu diesem Zeitpunkt des Leids und der Unsicherheit« beschränke man sich »auf eine Botschaft der Solidarität und der Unterstützung gegenüber dem amerikanischen Volk«, hieß es aus Kommissionskreisen. Die ansonsten üblichen Diskussionen zwischen den Anhängern eines »Weltpolizisten« USA und den Verfechtern einer isolationistischen Politik der Vereinigten Staaten fielen in den Zuständigkeitsbereich des amerikanischen Volkes. Es stünde Europa jetzt nicht zu, »sich in Szene zu setzen und Lektionen zu erteilen«, sagte ein Sprecher der Kommission.

Und so gab man sich zumindest in den ersten Tagen bündnistreu. »In den schwärzesten Stunden der europäischen Geschichte haben die Amerikaner zu uns gehalten. Heute halten wir zu ihnen«, erklärte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Einheit herrschte, als der Nato-Rat, gemäß Artikel fünf des Gründungsvertrages der Nordatlantischen Allianz, die Anschläge als Angriff auf alle Bündnispartner wertete und erstmals die Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand in Kraft trat. Man werde auch jene Schritte im Kampf gegen den Terror mitgehen, die »sehr schmerzhaft« sein könnten, versicherte Bundesaußenminister Joseph Fischer angesichts der Kriegsankündigungen der USA.

Der britische Premier Tony Blair erinnerte an die »special relationship« seines Landes mit den Vereinigten Staaten und ließ keinen Zweifel daran, daß er den militärischen Abenteuern des amerikanischen Präsidenten George W. Bush bedingungslos folgen wird. Man könne die Amerikaner nur davon abhalten, »wild aus der Hüfte zu schießen«, relativierte Blair seinen martialischen Gestus, »wenn wir ihnen unmissverständlich das Gefühl absoluter Solidarität vermitteln«.

In Paris hingegen zeigte man sich in den letzten Tagen wesentlich zurückhaltender, obwohl dort erstmals sogar Robert Hue, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCF), seine Solidarität mit den Amerikanern und »den Führern, für die sie sich selbst entschieden haben«, zum Ausdruck brachte. Der Aktivierung der Beistandsklausel stimmte die französische Regierung aber nur zögerlich zu, und auch was die Kriegsrhetorik Bushs anbelangt, ist sie vorsichtig. »Wir müssen den Begriff Krieg reduzieren und uns vor einem Abgleiten hüten. Einen Krieg zwischen Arm und Reich darf es nicht geben«, erklärte Gesundheitsminister Bernard Kouchner. Und Premier Lionel Jospin mahnte an, es sei schließlich noch unklar, ob die Anschläge von einer »terroristischen Gruppe« ausgegangen seien oder ob sie »von einer Nation direkt unterstützt wurden«. Die italienische Regierung erklärte am Wochenende sogar recht deutlich, dass sie nicht mit einer Beteiligung an US-Vergeltungsschlägen rechne. »Italienische Soldaten werden das Land nicht verlassen«, sagte Verteidigungsminister Antonio Martino.

Wie die Rolle der Europäer in dem angekündigten Krieg genau aussehen wird, ist also noch unklar. Ebenso unklar ist, ob sich jene Hoffnung erfüllen wird, die der sozialdemokratische Politiker Günter Verheugen äußerte. »Mehr denn je besteht das Gefühl, dass wir Europäer zusammengehören«, fasste der Kommissar für die Erweiterung der EU die Entwicklung der letzten Tage zusammen. »Die vor kurzem verübten Attentate werden Auswirkungen auf die europäische Integration und den Erweiterungsprozess haben. Und diese werden sehr positiv sein.«