Die Türkei fürchtet, Frontstaat im Nahen Osten zu werden

Zwischen den Welten

Die Türkei bewegt sich derzeit auf einem schmalen politischen Grat. Selbstverständlich verurteilte die Regierung unterm Ministerpräsidenten Bülent Ecevit die Terroranschläge in den USA geschlossen als »Verbrechen an der Menschheit«. Der stellvertretende Premier Devlet Bahçeli schlug sogar vor, den 11. September in der ganzen Welt zum »Tag der Bekämpfung des Terrorismus und des Gedenkens seiner Opfer« zu erklären.

Ecevit selbst erwähnte noch einmal, dass die Türkei ja schon seit langem eine internationale Kooperation gegen den Terrorismus fordere, und betonte, alle anstehenden Entscheidungen der Nato würden von der Türkei unterstützt. So wurde das Militär bereits am Donnerstag für mögliche Einsätze in Alarmbereitschaft versetzt, in der Hauptstadt Ankara wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft, und zusätzliche US-amerikanische Truppen wurden auf die Luftwaffenbasis Ircilik in Südanatolien versetzt.

Nachdem sich die USA jedoch auf Ussama Bin Laden als Drahtzieher der Anschläge festgelegt hatten, erklärte Ecevit, dass er als Ministerpräsident eines Landes mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung fürchten müsse, nun werde das Feindbild Islam eine neue Qualität bekommen. »Die USA drohen mit Krieg, aber das Ziel bleibt diffus, man sollte sich vor dem Aufbau religiöser Blöcke hüten. Es ist ungerecht, den Ausdruck 'islamischer Terror' zu benutzen.«

Auch das türkische Fernsehen zeigt unentwegt die Bilder von den Angriffen auf muslimische Gruppierungen und Moscheen in den USA; der Tenor der Kommentare lautet durchweg, dass Bin Laden nicht die muslimische Welt repräsentiere. Die islamistische Zeitung Akit befürchtet, dass es zu »Rundumbestrafungsaktionen« kommt, zu »Vergeltungsanschlägen gegen Afghanistan, wie damals schon gegen den Irak, zu Exekutionen ohne Justiz«. Gleichzeitig verurteilte die Zeitung die Anschläge auf das schärfste, denn auch das radikalislamistische Spektrum in der Türkei fürchtet eine pauschale Verunglimpfung der islamischen Welt. »Wem sollen denn solche Greueltaten nützen?« fragt Sibel Erslan, Kommentatorin von Akit. »Dem ausgebluteten irakischen Volk mit seinem gestörten Führer, den seit 1948 mit den Israelis ringenden Palästinensern oder den Taliban, die ohnehin damit beschäftigt sind, ihre Bevölkerung zu unterdrücken?«

Der laizistische türkische Staat befindet sich in einer prekären Situation, denn er versteht sich als eine der wichtigsten moderaten Stimmen im Nahen Osten und als einer der loyalsten Nato-Partner. 1991 diente Incirlik im Golfkrieg als Stützpunkt für die Luftangriffe verschiedener Nato-Staaten auf den Irak, obwohl die Regierung in Ankara die Militäroffensive nicht guthieß.

Aus den Reihen des Militärs melden sich nun einige ehemalige Generäle mit Bedenken vor allem gegen die Anwendung des Artikels fünf der Präambel des Nato-Vertrages. Erstmals seit ihrem Bestehen hat die Nato einen Terroranschlag auf ein Mitgliedsland als Angriff auf das gesamte militärische Bündnis definiert. Für die Türkei ist das besonders heikel, denn sie hat Staaten wie den Irak und den Iran zu Nachbarn, von denen man noch nicht weiß, wie sie sich im Fall eines militärischen Schlags gegen Afghanistan verhalten werden.