Der israelische Generalmajor Giora Eiland zur Situation im Nahen Osten

»Arafat hat sein Ziel nicht erreicht«

Alle Bemühungen um einen Waffenstillstand im palästinensisch-israelischen Konflikt sind bislang gescheitert. Eine Folge der mangelnden Bereitschaft Israels zu Kompromissen, so der Vorwurf von palästinensischer Seite, sowie des harten Vorgehens der israelischen Armee. Welche Optionen haben die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) in diesem Konflikt? Generalmajor Giora Eiland leitet das Plans and Policy Directorate der IDF. Er vertrat die IDF bei israelisch-palästinensischen Verhandlungen und ist ihr Repräsentant bei den geplanten Gesprächen zwischen Jassir Arafat und Shimon Peres.

Die Al-Aqsa-Intifada dauert seit fast einem Jahr an. Wie kam es zu diesem Konflikt?

Um die aktuelle Situation zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, was vor 13 Monaten in Camp David geschah. Bei diesem Treffen bot unser Premierminister den Palästinensern etwas an, das selbst in den Augen vieler Israelis verrückt war, weil es so weit reichte. Er bot ihnen 90 Prozent der Westbank und Gazas an. Arafat stand vor einem Dilemma. Einerseits wollte er diesen Vorschlag nicht akzeptieren, andererseits wollte er nicht etwas zurückweisen, das von Clinton und vielen anderen als sehr großzügig betrachtet wurde. Er zog es vor, bei dem Treffen keine klare Antwort zu geben.
Währenddessen bemerkte unser Militärgeheimdienst, dass die Palästinenser eine Krise provozieren wollten. Tatsächlich begann diese Krise einige Wochen später als ein sehr klares Ergebnis der strategischen Entscheidung der Palästinenser, einen gewalttätigen Kampf als Taktik zu benutzen, um politische Ziele zu erreichen.

Glauben Sie, dass dieser Zeitpunkt den Palästinensern besonders günstig erschien?

Es gab noch zwei andere Gründe für die Palästinenser, die Gewalt zu beginnen. Ein Grund ist, dass im Juli vergangenen Jahres Israel einseitig den Libanon verlassen hat. Es gab einen enormen Druck der israelischen Öffentlichkeit, sich aus dem Libanon zurückzuziehen, hauptsächlich weil Israel in jedem Jahr etwa 25 Opfer zu beklagen hatte. Arafat zog daraus die Lehre, dass Israel sich zurückzieht, wenn es leidet. Er hoffte, dass mit militärischem Druck etwas ähnliches in der Westbank und in Gaza geschehen könnte.
Der zweite Grund ist mit der Kosovo-Krise verbunden. Jugoslawien wurde vorgeworfen, exzessiv Gewalt angewendet, unschuldige Zivilisten getötet und Verbrechen gegen die Menschheit begangen zu haben. Arafat dachte, dass er ein ähnliches Bild von Israel schaffen könnte. Er wollte den internen Druck der israelischen Öffentlichkeit und den internationalen Druck zugleich stärken.

Aber wir sehen doch heute einen Aufstand von Zivilisten gegen eine militärische Besatzungsmacht.

Das ist das Bild, das uns das Fernsehen vermittelt. Es gab aber beispielsweise mehr als 7 000 Zwischenfälle, bei denen geschossen wurde, mehr als 200 Bomben wurden gegen israelische Zivilisten und Soldaten gelegt, mehrere Dutzend Male wurden Mörsergranaten abgeschossen usw. Das ist keine Demonstration gegen das Militär, sondern ein bewaffneter Konflikt.

Die schlimmsten Anschläge gehen doch von islamistischen Organisationen aus. Hat Arafat überhaupt die Möglichkeit, Gruppen wie Hamas und Jihad zu kontrollieren?

Das sind die beiden berühmtesten islamischen Gruppen, die vom Iran gefördert und finanziert werden und fast jeden Tag versuchen, Selbstmordanschläge durchzuführen. Sie operieren mit voller Unterstützung und unter der Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde. Wir sprechen also nicht über kleine terroristische Gruppen, die von einem Versteck aus operieren. Arafat will sie nicht zurückhalten. Ein Beipiel: Nach dem Bombenanschlag am Dolphinarium, bei dem 21 israelische Jugendliche getötet wurden, war Arafat unter enormem internationalen Druck, die Gewalt zu stoppen. Er gab Anweisungen, die Aktivitäten zu stoppen und es war sechs Wochen lang ruhig, bis er seine Meinung änderte.

Sind auch Gruppen aus Arafats Fatah-Partei an den Angriffen beteilgt?

Ja. Es gibt offizielle und inoffizielle Gruppen. Die Tanzim zum Beispiel sind Teil der Fatah. Diese formal zivile Organisation besteht aus Tausenden von illegal bewaffneten Männern, die ihre Anweisungen direkt von Arafat erhalten. Sie sind verantwortlich für etwa 45 Prozent der bislang getöteten Israelis.

Kann die IDF nichts gegen solche Angriffe ausrichten?

In normalen militärischen Konflikten fragt ein Kommandant: Wo ist der Feind? Aber hier ist die Hauptfrage: Wer ist der Feind? In diesem Fall ist der Feind Teil der palästinensischen Bevölkerung, teilweise trägt er keine Uniformen. Und die palästinensische Bevölkerung lebt mit uns. So ist es extrem schwer zu unterscheiden, wer der Feind ist und wer nicht. Die zweite Schwierigkeit ist, dass wir die Städte, die unter palästinensischer Souveränität stehen, nicht betreten. Jeder, der eine terroristische Aktivität gegen uns plant, kann dies von einem sehr sicheren Platz aus tun und hat dann nur noch einen sehr kurzen Weg zu seinem zivilen oder militärischen Ziel.
Wir versuchen zwei Dinge. Erstens versuchen wir, den terroristischen Angriff zu verhindern, bevor er stattfindet. Zweitens veruchen wir, alle unsere Bürger entlang der Straßen zu schützen, hauptsächlich in der Westbank und Gaza, aber auch innerhalb Israels. Das ist extrem schwierig. Manchmal basiert die einzige Möglichkeit, eine minimale Sicherheit für israelische Zivilisten zu garantieren, auf Einschränkungen, die wir den palästinensischen Zivilisten auferlegen.

Hatten die Maßnahmen der IDF Ihrer Ansicht nach positive Resultate?

Auf der strategische Ebene, glauben wir, war unsere Politik erfolgreich. Arafat hoffte, er könnte politische Ziele erreichen, ohne irgendeinen Kompromiss zu machen, aber jetzt ist er fern von diesem Ziel. Auf der taktischen Ebene waren wir nicht so erfolgreich. Bislang haben wir 170 Opfer zu beklagen, die meisten von ihnen Zivilisten. Wir hatten gehofft, dass es weniger sein würden.

Könnten internationale Beobachter nicht helfen, die Lage zu beruhigen? Warum lehnt Israel soIche Initiativen ab?

Wir haben festgestellt, dass internationale Beobachter nur unter zwei Bedingungen effektiv sind: Erstens wenn beide Konfliktparteien Staaten sind, zweitens wenn beide Seiten die Situation beruhigen wollen. Um ein Beispiel zu geben: Während der militärischen Konfrontation im Südlibanon haben die internationalen Kräfte der Unifil nichts getan, um die Gewalt zu stoppen. Wenn es einen Zwischenfall gibt, bei dem ein Palästinenser von unserer Armee getötet wird, werden internationale Ermittler immer Informationen über den Zwischenfall erhalten, weil wir eine normale Armee sind. Wenn aber ein Palästinenser einen israelischen Bürger tötet, werden die Palästinenser immer sagen können, sie wüssten nicht, wer diese Leute sind.

Sie sagen, dass Arafat kein Interesse hat, die Lage zu beruhigen. Die Palästinenser aber machen Israel dafür verantwortlich, dass kein Waffenstillstand gehalten hat.

Ich würde nicht übertreiben, wenn ich sagte, dass mindestens 95 Prozent aller gewalttätigen Zwischenfälle von Palästinensern initiiert wurden. Das einzige, was die Palästinenser tun müssen, wenn sie einen Waffenstillstand erreichen wollen, ist, die gewaltsamen und terroristischen Aktivitäten zu stoppen. Dann wird die Lage in sehr kurzer Zeit ruhig sein.

Im August hat die IDF vorausgesagt, dass die Intifada bis 2006 andauern könnte. Stellt Israel sich auf einen langen Konflikt ein?

Das ist in gewisser Weise eine Fehlinterpretation. Wir nehmen in jedem Jahr Modifikationen an unserem Fünfjahresplan vor. In diesem neuen Plan, der die Jahre 2001 bis 2006 betrifft, erwarten wir als schlimmstes mögliches Szenario, dass der Konflikt mit den Palästinensern bis 2006 andauern könnte. Wir hoffen, dass er kürzer sein wird, nehmen aber an, dass er nicht nur in diesem Jahr andauert, sondern auch noch im nächsten.