Karfreitagsabkommen vor dem Scheitern

Guns For Pigs

In Nordbelfast ist der Konflikt zwischen republikanischen und loyalistischen Bewohnern eskaliert. Die Allparteienregierung der nordirischen Provinz bröckelt.

Die Terroranschläge in den USA machen ein positives Ergebnis des Friedensprozesses in Nordirland noch dringlicher«, betonte Anthony Blair nach dem 11. September. Doch die Hoffnung britischer Politiker, die beispiellose Demonstration politischen Terrors müsse auch die Konfliktparteien in Nordirland endlich zurVernunft bringen, hat sich nicht erfüllt.

In der vergangenen Woche eskalierte der seit Monaten andauernde Konflikt zwischen probritischen und republikanischen Bewohnern von Nordbelfast erneut. Der zuständige Polizeichef, Ronnie Flanagan, erklärte am Freitag, das Ausmaß von Hass und Gewalt sei das Schlimmste, was er seit 30 Jahren erlebt habe. Bereits am Donnerstagabend lieferten sich 700 protestantische Bewohner des Stadtteils Ardoyne mehrstündige Straßenschlachten mit der Polizei, bei denen 33 Beamte verletzt wurden. Eine Nacht später warfen 300 loyalistische Demonstranten Steine und Brandsätze auf die Sicherheitskräfte und steckten Autos in Brand, zehn Polizisten wurden verletzt und eine Frau wurde von den Sicherheitskräften angeschossen.

Seit dem 19. Juni demonstrieren die protestantischen Bewohner von Ardoyne dagegen, dass katholische Kinder auf dem Weg zur Schule ihr Viertel durchqueren. Seither wird der Schulweg von der Polizei gesichert. Trotzdem kam es auch vor dem letzten Donnerstag regelmäßig zu Ausschreitungen, fast jede Nacht detonierten Bomben in Nordbelfast, mehr denn je scheint das Freitagsabkommen von 1998 in Gefahr.

Am vorletzten Samstag war es dem Nordirlandminister John Reid zum zweiten Mal gelungen, die nordirische Selbstverwaltung mit einem Verfahrenstrick zu retten. Nach einer Unterbrechung von 24 Stunden übergab Reid die Provinz wieder der Allparteienregierung. Dadurch erhalten die vier beteiligten Parteien erneut sechs Wochen Zeit, um einen Regierungschef zu wählen. David Trimble, der Vorsitzende der loyalistischen Ulster Unionist Party (UUP), war im Juni aus Protest gegen die ausbleibende Entwaffnung der IRA von seinem Amt als Erster Minister zurückgetreten. Nach seiner gescheiterten Wiederwahl Ende August suspendierte die britische Labour-Regierung erstmals die nordirische Selbstverwaltung für sechs Wochen.

Reid deutete an, dass es nun an der IRA sei, sich in der Entwaffnungsfrage zu bewegen, er bat sie, ihre Waffen wenigstens teilweise unbrauchbar zu machen. »Ich weiß, wie schwierig es für Republikaner ist, die am bewaffneten Kampf beteiligt waren, zu sagen: ðWir haben jetzt ausreichend Vertrauen in den politischen Prozess, um diesen großen Schritt zu machenЫ, versuchte er beschwichtigend auf die IRA einzuwirken. »Doch das«, fuhr er fort, »würde das nötige Signal an die Unionisten senden.«

In ihrer jüngsten Erklärung vom 20. September bekundete die IRA, den Kontakt mit der Entwaffnungskommission, der Independent International Commission on Decommissioning, und ihrem Vorsitzenden, General John de Chestelain, erneut intensivieren zu wollen. Die Untergrundorganisation hatte sich am 8. August nach langen Verhandlungen zu einer vollständigen Entwaffnung bereit erklärt. Eine Woche später zog sie ihr Angebot jedoch zurück, nachdem die UUP die von Chestelain bestätigte Demobilisierungserklärung zurückgewiesen hatte. Zudem kritisierte die IRA, die britische Regierung trüge nur ungenügend zur geforderten Polizereform bei.

Die UUP weigert sich, mit der IRA-nahen Sinn Fein, die derzeit zwei Minister in der nordirischen Selbstverwaltung stellt, zusammenzuarbeiten, solange die Guerilla die Entwaffnung hinauszögert. Die Erklärung der IRA vom 20. September, die vor der letzten Frist zur Neuwahl des Ersten Ministers veröffentlicht wurde, bezeichnete die UUP wie schon im August als nicht ausreichend. David Trimble drohte zunächst mit dem Rückzug seiner Partei aus der Selbstverwaltung und forderte dann den Ausschluss der Sinn Fein.

Ohne die drei UUP-Minister würde die aus vier Parteien bestehende Regierung auseinanderbrechen. Zudem gilt es als wahrscheinlich, dass die Democratic Unionist Party (DUP) von Ian Paisley dem Beispiel der UUP folgen würde. Die Forderung nach einem Ausschluss von Sinn Fein hat indessen vor allem eine symbolische Bedeutung, denn in der Nordirland-Versammlung würde dieses Anliegen keine Mehrheit finden. Gery Adams, der Vorsitzende der Sinn Fein, warnte jedoch, dass Trimbles Plan, seinen Forderungen durch ein Scheitern der Selbstverwaltung Nachdruck zu verleihen, weitreichende Folgen haben könne.

Erwartungsgemäß hat das Manöver der Unionisten die Sinn Fein irritiert. Die Republikaner betonen, das Taktieren der UUP habe eine Entwaffnung der IRA weiter verzögert, die keinesfalls den Eindruck erwecken wolle, sich dem Druck der Unionisten zu beugen.

Trimble, der sich derzeit weniger als Verhandlungspartner denn als lokaler Vertreter des von George W. Bush ausgerufenen »Krieges gegen den Terrorismus« zu begreifen scheint, erwiderte, er habe ohnehin jedes Vertrauen in die Republikaner verloren. Ihre Verbindungen zur kolumbianischen Farc-Guerilla und die jüngste Einladung von Mitgliedern der baskischen Eta zum Parteitag der Sinn Fein würden die terroristische Ausrichtung unterstreichen. Gery Adams betonte daraufhin, man habe lediglich Vertreter der Eta-nahen Partei Euskadi eingeladen, ebenso Vertreter anderer Organisationen, beispielsweise der PLO. Und die IRA versicherte, sie habe nie Mitglieder nach Kolumbien entsandt oder auf andere Weise versucht, sich in die Angelegenheiten dieses Landes einzumischen.

Trimble übersieht bei seinem momentanten Konfrontationskurs gegen die Republikaner eine Kleinigkeit: Abgesehen von Anschlägen republikanischer Splittergruppen, gab es in den vergangenen vier Jahren keine bewaffneten Operationen der Ira und die Organisation äußert sich explizit zugunsten einer friedlichen Lösung des Konflikts. Mit dem Karfreitagsabkommen besteht sogar ein politischer Rahmen dafür, der nun wegen der Auseinandersetzung über die Entwaffnung und Trimbles simpler Losung »No Guns - No Gouvernment« zu zerbrechen droht.

Doch für die IRA hängt die Demobilisierungsfrage eng mit der geplanten Polizeireform zusammen. Sinn Fein ist inzwischen die einzige Partei der Selbstverwaltung, die das von Premierminister Blair und seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern vorgeschlagene Modell nicht unterstützen will. Zunächst war befürchtet worden, die UUP und die DUP könnten gemeinsam versuchen, die Reform zu kippen, die aus Katholiken und Protestanten paritätisch zusammengesetzte Polizeikräfte vorsieht. Doch nun folgen beide Parteien dem Beispiel der moderat nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP), die schon im August ihre Zustimmung zur Entsendung von Delegierten gab, die die Reform in einer gemeinsamen Kommission überwachen sollen.

John Hume, einer der Urheber des bedrohten Friedensabkommens, gab eine Woche vor dem Ablauf des letzten Ultimatums seinen Rücktritt vom SDLP-Vorsitz bekannt. Der Mitbegründer der Partei nahm 1994 erstmals Kontakt zur Sinn Fein auf, was schließlich zum Karfreitagsabkommen führte. Dafür erhielt er gemeinsam mit David Trimble sogar den Friedensnobelpreis.