Krise der Swissair

Am Boden bleiben

Die Pleite der Swissair beleidigt das Nationalgefühl der Schweizer. Im Land der Banken kritisiert jetzt die Regierung den Neoliberalismus.

I love Swissair« steht auf den Uniformen der fünf Flugbegleiter, die sich um das Wohl der Passagiere an Bord der Swissair-Maschine von Zürich nach Hongkong kümmern. Die Swissair fliegt zwar wieder, nachdem Anfang des Monats zwei Tage lang alle Maschinen am Boden blieben, aber am 28. Oktober soll das Schweizer Vorzeigeunternehmen in seiner bisherigen Form endgültig abgewickelt werden.

Der finanzielle Sturzflug der Swissair hat das nationale Selbstbewusstsein vieler SchweizerInnen erschüttert. Am zweiten Oktober trauten die Wartenden in der Abflughalle des Flughafens Zürich-Kloten ihren Ohren kaum, als sie die Durchsage hörten: »Sehr geehrte Fluggäste. Aus finanziellen Gründen ist es der Swissair nicht mehr möglich, Flüge durchzuführen. Es ist der Swissair auch nicht möglich, irgendwelche Kompensationen an ihre Fluggäste zu zahlen.«

Kurz zuvor hatte es noch geheißen, die Fluglinie warte auf die Auszahlung eines Kredites der Schweizer Großbank UBS. Doch dem Finanzinstitut lag offenbar wenig daran, das aktuelle Tagesgeschäft der Swissair finanziell zu stützen, und so konnten die geforderten Vorauszahlungen für Kerosinlieferungen nicht getätigt werden. Für zwei Tage kam es zum »Grounding aller Swissair-Maschinen« und die Bilder von weinenden Swissair-Angestellten oder von Piloten, die Schweizer Fahnen trugen und verkündeten, »wir würden Sie gerne fliegen«, gingen um die Welt.

Die Bruchlandung erfolgte allerdings nicht aus heiterem Himmel. Die in den neunziger Jahren forcierte »Hunting-Strategie«, also die riskanten Beteiligungen an verschiedenen Fluggesellschaften wie der belgischen Sabena oder der deutschen LTU, hat sich für den Gesamtkonzern SAir-Group nun als verlustreicher Fehler erwiesen. Die Einbußen, die der bereits mit mehreren Milliarden Schweizer Franken verschuldete Konzern in Folge des 11. September hinnehmen musste, führten zu akuten Liquiditätsengpässen und schließlich zum »Schwarzen Dienstag der Schweizer Luftfahrt«.

Seit Ende September hatte eine prominent besetzte Arbeitsgruppe um den ehemaligen Nationalrat und FDP-Politiker Ulrich Bremi fieberhaft nach einer Lösung zur Rettung des Gesamtkonzerns gesucht. Am 30. September beendete das Vorpreschen von UBS und der Crédit Suisse Group diese Bemühungen. Der Deal der beiden Großbanken, den sie mit Swissair-Chef Mario Corti im Beisein des Bundespräsidenten Moritz Leuenberger und des Finanzministers Kaspar Villiger aushandelten, sieht die Herauslösung der Regionalfluggesellschaft Crossair und weiterer rentabler Teilbereiche aus der SAir-Group vor. Der Rest des Konzerns soll aufgegeben und in den Konkurs geschickt werden. Statt Milliardenbeträge in die marode SAir-Group zu pumpen, wollen die Bankiers die Crossair zu einer rentablen Business-Airline ausbauen, in die ein Teil der Flotte und des Personals der Swissair integriert wird. Bis zu 10 000 Arbeitsplätze sollen jedoch gestrichen werden. Geplant ist, dass die Crossair schon ab Ende Oktober zwei Drittel des Swissair-Flugbetriebes übernimmt. Der Staat, der bisher zwölf Prozent an der SAir-Group hielt, wird sich an der neuen Airline nicht mehr beteiligen.

Nachdem sich die Banken zunächst als Retter der Schweizer Luftfahrt geriert hatten, entpuppten sie sich am 2. Oktober als Richter über den Flugbetrieb der Swissair. Während die »neoliberale Verelendungstheorie« der Banken, wie es der Bundespräsident Moritz Leuenberger ausdrückte, die Swissair-Flotte an den Boden band, sei der Bundesrat vor Wut förmlich in die Luft gegangen. Schließlich habe der Bund zuvor für einen Überbrückungskredit zur Aufrechterhaltung des Swissair-Flugbetriebs bürgen wollen. Als sich dann an jenem Dienstag Anfang Oktober das Desaster abzeichnete, war UBS-Chef Marcel Ospel für den Bundesrat jedoch nicht zu sprechen.

Noch nie sei »eine demokratisch gewählte Regierung in der Schweiz von einem Bankier so gedemütigt worden wie am 2. Oktober«, kommentierte Markus Somm im Zürcher tagesanzeiger die Ereignisse. Die direkte Demokratie und das Prinzip der starken kommunalen Eigenständigkeit seien dafür verantwortlich, dass der Einfluss der Wirtschaft auf die Schweizer Politik weitaus größer sei als anderswo, und in keinem anderen Land in Europa nähme der Bundesstaat eine so schwache Rolle ein wie in den vergangenen Jahren in der Schweiz, analysierte Somm die seiner Meinung nach tiefer liegenden Gründe für das Swissair-Debakel.

Die Banken verursachten mit ihrer »neoliberalen Filetlösung« eine Solidaritätswelle mit den Swissair-Angestellten. Die Boulevardpresse ereiferte sich über die »selbstherrlichen, arroganten Bankiers« und machte Ospel zum Buhmann der Nation, sowohl die Crédit Suisse als auch die UBS mussten tausende von Kontokündigungen hinnehmen. Mario Corti hingegen werde von der Belegschaft wie ein Popstar gefeiert, erklärte ein Pilot nach einer MitarbeiterInnenversammlung vergangene Woche.

Während der Buchwert des von den Banken erworbenen Crossair-Aktienpakets bereits nach wenigen Tagen um 160 Millionen Franken zugelegt hatte, stimmte der Bundesrat am 4. Oktober einer Finanzspritze von 450 Millionen Franken für die Wiederaufnahme des Flugbetriebes der Swissair zu. Ob diese Überbrückungsgelder bis Ende Oktober ausreichen, ist allerdings höchst ungewiss und auch, wie die neue Crossair aussehen soll, bleibt noch unklar. Sie tauge in keinem Fall als neues »nationales Symbol«, ist sich Hans-Peter Bieri, Redakteur beim tagesanzeiger, sicher: »Oder wollen wir eine Airline als Schweizer Warenzeichen akzeptieren, die ihre jungen Piloten noch vor kurzem zur Fürsorge schickte, wenn sie um mehr Lohn für ihre wachsende Familie baten?« Die Swissair als Idealbild des Schweizer Unternehmertums und als Paradebeispiel für die Willensnation in den Alpen, gehört in den letzten Tagen zu den nostalgisch eingefärbten, gern gezeichneten Bildern.

Das Swissair-Debakel zeige, was alles passieren könne, wenn die politische Opposition fehle, schreibt Walter Angst in der sozialistischen Wochenzeitung vorwärts. Aber den Schweizer Gewerkschaften fehle es an Mobilisierungsfähigkeit, um eine starke Opposition außerhalb des Wettbewerbskorporatismus zu bilden. In anderen Ländern seien Arbeitskämpfe von Gewerkschaften der Grund, »dass Flugzeuge am Boden bleiben, in der Schweiz sorgen die Banken dafür«, bringt der sozialdemokratische Ständerat und Präsident des Eisenbahn- und Verkehrspersonalverbandes, Ernst Leuenberger, das spezifische Schweizer Kräfteverhältnis auf den Punkt.