Einmal um die ganze Welt

Die Bundesregierung verkündet ein neues Selbstverständnis der deutschen Außenpolitik. Dazu gehören auch militärische Einsätze außerhalb Europas.

Dem britischen Premierminister Tony Blair kann Gerhard Schröder noch immer nicht das Wasser reichen. Zumindest nicht in Washington. Dort attestierte US-Präsident George Bush dem Bundeskanzler vergangene Woche zwar, dass Deutschland ein »großartiger Freund Amerikas« sei. Doch so viel persönliches Lob, wie es Bush drei Wochen zuvor Blair zukommen ließ, erhielt Schröder nicht.

»Ehrenhaft hat der britische Premierminister den Atlantik überquert, um seine Einigkeit mit Amerika zu beweisen. Danke, dass du gekommen bist, mein Freund«, pries der Präsident den britischen Premier wenige Tage nach den Terroranschlägen von Washington und New York im US-Kongress.

Aber auch wenn Berlin im Wettstreit um die höchsten Sympathiewerte bei der US-Regierung noch hinter London zurückstehen mag, hat Rot-Grün in der von Außenminister Joseph Fischer spöttisch als »Schönheitswettbewerb« bezeichneten innereuropäischen Konkurrenz mächtig aufgeholt. Ein »neues Selbstverständnis deutscher Außenpolitik« verkündete Schröder am Donnerstag im Bundestag. Und Forderungen nach einer Beschränkung Deutschlands auf »sekundäre Hilfsleistungen« wies der Kanzler mit Verweis auf die Scheckbuchdiplomatie Hans-Dietrich Genschers und Helmut Kohls unzweideutig zurück. »Diese Etappe deutscher Nachkriegspolitik ist unwiederbringlich vorbei.«

Eindeutiger könnte der Bruch mit der Außenpolitik seines Vorgängers Kohl nicht ausfallen. Während Bush senior den CDU-Kanzler vor zehn Jahren noch bescheiden als »partner in leadership« gelobt hatte, schickt Schröder sich nach den Anschlägen in den USA an, Deutschlands weltpolitische Rolle ganz neu zu definieren. Dazu zählt nicht zuletzt die Emanzipation auf militärischem Gebiet.

»Gerade wir Deutschen«, so Schröder in seiner Regierungserklärung, hätten »nun auch eine Verpflichtung, unserer neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden. Das schließt - und das sage ich ganz unmissverständlich - auch die Beteiligung an militärischen Operationen zur Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten, zur Herstellung von Stabilität und Sicherheit ausdrücklich ein.«

Wichtiger noch als die unmittelbare Bereitstellung militärischen Geräts für den Afghanistan-Einsatz aber, über die wegen eines Berichts in der Bild bei Schröders USA-Besuch spekuliert worden war, dürfte Berlins Führungsrolle auf diplomatischem Gebiet sein.

So berichtete die Frankfurter Allgemeine, dass die intensivierten Kontakte Deutschlands zum Iran im Weißen Haus begrüßt worden seien, Fischers Vermittlungstätigkeit im Nahost-Konflikt sei sogar ausdrücklich gelobt worden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die FAZ hier eher der Interpretation von Schröders außenpolitischem Berater, Michael Steiner, folgte, liegt diese Position der US-Administration nahe. Nach monatelangem Zögern befürwortet Bush inzwischen offen die Gründung eines palästinensischen Staates. Um in Israel nicht weiter an Ansehen zu verlieren, könnte ihm eine stärkere Vermittlerrolle Fischers im Friedensprozess deshalb durchaus gelegen kommen.

Auch bei der Durchsetzung der »neuen deutschen Außenpolitik« kommt Fischer eine entscheidende Rolle zu. Während Schröders Part vor allem darin besteht, die Erinnerung an den wegen Auschwitz dringend gebotenen Verzicht Deutschlands auf internationale Militäreinsätze innenpolitisch weiter zurückzudrängen, forciert Fischer seine Konzeption der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp). Die Europäische Union soll als handlungsfähiger politischer und ökonomischer Block etabliert werden, der die USA auf diesem Gebiet besser früher als später ablösen kann. »Ich halte überhaupt nichts davon, die USA für ihre Stärke zu kritisieren. Es ist vielmehr Europa, dessen Schwächen wir angehen und überwinden müssen«, erklärte Fischer im Februar in München auf der Konferenz für Sicherheitspolitik.

Dass für Rot-Grün eine konkurrenzfähige EU ohne den ausdrücklich erklärten deutschen Führungsanspruch nicht vorstellbar ist, wird in Berlin längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen. Der Spiegel zitiert in diesem Zusammenhang einen Mitarbeiter des Kanzleramts, der von einer Übergangsphase »zwischen der rein nationalen und der europäischen Politik« spricht.

Und in der Tat dürfte Fischers achttägige Reise durch Mittelasien und den Nahen Osten beidem dienen. Neben der Stärkung der deutschen Vormachtstellung in der EU soll auch deren weltweiter Gestaltungsanspruch auf politischer und diplomatischer Ebene bekräftigt werden. Es ist offensichtlich, dass die Vertiefung der bereits glänzenden wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Saudi-Arabien, den Palästinensern und dem Iran ebenso auf Fischers Agenda stehen wird wie die Schaffung größerer Akzeptanz für eine Vermittlertätigkeit Europas in Nachbarstaaten Afghanistans wie Pakistan oder dem Iran.

Das haben die Europäer auch dringend nötig. Wie schwer sich die europäischen Regierungen damit tun, ohne den militärischen Beistand der USA zu agieren, zeigt sich auch in Mazedonien. Zwar liegt das Oberkommando für die Operation »Amber Fox« beim deutschen General Gunnar Lange, doch ohne die Infrastruktur der USA - sowohl bei der strategischen Aufklärung durch Satellitensysteme wie im Bereich der Logistik sind die rund 1 000 Soldaten auf Nato-Unterstützung angewiesen - könnten die EU-Staaten ihre Truppen gleich wieder abziehen.

Außerdem ist der politische Auftrag der Mazedonien-Truppe kaum vergleichbar mit der Rolle, den die Sfor und die Kfor in Bosnien und im Kosovo spielen. Während dort Militärs unverhohlen als Protektoratsmacht auftreten, haben die Soldaten in Mazedonien einen eher bescheidenen Auftrag. Ähnlich wie die Ende 1998 in Mazedonien stationierte Nato-Schutztruppe »Extraction Force« vor Beginn des Jugoslawien-Krieges abgestellt war, einen möglichen Rückzug der OSZE-Mission aus dem Kosovo zu sichern, so dürfen die »Amber Fox«-Kämpfer nun lediglich eingreifen, wenn die rund 300 EU- und OSZE-Beobachter von Übergriffen bedroht sind.

Für Rot-Grün hat der Mazedonien-Einatz allerdings noch eine andere Bedeutung. Erstmals steht mit General Lange ein deutscher Militär an der Spitze internationaler Streitkräfte. Ein halbes Jahr nach der Vorlage des neuen Material- und Ausrüstungskonzeptes für die Bundeswehr erfährt die von Schröder beschworene militärische Einsatzbereitschaft endlich die ersehnte praktische Probe. Denn in dem nach Expertenschätzungen 200 Milliarden Mark teuren Aufrüstungsprogramm »für die Streitkräfte der Zukunft« sind nicht nur die geplanten Neuanschaffungen der Bundeswehr bis zum Jahr 2015 aufgeführt, auch dem strategischen Wandel der Berliner Außen- und Militärpolitik wird in dem Papier Rechnung getragen.

So soll die 7 400 Mann starke Division für spezielle Operationen (DSO), der unter anderem das Kommando Spezialkräfte (KSK) unterstellt ist, spätestens 2004 einsatzbereit sein. Und zwar in der ganzen Welt, wie der Inspekteur des Heeres, Helmut Willmann, in einem Beitrag für die Fachzeitschrift Europäische Sicherheit erklärte. »Wir vollziehen mit der Struktur jetzt nach, was wir mental und in der Wirklichkeit auf dem Balkan schon geleistet haben: Den Wandel von der Friedens- zur Einsatzarmee.«

Auch wenn es US-Präsident Bush mit einem militärischen Engagement Deutschlands in Afghanistan nicht so eilig hat wie der Bundeskanzler, wird er sicherlich nicht vergessen, welche Freundschaften der »großartige Freund« jenseits des Atlantiks sonst noch pflegt. Ataollah Mohadscherani etwa, der außenpolitische Berater des iranischen Präsidenten Muhammad Khatami, erklärte am Wochenende, Deutschland sei das Land in Europa, zu dem der Iran die besten Beziehungen habe. Und zwar sicherlich nicht nur auf militärischem Gebiet.