Biometrische Erkennungssysteme

Subjekte in Auflösung

In naher Zukunft sollen biometrische Erkennungsmethoden zum Einsatz kommen. MigrantInnen werden die ersten Versuchspersonen sein.

Den Phantasien von Bundesinnenminister Otto Schily zur Inneren Sicherheit sind gegenwärtig keine Grenzen gesetzt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er Ende September im ARD-»Morgenmagazin« neben der Rasterfahndung und der Verschärfung der Asylgesetze auch ganz neue Methoden versprechen konnte: »Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir auch andere Identifizierungsverfahren nutzen«. Gemeint waren damit biometrische Verfahren.

Biometrische Erkennungssysteme ermöglichen die Identifizierung von Menschen anhand ihrer Körpermerkmale, Bewegungsabläufe und Verhaltensweisen. Die Analysen von Gesichtszügen, der Iris, der Fingerabdrücke und der Handgeometrie gehören dabei zu den ausgereiftesten Methoden.

Aufsehen erregte Ende Januar der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware der US-Firma Viisage Technologies beim Super Bowl in Tampa, Florida. 75 000 Zuschauer wurden beim Eintritt in das Football-Stadion gefilmt und mit einigen tausend Fotos aus lokalen und staatlichen Fahndungskarteien verglichen. Das Ergebnis: 19 Kleinkriminelle wurden erkannt und landeten in den Armen der Justiz.

Hätte die Auswertung bis vor ein paar Jahren noch einem gigantischen Memory-Spiel geglichen, benötigt die Software von Viisage gerade noch eine Millisekunde pro Identifizierungsversuch. Sie basiert auf einem mathematischen Vergleich. Dabei werden in einem ersten Schritt auf der Grundlage von möglichst vielen Archivaufnahmen einer Person Gesichtsmerkmale erkannt und in Algorithmen berechnet. Aus ihnen erwächst eine Matrix, das so genannte Eigengesicht. Im zweiten Schritt wird das Foto einer noch nicht identifizierten Person mit den gespeicherten Eigengesichtern verglichen. Oberflächliche Veränderungen wie Bärte oder Sonnenbrillen sind für das Programm kein Hindernis. Stellt die Software Übereinstimmungen fest, erfolgt die Verifikation mittels des Vergleichs der aktuellen Aufnahme mit dem gespeicherten Foto der Person.

Als erste Stadt in den Vereinigten Staaten ist Tampa seit Juli mit einem flächendeckenden permanenten Überwachungssystem ausgerüstet. Und auch in Europa wird die Software schon angewandt. Im Londoner Stadtteil Newham wurde die Software eingeführt, nachdem sich 93 Prozent der EinwohnerInnen in einer Abstimmung dafür ausgesprochen hatten, wie Focus Ende Juli berichtete. Am Zürcher Flughafen ist die Anwendung des Programms ebenfalls in Planung. Dort befürchtet Projektleiter Max Baumberger jedoch »riesige Diskussionen in der Öffentlichkeit. Und das ist das Letzte, was wir wollen.«

Auch Firmen in Deutschland beteiligen sich nach Kräften an dem boomenden Geschäft. Die Greifswalder Morphosoric AG hat ein Gerät entwickelt, das im Bruchteil einer Sekunde Fingerabdrücke identifizieren kann. Das Bochumer Unternehmen ZN GmbH ist europäischer Marktführer für Gesichtserkennungssysteme.

Firmengründer Christoph von der Malsburg war zuvor am so genannten Feret-Programm des US-Verteidigungsministeriums zur Entwicklung von Gesichtserkennungstechnologien maßgeblich beteiligt. In der Zeit skizzierte er Anfang August die Einsatzmöglichkeiten seiner Überwachungsprogramme auch im kommerziellen Bereich. Zu seinen Visionen gehören elektronische Reklametafeln, auf denen Werbeinhalte erscheinen, die auf zuvor gescannte Personen abgestimmt sind. Diese könnten dann sogar persönlich angesprochen werden.

Wenn in Deutschland der Einsatz solcher Softwareprodukte erwogen wird, begnügt man sich nicht mit der Aussicht, Flughäfen sicherer zu machen oder ein paar kleine Gauner zu fangen. Die technischen Möglichkeiten werden sofort gegen MigrantInnen gewendet. Eines der erfolgreichsten Produkte von ZN, Phantomas, wurde unter anderem schon im Auftrag einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom Ausländeramt Trier getestet. In einer Versuchsanordnung, die »nur geklärte Identitäten umfasste«, wie Amtsleiter Dietmar Martini-Emden der Jungle World versicherte, wurden alte Passfotos von AsylbewerberInnen mit aktuellen Aufnahmen verglichen. Die Ergebnisse bezeichnete Martini-Emden als brauchbar. So könnten Asylsuchende, die keinen Pass besitzen und aus diesem Grund nicht abgeschoben werden können, möglicherweise gespeicherten Passfotos zugeordnet werden. Die Behörden wollen damit außerdem verhindern, dass AsylbewerberInnen eine andere Identität annehmen können. Deshalb werden auch von allen die Fingerabdrücke gespeichert.

Zur künftigen Umsetzung der getesteten Möglichkeiten in die Praxis gibt sich Martini-Emden zuversichtlich: »Es sind zwar noch nicht alle technischen und rechtlichen Aspekte geklärt - das wird aber vor der aktuellen Diskussion sicherlich noch einmal neu bewertet.«

Der Sicherheitsdiskurs in Deutschland hat sich nach den Anschlägen vom 11. September nicht nur verschärft, er wird vor allem ideologischer geführt. Sicherheitspolitische Detailfragen treten in den Hintergrund und die aktuelle Diskussion wird dazu benutzt, repressive Maßnahmen umzusetzen. Sie richten sich, wie aktuell deutlich wird, in erster Linie gegen MigrantInnen. Die zur Begründung herangezogenen so genannten Schläfer sind zwar potenziell deckungsgleich mit den idealen Greencard-AnwärterInnen (Jungle World, 41/01), das macht die angestrebten Gesetzesverschärfungen in der Flüchtlingspolitik jedoch nicht weniger praktikabel.

Auf der ideologischen Ebene sind Vorschläge wie jener, Flüchtlinge bereits dann abzuschieben, wenn sie schwerer Straftaten lediglich verdächtigt werden - was nichts anderes bedeutet als die Abkehr vom rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung -, oder die erläuterten biometrischen Überwachungsmethoden dazu geeignet, ein Klima zu schaffen, in dem jede Subjektivität den vermeintlichen Sicherheitsbedürfnissen des Kollektivs untergeordnet wird. Das machten auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder auf einem Sondertreffen am 1. Oktober in Bonn deutlich. In ihrer Erklärung warnen sie »vor übereilten Maßnahmen, die keinen wirksamen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung leisten, aber die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger einschränken.«

Die Auswirkungen von Otto Schilys Vision von Innerer Sicherheit treffen sich hier mit Roland Kochs Rede von der nationalen Identität. Beide argumentieren auf verschiedenen Terrains, aber ihre Grundlage ist dieselbe.

Links zum Thema Biometrie: www.aktuelle-kamera.org/inf/biometrik.html