Reaktionen in der arabischen Welt auf die US-Angriffe

Symphonie des Terrors

Nach den ersten Luftschlägen gegen die Taliban häufen sich in der arabischen Welt antiisraelische und antiamerikanische Ressentiments.

Wer macht den arabischen Ländern die schönsten Zugeständnisse auf Kosten Israels? Nicht nur auf rhetorischer Ebene ist hier einiges im Gange. Der Kampf gegen den Terrorismus wäre fast gewonnen, käme es zu einer Einigung zwischen den Konfliktparteien im Nahen Osten - mit dieser Einschätzung punktete Bundeskanzler Gerhard Schröder im diplomatischen Wettstreit, der sich in den letzten Tagen zwischen Großbritannien und Deutschland entwickelte. Der britische Premierminister Tony Blair seinerseits erklärte in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Ägypten, der nahöstliche Friedensprozess sei entscheidend für den Abbau der Spannungen in der Folge des Angriffs auf Afghanistan.

Deutlicher als Blair brachte Schröder auf den Punkt, was die arabischen Diskussionen um eine Beteiligung an der so genannten Anti-Terror-Koalition seit Wochen bestimmt. Die israelische Politik, so die Argumentation, unterdrücke die Palästinenser, raube den Menschen in der Region die Zukunft und treibe sie damit in den Terror.

Fast gleichzeitig mit dem Treffen zwischen Blair und dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak brachte Schröder gegenüber dem jordanischen König Abdullah bei dessen Besuch in Berlin die Bereitschaft zum Ausdruck, eine arabische Beteiligung an der Koalition mit umfangreichen Gegenleistungen zu belohnen. Die positiven Reaktionen auf die deutlichen Worte des Kanzlers wurden dabei selbst durch das beständige Drängen der Bundesregierung nach einer militärischen Beteiligung Deutschlands an den Angriffen auf Afghanistan nicht getrübt. Auch die gegenwärtigen Repressalien und Übergriffe gegen Araber und Muslime in Deutschland änderten nichts am dicken Lob, das der König der Bundesregierung für die gelungene Integration der muslimischen Gemeinde aussprach.

Eine Kritik an den »Anti-Terror-Maßnahmen« im Innern wäre von jordanischer Seite auch unglaubwürdig gewesen. Das jordanische Regime sah sich schon lange vor den Anschlägen in den USA gezwungen, mit harten Repressalien gegen die nationalistischen und islamistischen Oppositionsgruppen vorzugehen. Ähnlich wie Mubarak hat sich auch der jordanische König in den letzten Monaten mit diversen Einschränkungen politischer Freiheiten hervorgetan. Auch die kürzlich durchgesetzten Verschärfungen des jordanischen Pressegesetzes lassen sich als Versuch deuten, die deutliche Ablehnung der Regierungspolitik in der Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Die Demonstrationen islamistischer Studenten an der Universität in Amman, die sich am letzten Donnerstag erstmals seit den US-Angriffen auf Afghanistan auf die Straßen wagten, machten den Widerstand gegen die Regierungspolitik sichtbar.

Auch in den palästinensischen Autonomiegebieten häuften sich die Proteste. Noch am Montag letzter Woche hatten die palästinensischen Sicherheitskräfte mit der Tötung von drei Demonstranten diese Proteste vorläufig unterdrückt. Am Freitag fanden Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern unterschiedlicher Fraktionen statt. Sie richteten sich unter Beteiligung von Fatah-Funktionären wie Marwan Barghouti nicht mehr allein gegen die Angriffe auf Afghanistan, sondern auch gegen die Politik Yassir Arafats. Die Verhaftung des Herausgebers einer Zeitung, die als Sprachrohr des Islamischen Djihad gilt und den Tod der drei Demonstranten kritisiert hatte, dürfte diese Stimmung noch weiter verstärken. Der palästinensische Informationsminister Abed Rabbo berief sich auf das »nationale Interesse«, um die Behinderungen palästinensischer wie internationaler Medien zu rechtfertigen.

In Ägypten erreichte der Protest mit einer Demonstration nach dem Freitagsgebet vor der bedeutenden al-Azhar-Moschee einen neuen Höhepunkt. Nach den mittlerweile täglich stattfindenden Demonstrationen an den staatlichen Universitäten breitete sich der Protest damit auch unter Nicht-Studenten weiter aus. Nach der Predigt des Scheichs der al-Azhar-Moschee, Muhammad Said al-Tantawi, in der dieser die Anschläge in New York und Washington ebenso wie die Übergriffe auf Muslime kritisierte, forderten zwei führende Vertreter der verbotenen Moslembrüderschaft und der islamistischen Arbeitspartei die Demonstrierenden zum »Djihad gegen Amerika und den Zionismus« auf.

Die Feierlichkeiten zum Jahrestag des Oktoberkriegs gegen Israel 1973 waren schon zuvor angesichts der Ereignisse der letzten Wochen in kleinerem Rahmen als in den letzten Jahren vorbereitet worden. Die Medienberichte über »20 Jahre Errungenschaften des Präsidenten Hosni Mubarak« wirkten wie eine nur mäßig gelungene Imagekampagne einer Regierung, deren Popularität seit den Anschlägen in den USA weiter gesunken ist.

Selbst in der von der Regierung kontrollierten Presse fanden sich Kommentare, in denen die Stabilität der moderaten arabischen Regimes, deren Namen nicht ausdrücklich genannt wurden, bezweifelt wurde. Wenn die USA ihre Außenpolitik nicht überdächten, so al-Ahram Weekly, riskierten sie nicht nur das Leben ihrer unschuldigen Bürger, sondern zudem das Überleben der gemäßigten Regimes in der Region.

Während sich die Proteste in Ägypten und Jordanien auf die Opposition beschränken, gehört die Ablehnung der Militärschläge gegen Afghanistan zu den offiziellen Positionen Syriens. Anders als noch vor zehn Jahren, als es den USA um eine Koalition gegen den Irak ging, zeigte sich Syrien in den letzten Wochen widerwillig, von seiner Ablehnung der Anti-Terror-Koalition abzurücken. Zwei Umstände spielen dabei eine Rolle. Zum einen die immer wieder geschürten Befürchtungen, Syrien könnte wegen seiner Unterstützung von Terrorgruppen - wie etwa der im Libanon operierenden Hisbollah - selbst zum Ziel militärischer Angriffe werden.

Zum andern die Wahl der neuen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, die in der vergangenen Woche stattgefunden hat. Mit großer Mehrheit wurde Syrien schließlich ohne deutliche Proteste der USA oder der EU-Staaten in den Sicherheitsrat gewählt. Das dürfte den westlichen Druck auf das despotische Assad-Regime weiter vermindern. In der iraelischen Tageszeitung Jerusalem Post wurde diese Wahl kurzerhand mit der Wahl eines Gangsters in eine Behörde zur Überwachung der Polizei verglichen.

Die Position des Assad-Regimes hingegen verdeutlichte das syrische Regierungsblatt Tishrin: »Syrien hält wie die anderen arabischen und islamischen Staaten jede politische oder militärische anti-terroristische Aktion für nutzlos, wenn sie sich nicht gegen Israel richtet.« Die wiederholte Ankündigung George W. Bushs, er werde die Errichtung eines palästinensischen Staats unterstützen, hatte für einige Unruhe gesorgt, weil das syrische Establishment wieder einmal fürchtet, bei eventuellen Kompromissen zwischen Israel und der PLO außen vor zu bleiben.

Welche Befürchtungen die meisten der anwesenden Regierungsvertreter bei den beiden Konferenzen in der vergangenen Woche in Doha - dem Treffen der Außenminister der Arabischen Liga und der anschließenden Versammlung der Organisation der Islamischen Konferenz - bewogen haben dürfte, sich mit allzu deutlichen Positionierungen zurückzuhalten, lässt sich hingegen nicht exakt bestimmen.

Allein zwei Forderungen schienen von den meisten Teilnehmern unterstützt zu werden: Den Begriff Terrorismus auf die israelische Politik auszudehnen und den USA und Großbritannien deutlich zu machen, dass der Angriff auf ein weiteres arabisches oder islamisches Land von der Anti-Terror-Koalition ausgeschlossen werden müsse, um den öffentlichen Widerstand zu minimieren. Ein Angriff auf den Jemen, den Libanon, Sudan, Syrien oder den Irak, welche als potenzielle Ziele in einer zweiten Phase des erklärten Anti-Terror-Krieges gelten, würde nach Auffassung der Regierungsvertreter fatale Folgen für die Regimes haben.

Während Jordanien insbesondere den Irak dazu aufrief, weitere Provokationen der USA und Großbritanniens durch »kontraproduktive und unkluge Aktionen und Erklärungen« zu unterlassen, sah man sich in Syrien in den Tagen nach der Wahl in den US-Sicherheitsrat nicht dazu veranlasst, besondere Zurückhaltung zu üben. Genüsslich wurde die Wahl in der Staatspresse als »Antwort auf die Symphonie des Terrorismus der amerikanischen Regierung und der zionistischen Kräfte« gefeiert.