Stefan Wiedemann vom Berliner Drogennotdienst

»Drogen bahnen sich immer ihren Weg«

Aus Afghanistan stammen etwa drei Viertel des gesamten Opiums der Welt. Nimmt man noch das asiatische Myanmar hinzu, so produzieren die beiden Länder etwa 90 Prozent. Das bringt Afghanistan rund zwölf Milliarden Dollar Umsatz im Jahr. Der Krieg rüttelt das Marktgeschehen jedoch kräftig durcheinander. Verlierer der Krise könnten die Heroinabhängigen in Europa sein. Stefan Wiedemann ist Mitarbeiter des Berliner Drogennotdienstes.
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Afghanistan gilt als bedeutendstes Anbaugebiet für Mohn und als wichtigster Opiumlieferant. Hat der Krieg, der momentan stattfindet, Auswirkungen auf den Handel?

Das ist zumindest mittelfristig denkbar. Es wird Auswirkungen auf den Anbau geben, auf die Bedingungen für den Transport und sicher auf den Vertrieb in Europa. Letztlich könnten auch die Konsumenten von diesen Entwicklungen betroffen sein.

Es heißt, die afghanischen Produzenten räumen ihre Lager, von einem Schlussverkauf ist die Rede. Angeblich seien günstige Zeiten für die Käufer angebrochen.

Das kann ich so nicht bestätigen. Zumindest für Berlin kann ich sagen, dass es noch keine Auswirkungen auf die Preise gibt. Wegen der unsicheren Versorgungssituation könnten die Händler ihre Ware zurückhalten. Das muss dann nicht unbedingt Auswirkungen auf den Preis für den Endverbraucher haben, sondern schlägt sich eher in der Qualität des Stoffes nieder.

In unserer Einrichtung berichteten uns Klienten schon über einen Qualitätsabfall. Schwankungen in der Stoffqualität können allerdings auch andere Ursachen haben und sind durchaus üblich. In jedem Fall ist das gefährlich, denn Verunreinigungen im Stoff führen schnell zu Thrombosen und Abszessen. Und die Unberechenbarkeit der Qualität der Droge kann leicht zu ungewollten Überdosierungen führen.

Wie stellen sich die Drogenhilfeeinrichtungen in Deutschland auf diese Situation ein?

Es ist schwierig, präventiv auf solche Entwicklungen zu reagieren, da sich veränderte Bedingungen in den Herkunftsregionen unter Umständen erst nach Monaten auf den hiesigen Markt auswirken. Bis dann eine Anpassung der Drogenhilfemaßnahmen erfolgt, gehen vermutlich weitere Monate ins Land. Das System ist leider nicht sehr flexibel. Eine Voraussetzung, um das zu ändern, wäre die Legalisierung des Drugcheckings.

Kann es sein, dass irgendwann der Nachschub ausbleibt und die Quelle versiegt?

Kaum. Der Drogenmarkt ist extrem anpassungsfähig. Auch bei der Verschiebung der Hauptproduktionsstandorte aus Südostasien in die Region des »Goldenen Halbmonds«, also nach Pakistan, Afghanistan und Iran, hat es in den Achtzigern an Nachschub nie gemangelt. Die Stoffqualität kann sich allerdings verändern, weil andere Produzenten andere Verarbeitungsverfahren anwenden und die Mohnpflanze sehr anfällig auf unterschiedliche klimatische Bedingungen reagiert.

Was würde es bedeuten, wenn es zu einer Veränderung des Machtgefüges in Afghanistan käme?

In Afghanistan hat der Mohnanbau eine sehr lange Tradition. Da wird sich nicht einfach von heute auf morgen alles ändern. Unsichere Machtverhältnisse begünstigen zunächst einmal die Produktion. So konnte Afghanistan die Führung auf dem Weltmarkt überhaupt nur im Kontext des Guerillakrieges gegen die sowjetische Besatzung erlangen. Die Kolonnen, die US-Waffen aus Pakistan zu den Mudschaheddin nach Afghanistan brachten, hatten auf dem Rückweg Opium aus den Gebieten hinter dem Khyber-Pass geladen. Die Verarbeitung in Pakistan wurde von der CIA geduldet. Später, unter den Taliban, kam es auf Druck des Drogenkontrollprogramms der Uno im letzten Jahr zu einer starken Reduzierung des Mohnanbaus. Dies hatte die Ausweitung der Produktion in den von der Nordallianz kontrollierten Gebieten zur Folge.

Was ist, wenn die Taliban nach dem Krieg immer noch an der Macht sind?

Es kommt darauf an, ob sich das künftige Regime dem internationalen Druck beugt oder selbst ein vielleicht religiös motiviertes Interesse an einer weiteren Eindämmung des Mohnanbaus hat. Oder ob gerade infolge des Krieges auf diesen für Afghanistan wichtigsten Wirtschaftsfaktor nicht verzichtet werden kann. An den »Drogenbörsen« Pakistans wird bereits mit den Auswirkungen des aktuellen Krieges spekuliert. Manche rechnen bei einem Sieg der Nordallianz mit einer Verbesserung der Produktionsbedingungen, weil sie bisher keine Maßnahmen gegen den Anbau ergriffen hat.

Problematisch dürfte angesichts des Belagerungszustandes Afghanistans auch die Ausfuhr sein.

Richtig. Zum Beispiel durch die Einbindung der in den zentralasiatischen GUS-Staaten stationierten russischen Truppen in den Krieg gegen die Taliban. Diese Soldaten spielten in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle beim Transit der Drogen aus dem Norden Afghanistans nach Europa. Wenn mehr Schmiergeld nötig wird, treibt das den Preis hoch oder führt zu einer Verlagerung der Handelsrouten.

Die hohen Drogenpreise entstehen nur zum geringen Teil bei der Produktion. Es geht vor allem um den schwierigen Transport, an dem alle, die ein Auge zudrücken, kräftig mitverdienen wollen. Letztlich zeigen die Erfahrungen, dass sich der Krieg gegen die Drogen nicht gewinnen lässt, weil sie sich immer ihren Weg bahnen, solange die Nachfrage groß genug ist.

Am Mohnanbau hängen sicher auch viele Existenzen.

Ein völliger Zusammenbruch des Opiumhandels würde natürlich unzählige Kleinbauern in die Not stürzen und Afghanistans Exportwirtschaft praktisch zum Erliegen bringen. Auch Pakistan wäre betroffen. Dort wurden 1999 mit Heroin etwa elf Milliarden Dollar umgesetzt, das sind 30 Prozent mehr als der gesamte Staatshaushalt. Mit dem Anbau eines Hektars Weizen lässt sich gerade mal ein Gewinn von 1200 US-Dollar jährlich erzielen, ein Hektar Mohn bringt dagegen rund 5000 US-Dollar ein. Gerade ist ja die Zeit der Mohnaussaat und da werden sich viele überlegen, ob sie nicht wieder verstärkt in die Opiumproduktion einsteigen.

Können die Bauern denn auf Vorräte zurückgreifen?

Vermutlich haben viele Afghanen eine Reserve angelegt. Gut verpackt, verdirbt Opium nicht so schnell und kann, wenn es darauf ankommt, leicht zu Geld gemacht werden.

Auch Cannabis kommt ja aus Afghanistan. Müssen wir uns, was das betrifft, Sorgen machen?

Cannabis wurde mittlerweile in vielen Regionen der Erde kultiviert, inzwischen sogar in holländischen Treibhäusern und Neuköllner Garagen. Die Bedeutung der Cannabisproduktion in Afghanistan ist im Vergleich zum Opiumexport schon seit Jahren rückläufig. Das liegt einfach daran, dass Opium höhere Gewinnspannen verspricht.

Reagiert die Bundesregierung auf die Entwicklungen im »Goldenen Halbmond«?

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Preis- und Qualitätsentwicklung hierzulande dürften vor allem die Verschärfungen der Sicherheitsgesetze haben. Schärfere Grenzkontrollen und die rassistische Stimmungsmache gegen Menschen aus dem arabischen Raum dürften sich negativ auf die Einfuhr und die Verkaufsbedingungen auswirken. Das wird jedoch nicht zu einer Verringerung des Konsums führen, sondern nur zur Erhöhung der Gefahren beim Heroingebrauch.

Haben die aktuelle Terrorhysterie und die verschärften Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland bereits Folgen für Junkies?

Im Zuge der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen, zu der auch die verstärkte Überwachung des öffentlichen Raums zählt, wird es sicher zur weiteren Verdrängung und Stigmatisierung von Drogengebrauchern kommen. Bei der Deutschen Bahn gibt es bereits Bestrebungen, die Essensausgabe der Bahnhofsmissionen zu verbieten. Angeblich erhöhe das die Sicherheit. Die Sicherheit und das Wohlbefinden meiner Klienten erhöht es jedenfalls nicht.