Ermittlungen ins Blaue

Das zweite so genannte Sicherheitspaket von Otto Schily steht. Die Kompetenzen des BKA werden erweitert und biometrische Daten werden in Pässe aufgenommen.

Das war deutlich: »Je mehr man schickt an Sicherheitspaketen, umso unsicherer fühlen sich die Menschen.« Diese Warnung der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis, die Vorhaben zum Ausbau der inneren Sicherheit nicht völlig zu übertreiben, sind offensichtlich nicht nur auf taube Ohren gestoßen. Nach dreitägigen zähen Verhandlungen einigte sich die rot-grüne Koalition am vergangenen Wochenende auf ein von Otto Schily vorgelegtes Kompromissangebot zum zweiten so genannten Anti-Terror-Paket.

Schily hatte seinen zuletzt von verschiedenen Seiten kritisierten Entwurf doch noch entschärft. Vor allem das Vorhaben, dem Bundeskriminalamt (BKA) ohne Verdacht und ohne Anweisung von Anklagebehörden Ermittlungen zu ermöglichen, die so genannte Initiativermittlungskompetenz, ist vorerst vom Tisch. Die Kompetenzen des BKA sollen allerdings erweitert werden. Zunächst zeitlich auf die kommenden fünf Jahre begrenzt, soll das BKA leichter Informationen zur Verhütung von Straftaten sammeln können und dafür nicht mehr den Umweg über Landespolizeien nehmen müssen. Zudem soll nur ein biometrisches Merkmal, wie Fingerabdruck oder Gesichtsmaße, in die Ausweispapiere aufgenommen werden. Welches Merkmal das sein wird, soll der Bundestag entscheiden. »Wir wollen, dass das mildeste Mittel gewählt wird«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller.

Die von Schily anfangs vorgelegten, viel weiter reichenden Pläne zur Erfassung der Bevölkerung anhand biometrischer Daten und die geplante Initiativermittlungskompetenz des BKA waren von Datenschützern, Richtervereinigungen und selbst von Politikern der SPD als überzogen und verfassungswidrig kritisiert worden. »Gegenwärtig wird ohne Rücksicht auf das grundrechtliche Übermaßverbot vorgeschlagen, was technisch möglich scheint, anstatt zu prüfen, was wirklich geeignet und erforderlich ist«, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder von vergangener Woche. Eine Europaabgeordnete der Grünen, Elisabeth Schroeter, verglich Schilys Vorhaben gar mit der Praxis der Staatssicherheit der DDR. Und der Chaos Computer Club verstieg sich zu einem revisionistischen Vergleich und sprach von einem »elektronischen gelben Stern«.

Aller Kritik zum Trotz hat das Bundeskabinett seit dem 11. September ein Bündel von Gesetzesentwürfen verabschiedet, die weit in grundgesetzlich garantierte Rechte eingreifen. Kaum eine der Maßnahmen steht dabei in einem direkten Zusammenhang mit dem Ziel der »Bekämpfung des islamischen Terrorismus«. Bei der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sagte deren Vorsitzende Bettina Sokol am vergangenen Freitag, sie sehe keinen Zusammenhang zwischen der Terrorbekämpfung und der Aufnahme biometrischer Daten in den Personalausweis.

Nach den Entwürfen des Innenministeriums sollten künftig nicht nur der Fingerabdruck, sondern auch Iris- und Gesichtsmerkmale sowie die Handgeometrie vermessen und erfasst werden. Dies wurde nun in der Koalitionsvereinbarung entschärft. Aber weniger der bloße Abdruck als die Speicherung der Daten in so genannten Referenzdateien birgt die eigentliche Gefahr. Denn während die biometrische Totalerfassung der Bevölkerung an der technischen Unzulänglichkeit der Behörden scheitern dürfte, könnte sich die Speicherung derartiger Informationen als Datenpool für die Verfolgungsbehörden grundsätzlich durchsetzen.

Verwendung finden derartige Dateien nicht nur bei den Ermittlungsbehörden, sondern auch in Ausländerämtern und den Visaabteilungen deutscher Botschaften. Betroffen wären in erster Linie nicht Bürger, die ihren Fingerabdruck auf Biergläsern und Telefonhörern hinterlassen, sondern jene, die der systematischen Datenerfassung der Behörden ohnehin unterliegen: Flüchtlinge und Migranten.

Bereits jetzt dient die Erfassung des Fingerabdrucks bei Flüchtlingen dazu, abgelehnte Asylbewerber an einer Wiedereinreise unter anderem Namen zu hindern. In der Diskussion um den »gläsernen Bürger« wurde gerne darüber hinweggesehen, dass der Abgleich bereits vorhandener Daten zwischen dem BKA, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und dem Ausländerzentralregister den eigentlichen Kernbestand der vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen darstellte.

Angaben von Asylsuchenden über politische Aktivitäten im Herkunftsland, die zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erhoben wurden, sollen den Verfolgungsbehörden zur Erstellung von Personenprofilen und zur Ermittlung verdächtiger Personengruppen dienen. Sowohl die Einführung einer elektronischen Spracherfassung bei der Beantragung von Asyl oder eines Visums sowie die Speicherung der Religionszugehörigkeit standen auf Schilys Wunschzettel. Das wurde sogar vom SPD-geführten Justizministerium als verfassungswidrig bezeichnet. Der Republikanische AnwältInnenverein kritisierte, dass »es die Ausländereigenschaft alleine ist, die Ansatz und auslösendes Moment für weitreichende Maßnahmen ist.« So hat auch der sächsische Innenminister Klaus Hardraht (CDU) Otto Schily verstanden. Er schlug vor, den Fingerabdruck im Ausweis vorerst nur bei Ausländern einzuführen.

Um die demnächst zu erwartende Informationsflut effektiv nutzen zu können, bedarf es einer zentralisierten Polizeibehörde. Schilys Pläne liefen darauf hinaus, eine solche durch die Änderung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt zu schaffen. Das BKA sollte in seinen Ermittlungen nicht mehr wie bisher an das Vorliegen »zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte« für eine Straftat gebunden sein, sondern bereits im »straffreien Vorfeld« krimineller Handlungen aktiv werden können.

Schily entschärfte dann aber am vergangenen Wochenende auch diesen Teil seines Gesetzesvorschlags, worauf es zu einer Einigung mit den Grünen kam. Mit der geplanten Kompetenzerweiterung könnte das BKA dennoch den Bereich der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung übernehmen, der nach dem Grundgesetz den Landespolizeibehörden vorbehalten ist. Es war ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der sich gegen eine zu starke Verlagerung von Kompetenzen der Landeskriminalämter auf das BKA und damit gegen die Schaffung eines »deutschen FBI« aussprach.

Aber erst die Möglichkeit zur verdachtsunabhängigen Ermittlung würde das BKA zur pauschalen Überwachung von Datennetzen, Zahlungsvorgängen und Grenzübertritten ermächtigen. Und die Schaffung einer zentralen Polizeibehörde stellt die Voraussetzung für weitere geplante Maßnahmen dar, wie für die Nachfolgeregelung des Fernmeldeabhörgesetzes, die um die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten privater Internetprovider erweitert wurde. Aufgeschoben ist also nicht aufgehoben.

Grundsätzlich beinhalten die so genannten Sicherheitspakete die Tendenz, den Zugriff des Staates vom Täter auf »denkbare« Tätergruppen zu verlagern. Die Maßnahmen der Bundesregierung sind darauf zugeschnitten, Personen aufzuspüren, die sich keiner konkreten Straftat schuldig gemacht haben. Verdacht wird geweckt durch das, was man ist, unabhängig davon, was man tut. Die grundsätzliche gesellschaftliche Akzeptanz von Eingriffen dieser Art ist momentan groß. Die Mehrheit der Bevölkerung geht davon aus, nicht gemeint zu sein.