Politik ist Terror

Die EU-Institutionen diskutieren, wie politische Vergehen als Terrorismus gefasst werden können. Die USA präsentieren derweil Europa ihre eigenen Wünsche.

Er solle ihm mitteilen, »was zu tun sei«, hatte Guy Verhofstadt George W. Bush höflich gebeten. Kurz nach den Anschlägen vom 11. September hatte der belgische Premierminister dem amerikanischen Präsidenten als derzeitiger EU-Ratspräsident und damit als ranghöchster Vertreter der Europäischen Union die »uneingeschränkte Solidarität« der EU versichert.

Einen Monat später war es so weit. Am 16. Oktober schrieb der Repräsentant der US-Regierung in Brüssel, James Foster, einen Brief an Guy Verhofstadt und an den EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi. In dem Schreiben macht Foster der Brüsseler Spitze klar, wie nach Meinung Bushs die »EU-Beteiligung am internationalen Kampf gegen den Terrorismus« aussehen soll.

Der amerikanische Wunschzettel platzte mitten in die letzten Vorbereitungen für den EU-Gipfel am 19. Oktober in Gent. Gerade auf diesem Treffen wollten die Regierungschefs der 15 EU-Staaten demonstrieren, wie schnell und effizient sie handeln können, wenn es wirklich darauf ankommt. Ganz oben auf der Tagesordnung stand nämlich der europäische Aktionsplan gegen Terrorismus. Darin enthalten sind immerhin 67 Maßnahmen, die alle nahezu beschlussreif sind.

Doch dieses Anti-Terror-Paket wird in dem US-Schreiben mit keinem Wort erwähnt. Ganz so, als sei man in der EU bislang untätig geblieben, schreibt sich die US-Regierung ihre Wünsche frei von der Seele und listet ihrerseits einen 47 Punkte langen Maßnahmenkatalog auf. Dabei geht es in erster Linie um eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Justiz. US-amerikanische Richter sollen künftig direkt und sogar mündlich Anfragen an ihre europäische Kollegen richten dürfen, um sich die nötigen Unterlagen und Zeugenaussagen in einem Fall besorgen zu können. Europol müsste demnach den USA alle Informationen über terroristische Straftaten liefern, dieser Austausch soll nach einem Wunsch der USA auch auf »andere Kriminalfälle« ausgedehnt werden. Mutmaßliche Terroristen sollen an die USA ausgeliefert werden. Der Status einer politischen Straftat, mit dem eine Auslieferung verhindert werden könnte, soll abgeschafft werden. Zudem wollen die USA einen schnellen Zugang zu Informationen von Banken und anderen Finanzinstitutionen.

Ohne Scheu vor einer Einmischung in europainterne Angelegenheiten beschränken sich die US-Forderungen nicht auf die transatlantische Zusammenarbeit. Auf der Liste werden auch rein innereuropäische Maßnahmen aufgeführt. Etwa die Einführung einer europäischen Direktive gegen Geldwäsche oder die Verstärkung des Informationsaustausches zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. »Danke, darauf sind wir auch ganz alleine gekommen«, bemerkte ein europäischer Diplomat pikiert in der französischen Tageszeitung Le Figaro.

Neben der verletzten Diplomaten-ehre stellt die Anfrage die EU vor ernsthafte Probleme. »Die in den USA vollstreckte Todesstrafe verstößt gegen geltendes EU-Recht«, kommentierte der EU-Sprecher Jonathan Faull die Forderung nach der Auslieferung von Straftätern. »Denn die EU-Staaten haben die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet.«

Störend sei weniger der Inhalt, sondern vor allem der Ton und die Methode, versuchten jedoch EU-Diplomaten vergangene Woche die ersten Irritationen herunterzuspielen. »Wir werden nicht Punkt für Punkt auf diese Liste reagieren«, so ein Sprecher der Kommission am vergangenen Donnerstag. Die US-amerikanische Liste entspreche »in vielem« den Aktionen, die die EU im Rahmen ihres Anti-Terror-Pakets vorgesehen habe.

Seit Wochen diskutieren EU-Minister über das geplante Anti-Terror-Programm. Ziel ist es, bis zum EU-Gipfel in Laken, der die belgische Präsidentschaft der EU beenden wird, das fertige Paket vorzustellen. Eine einheitliche Definition der Straftaten, die als »terroristisch« bezeichnet werden, eine Liste von terroristischen Vereinigungen und ein europäischer Haftbefehl sind nur einige der Punkte des EU-Rahmenprogramms.

Die Gespräche darüber finden wie üblich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Durchsickern konnte in den letzten Wochen dennoch, dass sich längst nicht alle EU-Staaten mit einer gemeinsamen Definition des Begriffs Terrorismus leicht tun. Eine solche gesetzliche Festlegung gibt es bislang nur in sechs der 15 EU-Staaten: in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Portugal und Spanien. Vor allem die skandinavischen Länder scheinen Probleme mit den bisherigen Vorschlägen zu haben. Tatsächlich würden die Gesetze, die sie auf der Basis des EU-Rahmenprogramms auf der nationalen Ebene umzusetzen hätten, sehr weitgehend in ihre bisherige Rechtsprechung eingreifen.

Nachdem die Kommission Ende des letzten Monats ihre Maßnahmenvorschläge vorgestellt hatte, kam Mitte Oktober eine weitere Steilvorlage des Rats für Justiz und Inneres (siehe auch Jungle World, 40/01). Im Kommissionsentwurf wurden zu einem terroristischen Angriff Aktionen gezählt, die darauf abzielen, »die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen eines Landes ernsthaft zu verändern«. Der Rat ersetzte »verändern« durch »beeinflussen«. Irland und Großbritannien wollen sich sogar dafür einsetzen, dass das Wort »ernsthaft« entfällt.

Eine solch weit gefasste Definition würde Proteste wie in Göteborg oder Genua mit einschließen, schreibt die NGO Statewatch in ihrem Statement zu den Anti-Terror-Projekten der EU. Auch Organisationen wie Amnesty International haben inzwischen darauf hingewiesen, dass einige der EU-Vorschläge möglicherweise gegen fundamentale Menschenrechte wie die Versammlungsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen.

Der Artikel 3 des vorgeschlagenen Rahmenprogramms sieht beispielsweise vor, die »gesetzeswidrige Besetzung oder Beschädigung von staatlichen Einrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlichen Plätzen oder Besitzes« als terroristischen Akt mit vier Jahren Gefängnis zu bestrafen. Das könnte, so Amnesty, DemonstrantInnen treffen, die vorübergehend ein öffentliches Gebäude »besetzen«. Ein weiteres Beispiel: Artikel 3.1. schreibt den EU-Mitgliedstaaten vor, künftig »die Werbung für, das Unterstützen von oder die Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe« als terroristische Tat einzustufen und sie mit bis zu sieben Jahren Gefängnis zu bestrafen.

Die Interpretationen dieses Artikels könnten sehr unterschiedlich ausfallen, kritisiert Amnesty International. Selbst Personen, die lediglich die Ziele einer terroristischen Vereinigung erläutern wollten oder entsprechende Dokumente veröffentlichten, könnten ins Visier der Gerichte geraten. Trotz der laufenden Diskussionen über derart einschneidende Gesetze hält sich der Protest sowohl auf Minister- als auch auf nichtstaatlicher Ebene in ganz Europa in Grenzen.

Die Minister kämen in ihren Verhandlungen sehr gut voran, versicherte unterdessen Guy Verhofstadt in der vergangenen Woche den Abgeordneten im Europaparlament in Straßburg. »In Sachen europäischer Haftbefehl wage ich sogar, von einem Durchbruch zu sprechen.« Allerdings, so heißt es aus Brüssel, sei auch hier die Lesart nicht einheitlich. Während die einen für den europäischen Haftbefehl eine breite Anwendung wollen und lediglich eine Liste definierter Straftaten ausgenommen wissen will, wollen andere den Haftbefehl auf eine Liste mit bestimmten Straftaten beschränken. Solche Unstimmigkeiten gilt es auf den nächsten Ministertreffen bis Mitte Dezember zu beseitigen.

Auch an die Adresse der USA konnte Verhofstadt in Straßburg Hoffnungsvolles verkünden: »Die Vorschläge der USA wurden diskutiert, und wir haben beschlossen, unseren Aktionsplan, wenn nötig, zu verstärken.« Bleibt noch das Problem der drohenden Todesstrafe bei einer Auslieferung. »Bislang gibt es kein EU-Recht zur Auslieferung«, meint Kommissionssprecher Leonello Gabrici. Solche Fragen seien bilateral geregelt. Das bleibe auch nach der Einführung des europäischen Haftbefehls so. Gabrici ist optimistisch: »Das, was wir gegen den Terrorismus tun wollen, wird das Leben der Europäer vereinfachen und es uns erleichtern, mit den USA zusammenzuarbeiten.«