Die Folgen der Anschläge auf die USA

Schwärzer als schwarz

Während al-Qaida zu einem Faktor der Weltinnenpolitik wird, verfällt die deutsche Linke in Depression.

Warum heißt es eigentlich, dass die Anschläge vom 11. September reaktionär seien? Reaktionär - das hat den Beigeschmack des Rückständigen, des historisch (eigentlich) Erledigten. Reaktionär kommt von Reaktion, und die Reaktion ist nie die ursächliche, Initiative ergreifende Handlung. Sie ist immer etwas Abgeleitetes. Wer so den jüngsten Terror charakterisieren will, liegt daneben. Vielmehr ist es so, dass al-Qaida sich durch die Anschläge als weltpolitischer Faktor etabliert hat. Vielleicht haben sich die islamistischen Terroristen dabei vom Vorgehen, sagen wir: der Eta inspirieren lassen.

Verunsicherte linke Liebhaber baskischer Folklore werden sich gefragt haben, warum die Eta vor einigen Jahren den Waffenstillstand aufkündigte. So viel ist doch bereits von den Nationalisten für die Region erreicht worden. Wäre jetzt nicht die Zeit gekommen, sich auf zivilen Ungehorsam und den legalen politischen Teil der Bewegung zu verlassen? Mit Terror gewinnt man nicht die Sympathie und das Verständnis der Massen.

Aber es geht nicht um Sympathie, sondern um Politik. Und auf der politischen Ebene geht das Spiel der nationalistischen Terroristen zumindest potenziell auf. Sie destabilisieren Spanien, erhöhen die Repression, das Schmiermittel für Identitätspolitik, den Nährstoff der Solidarität. Sie zwingen gemäßigte baskische Politiker zu einem Changieren zwischen Nationalismus und Staatsbürgertreue und stützen sich auf die klammheimliche Freude der Bevölkerung. Das Ergebnis ist die Vertiefung der Entfremdung zum Nationalstaat und perspektivisch gesehen der Gewinn größerer Autonomie. Reaktionär ist das Verhalten der Eta nicht, es ist politisch hochaktuell.

Wir leben in Zeiten der Globalisierung, das Wissen über solche Strategien zirkuliert frei, warum sollte sich Ussama Bin Laden nicht von der Eta inspirieren lassen? Nur, dass er das Spiel nicht in einem nationalstaatlich begrenzten Rahmen spielt, sondern global. Die Anschläge vom 11. September waren Weltinnenpolitik.

Denn wo steht geschrieben, dass Bush, Blair und Fischer das Monopol darauf haben? Alles spricht dafür: der Eiertanz der arabischen und islamischen Welt zwischen einer Verurteilung des Terrors und der Distanz zu den USA, die Spaltung zwischen der islamischen Welt und dem Westen (aber auch jene in den islamischen Ländern zwischen Regierung und Bevölkerung), die weltweite Schadenfreude. Bin Laden hat es sogar geschafft, dass Bush in seinen Beteuerungen, nichts gegen den Islam zu haben, ihn mindestens als ebenbürtigen Akteur auf der weltpolitischen Bühne anerkennt.

Wer sagt, dass der 11. September eine Folge bzw. ein Produkt der Globalisierung ist, bewegt sich bereits in antiamerikanischen Denkmustern (und die sind tatsächlich reaktionär). Denn diese Rede setzt voraus, dass die Globalisierung von Agenten betrieben wird, dass sie ein planmäßig in Szene gesetzter, besonders fieser politökonomischer Schachzug ist. Sie ist aber nicht nur Ideologie, sondern auch Realität jenseits der Think Tanks des State Departments. So gesehen sind die Anschläge die Globalisierung par excellence.

Mag sein, dass die Dorftrottel der Taliban gegen die Globalisierung sind. Bin Laden ist es nicht. Wenn US-Generalstabschef Richard Meyers erklärt, dass der Krieg in Afghanistan »ein kleiner Teil des Kampfes der USA gegen Terrorismus und Massenvernichtungsmittel« ist, dann muss man davon ausgehen, dass für al-Qaida das gleiche, nur unter umgekehrten Vorzeichen, gilt. Afghanistan ist für sie nur ein Teil des weltweiten Djihad. Gefährlich daran ist, dass der Konflikt verstärkt in ein Stadium der Deregulation gerät. Das kann man an einem anderen, noch lokal begrenzten Konflikt demonstrieren.

Nehmen wir mal an, der folgende Satz stimmt: Die Israelis verkaufen den Palästinensern ihre Waffen. Das wäre nicht mal halb so zynisch, wie es sich liest. Das israelische Militär ginge von der Tatsache aus, dass die Palästinenser den militärischen Konflikt suchen und dazu Waffen brauchen. Ehe sie bei den Syrern oder beim Irak einkaufen, verkauft das israelische Militär das benötigte Gerät. So bleibt das Geld im Land und man weiß um die Wirkung der Waffen.

Keine Ahnung, ob die Geschichte stimmt. Wäre dem so, zeugte das vom Bemühen, den Konflikt in berechenbaren, regulierten Bahnen zu halten. Das wäre eine Voraussetzung dafür, den Konflikt irgendwann politisch zu lösen. Es liegt auf der Hand, dass Arafat diese Bahnen verlassen will, er setzt zum einen auf eine Irrationalisierung, zum anderen auf die Internationalisierung, also die Globalisierung, wohl wissend, dass dann der Konflikt nicht mehr als »Terror vs. Besatzungsmacht« sondern als »Kampf zweier Nationen« verhandelt wird. Damit wäre der Konflikt dereguliert, und einer ungehemmten nationalistisch-antisemitischen Dynamik innerhalb der palästinensischen Bevölkerung wäre der Boden bereitet.

Polemisch gesagt: Wo Arafat hin will, ist Bin Laden schon längst. Er und sein rhizomatisch organisiertes Netzwerk sind dem unmittelbaren Zugriff der CIA entglitten. Nun müssen die Amerikaner in einem Szenario operieren, in dem das Wissen über effektive Terrorwaffen frei flottiert und z.B. bei arbeitslosen KGB-Biowaffenspezialisten eingekauft werden kann.

Es fällt auf, dass in diesem Szenario eine Gruppe fehlt: die Linke. Auf der weltpolitischen Bühne gibt es sie seit zwölf Jahren nicht mehr. Immer dann, wenn die Weltpolitik nicht vor unseren Bücherstuben und Wohnzimmern halt macht, verfällt sie in Depression und Konfusion. Die Linke, zumal die deutsche, ist nämlich ein Kind der Regulation.

Seit dem Scheitern der Weltrevolution vor 80 Jahren und spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich die Linke im Ost-West-Schema bewegt, sie ist ein Produkt dieser eingerichteten Welt. Weil sich die Linke nur sehr langsam mit ihrer Geschichte und ihrer Positionierung in Zeiten der Regulation und der Blockkonfrontation auseinandersetzt und sich nicht auf die Dialektik einlässt, dass sie kulturell ein Produkt Amerikas war, wie es Klaus Theweleit formuliert, und politisch eines der DDR, wie es Georg Fülberth und Hermann L. Gremliza sagen, wendet sie auch heute noch blind die Muster der Regulation an. Sie lädt dann wahlweise alles Übel den Amerikanern auf oder entdeckt ausgerechnet jetzt die Zivilgesellschaft. Allerdings kann man hier seit der Wiedervereinigung nicht mehr so ohne weiteres Antiamerikaner und Zivilgesellschaftler sein - diese Träumerei hat sich schon mit Napoleon erledigt.

Eine andere Gruppe von Linken schlägt einen dritten Weg ein, den einer negativistischen Geschichtsphilosophie. Sie handeln frei nach Tucholskys Motto, wonach alles schlechter wird, nur eines wird besser: Die Moral wird schlechter. Es sei daran erinnert, dass schon früher Linke gerne von Isolationsfolter sprachen. Als ob der Begriff der Isolationshaft nicht schon genug vom Horror erzählt.

Für sie ist mit Beginn jener verflixten zwölf Jahre alles permanent am Zusammenbrechen. Sie malen schwarz in schwarz. Passiert dann wie am 11. September die Katastrophe tatsächlich, überschlägt sich bei einigen Gruppen zwischen Krisis und Bahamas die Rhetorik. So viel Untergang war selten. Vielleicht wäre es am besten gewesen, wenn sie und meinetwegen auch die Jungle World oder die konkret leere Seiten veröffentlicht hätten, als »Eingeständnis ihrer Sprachlosigkeit« (Wolfgang Pohrt).

Dass die Katastrophe Sprachlosigkeit evoziert ist die eine Sache - und eine angemessene Reaktion der Trauer. Nicht angemessen ist die Sprachlosigkeit als Produkt der Schwarzmalerei. Die Schwarzmalerei macht es unmöglich, den Terror auch als Neubestimmung weltpolitischer Handlungskoordinaten zu verstehen. Keine Ahnung, welche Eingriffsmöglichkeiten daraus für die Linke folgen. Aber dass der hochtechnologisierte Kapitalismus (und nicht die Wiederkehr der paschtunischen Stammesgesellschaft) die Entstehungsbedingung des Sozialismus sein wird, sollte allen klar sein.

Zum Trost gibt es aber wenigstens historische Vorläufer und Vorbilder der heutigen Linken. Zum Beispiel den Grafen Gustav von Schlabrendorf. Der zog 1789 nach Paris und engagierte sich für die Revolution. Der Guillotine entkam er nur durch einen Zufall. 1804 veröffentlichte er den »Anti-Napoleon«, eine radikal demokratische Kritik des Bonapartismus, die, absolut unüblich für die Zeit, ohne deutsch-reaktionäre Tendenzen auskam. Er, der hochgebildet war, blieb den Rest seines Lebens in Frankreich. Nach Deutschland schrieb er konspirative Briefe: »Wenn ihr die Revolution macht, dann müsst ihr mich holen.«

Seine Biografin Bertha Badt meinte: »Er ist niemals heimgekommen. Im Lesen, Schreiben, Denken und immer mehr Besuchen, unter denen sich Hochadelige mit Straßenräubern mischten, neigten sich seine Tage dem Ende zu. Keine Hand rührte sein Zimmer an; der Staub ward immer höher, sein Bart immer länger, sein Schlafrock immer zerrissener. Die Mäuse bekamen Bürgerrechte in seinem Quartier.«

Er starb 1824. Im Juli 1830 ereignete sich die zweite französische Revolution.