Tadschikistan und der Krieg

Besuch für Rachmanow

In Tadschikistan bemühen sich Delegationen aus den USA, der EU und Russland um die Unterstützung der Regierung. Doch der Afghanistan-Krieg könnte das Land weiter destabilisieren.

Seit Beginn der Angriffe auf Afghanistan ist auch das internationale Interesse an den abgelegenen zentralasiatischen Staaten, die wenig Öl und Erdgasvorräte haben, gestiegen. In Tadschikistan geben sich hochrangige Politiker und Delegationen aus den USA, der EU und Russland seit einigen Wochen die Klinke in die Hand.

Am Wochenende besuchte eine EU-Delegation mit dem belgischen Außenminister Louis Michel die Hauptstadt Duschanbe, gefolgt von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Nur wenige Tage zuvor hatte der US-Gesandte General Tommy Franks mit dem tadschikischen Präsidenten Emomali Rachmanow verhandelt. Auch Außenminister Joseph Fischer sprach Ende Oktober mit der tadschikischen Regierung.

Die russische Regierung befürchtet, durch die Bündnispolitik der USA an Einfluss auf die ehemalige Sowjetrepublik zu verlieren. So bemühte sich auch der russische Präsident Wladimir Putin nach Duschanbe und unterstrich die militärische Unterstützung durch eine Verlängerung des russischen Truppenmandates zur Sicherung der Grenze zu Afghanistan. Die in Tadschikistan stationierte 21. russische Division bleibt zunächst die einzige ausländische Truppe im Land. Präsident Rachmanow will von tadschikischem Territorium aus nur humanitäre Hilfsflüge der USA gestatten.

Für die tadschikische Regierung ist das internationale Interesse erfreulich. Die konkurrierenden Mächte dürften jetzt eher geneigt sein, Tadschikistan wirtschaftlich zu unterstützen. Das Land ist wie Afghanistan von einer Dürre betroffen, und durch den Zustrom von Flüchtlingen aus Afghanistan hat sich die Versorgungslage weiter verschlechtert. USA und EU-Staaten haben humanitäre Hilfe für Tadschikistan zugesagt.

Die neue Lage birgt aber auch Gefahren für die innenpolitische Stabilität. Islamistische Organisationen sind in Tadschikistan fest etabliert, und die Taliban haben gedroht, den Krieg über die Grenzen nach Zentralasien zu tragen. Russische Truppen an der Grenze wurden bereits mehrfach von afghanischem Territorium aus beschossen.

Auch nach der Unabhängigkeitserklärung von 1991 konnte sich Tadschikistan dem Einfluss Moskaus nicht ganz entziehen. In einigen kaukasischen und zentralasiatischen Gebieten, die verwüstet und entvölkert waren, etablierten sich Warlords, Milizen und Paramilitärs. Schon 1992 begann in Tadschikistan ein Bürgerkrieg zwischen den reformfeindlich-konservativen Ex-Kommunisten und den islamisch orientierten Oppositionellen. Diese setzten sich aus einem gemäßigten und einem radikalen Lager zusammen: der Islamischen Renaissance Partei (IRP) und der Bewegung der Islamischen Wiedergeburt.

Der Konflikt wurde erst 1997 nach der Unterzeichnung eines Rahmenabkommens in Moskau, das die Bildung einer paritätisch mit Angehörigen beider Lager besetzten Nationalen Versöhnungskommission beinhaltete, vorerst beigelegt. Russland konnte seinen Einfluss auf Tadschikistan stärken, musste aber akzeptieren, dass die prorussischen Regierungsparteien den Oppositionellen Zugeständnisse machten. Im Gegenzug verzichtete die islamische Opposition zumindest vorläufig auf die Errichtung eines islamischen Staates. Dafür erwartet sie jedoch die Anerkennung als legale Opposition.

Der Konflikt um das von der Regierung etablierte Klientelsystem, das viele Bevölkerungsgruppen benachteiligt, blieb jedoch ungelöst. Auch die ökonomischen Folgen des Bürgerkrieges sind noch immer spürbar. 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die Infrastruktur wurde zerstört, die Schwerindustrie ist durch fehlende Investitionen fast lahmgelegt. Ausländische Investoren zeigen bislang wenig Interesse, sich in Tadschikistan zu engagieren.

An weiteren Reformen und einem Dialog mit den Oppositionskräften haben die Regierungsparteien kaum Interesse. Rachmanow verlässt sich darauf, dass sich die zersplitterte Opposition auch in Zukunft nicht gegen ihn vereinigen wird. Gefährlicher ist die regionale Zersplitterung und die Bildung lokaler Machtzentren. Der tadschikische Historiker Rachim Masow sagt: »Hier besteht kein Nationalgefühl, denn jedes Tal hat seine eigene Identität. Unser Regionalismus folgt der Topografie unseres Landes, weil wir in Bergtälern wohnen und im Winter die Pässe verschneit sind, sind auch wir Tadschiken einander entfremdet.«

Warlords und radikale Islamisten tragen ihre Konflikte mit der Zentralregierung teilweise gewaltsam aus, eine Tendenz, die sich durch den Afghanistan-Krieg verstärken könnte. Anschläge auf Regierungsmitglieder sind keine Seltenheit in Tadschikistan. Dem jüngsten Attentat fiel am 8. September der Kulturminister Abdurachim Rachimow zum Opfer. Die verbotene Islamische Befreiungspartei (Hizb-ut-Tahrir) rief jüngst in ihren Flugblättern sogar zum Mord an Ungläubigen auf.

Die weiterhin gespannte innenpolitische Situation zwingt die Regierung zur Vorsicht im Afghanistan-Krieg. Auch die gemäßigte islamische Opposition verurteilt den Krieg. Said Abdullah Nuri, Vorsitzender der IRP, bezeichnete die Bombardierung als »Angriff auf das afghanische Volk«. Einen Schulterschluss mit den militanten Islamisten lehnt Nuri ab, er warnte sogar davor, diese könnten die Lage für Angriffe in Tadschikistan nutzen.

Wie alle zentralasiatischen Staaten laviert auch Tadschikistan zwischen Russland und den USA. Trotz der gemeinsamen Feindschaft gegenüber dem Taliban-Regime konkurrieren beide Staaten um die Gunst der Regierungen in der Region. Die USA hatten schon während der Präsidentschaft William Clintons Zentralasien zu einer »Zone lebenswichtiger amerikanischer Interessen« erklärt. Durch forcierte wirtschaftspolitische Reformen sollen Unabhängigkeit und Wohlstand erreicht und durch internationale Zusammenarbeit soll Konflikten vorgebeugt werden. Die russische Regierung befürchtet nun, dass die USA den Afghanistan-Krieg nutzen, um sich Militärstützpunkte zu sichern und die Position amerikanischer Energiekonzerne zu stärken.

Für die autoritären Regierungen Zentralasiens bedeutet das seit Beginn des Afghanistan-Krieges gewachsene Interesse zunächst eine politische Aufwertung. Das ohnehin immer sehr vorsichtige Drängen der USA auf Demokratisierung ist ebenso verstummt wie die Kritik an Übergriffen gegen tatsächliche und vermeintliche islamistische Oppositionelle.

Der in Aussicht gestellte Wohlstand aber lässt auf sich warten, und die Konflikte in der Region eskalierten schon vor dem Afghanistan-Krieg, vor allem durch den Guerillakrieg der international operierenden Islamischen Bewegung Usbekistans (Jungle World, 30/01). Die Folgen des Afghanistan-Krieges könnten die zentralasiatische Region weiter destabilisieren, denn die an kriegstaktischen und geopolitischen Interessen orientierte US-Politik setzt eine Strategie fort, die in anderen Regionen islamistische Kräfte meist gestärkt hat: Die Unterstützung autoritärer Herrschaftssysteme, gegen die islamistische Organisationen sich als pseudodemokratische Opposition profilieren können.