Neue Anti-Terror-Maßnahmen

Patrioten an der Heimatfront

Schnüffeln, Abschieben, Inhaftieren - und das weitgehend ohne Kontrollmöglichkeiten der Justiz: Das neue »Antiterror-Paket« der USA hat es in sich.

Den Namen des seit dem 25. Oktober gültigen, neuen Antiterrorgesetzes der USA muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: »USA Patriot Act«. Das steht für »Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism«, zu deutsch: Gesetz zur Einigung und Stärkung Amerikas durch Bereitstellung angemessener Mittel zur Unterbindung und Behinderung des Terrorismus.

Selten zuvor wurde ein derart umfangreiches Gesetzespaket in so kurzer Zeit entworfen, verabschiedet und unterzeichnet. Im Senat wurde das Gesetz mit 98 zu einer Stimme angenommen, im Repräsentantenhaus lautete das Abstimmungsergebnis 357 zu 66. Bedenken werden, wie schon im September, als der Kongress Präsident Bush die Carte Blanche für den Anti-Terror-Krieg ausstellte, beinahe ausschließlich außerhalb des Parlamentes geäußert. Dabei ist der Inhalt des USA Patriot Act höchst brisant.

Das Gesetz erlaubt es, Menschen ohne US-amerikanische Staatsbürgerschaft wegen geringer Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Die richterliche Kontrolle bei Telefon- und Internetüberwachung durch das FBI oder Sonderermittler des Justizministeriums wird faktisch abgeschafft. Regierungsbehörden erhalten das Recht, Hausdurchsuchungen durchzuführen, ohne die betreffende Person darüber zu informieren. Das Justiz- und das Außenministerium erhalten das Definitionsrecht darüber, welche Gruppen in den USA als terroristische Vereinigungen gelten. Ausländische Mitglieder der als Terrororganisationen definierten Gruppen können abgeschoben werden. Banken müssen dem FBI Einsicht in die finanziellen Daten ihrer Kunden gewähren, ohne dass das FBI Beweise für ein Verbrechen vorlegen muss. Der Auslandsgeheimdienst CIA, ohnehin der öffentlichen Kontrolle weitestgehend entzogen, darf auch im Inland spionieren.

Die American Civil Liberties Union (ACLU) gehört zu den schärfsten Kritikern des Patriot Act. Die 1920 gegründete Anwaltskanzlei bezeichnet sich selbst als »eine der konservativsten Organisationen in den USA«. Ihr Ziel ist die bedingungslose Verteidigung der in der Verfassung und der Bill of Rights festgeschriebenen persönlichen Freiheitsrechte. Die Anwälte der ACLU haben gegen rassistische und sexistische Diskriminierung, für das Recht auf Abtreibung und für das Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Adoption von Kindern gestritten. 1933 war die ACLU beteiligt, als das Verbot, »Ulysses« von James Joyce einzuführen, aufgehoben wurde. In der vergangenen Woche erwirkte ein Anwalt der ACLU, der Afroamerikaner David Baugh, die Aufhebung eines Gesetzes des Staates Virginia, das das Verbrennen von Kreuzen verbietet - ein Ritus des Ku Klux Klan zur Einschüchterung von Schwarzen. Diese abstrakt legalistische Definition von Freiheit ist typisch für die ACLU. Der Rekurs auf die in der Verfassung garantierten Freiheitsrechte dominiert die öffentliche Kritik am neuen Antiterrorpaket.

In einer Erklärung der ACLU zum neuen Gesetz heißt es: »Der kürzlich verabschiedete USA Patriot Act behandelt die Judikative als lästiges Hindernis für die Handlungen der Exekutive, nicht als essenzielles Instrument der Rechenschaftslegung.« Der Patriot Act setze die wenig wünschenswerte Praxis des court stripping fort. Court stripping bedeutet, die Rechte der Ermittlungsbehörden auf eine Weise zu erweitern, die die Gerichte in ihrer Funktion als Kontrollinstanz der Exekutive immer wirkungsloser werden lässt. Das neue Gesetz baue, so die ACLU, »auf den zweifelhaften Präzedenzfall auf, den der Kongress vor fünf Jahren festgelegt hat, als er eine Trilogie von Gesetzen verabschiedete, die auf verschiedene Arten die Bundesgerichtshöfe ihrer traditionellen Autorität beraubt, die Verfassung der Vereinigten Staaten durchzusetzen«.

Hier bezieht sich die Organisation auf die 1996 als Reaktion auf den Bombenanschlag in Oklahoma City entstandenen Anti-Terrorism Bill und Effective Death Penalty Act. Beide Gesetze erweitern die Kompetenzen der Regierung und entziehen gleichzeitig wichtige Teile des Strafvollzugs einer Revision durch Bundesrichter, insbesondere bei Todesurteilen. Wenige Monate später verabschiedete der Kongress eine Reform des Immigrationsgesetzes, die zur Abschiebung verurteilte Immigranten wichtiger Revisionsmöglichkeiten beraubt.

»Einige Bestimmungen der Gesetze von 1996 verbieten es den Gerichten, bestimmte Fälle überhaupt anzuhören. In anderen Fällen dürfen Bundesrichter die Ansprüche diskriminierter Kläger zwar anhören, haben aber keine rechtliche Handhabe, um ihnen zu helfen.« Die ACLU kritisiert, dass das verfassungsmäßige Recht auf einen ordentlichen Prozess so unterhöhlt werde.

Analog zu dieser Argumentation funktioniert die Kritik an den Bestimmungen des Patriot Act: Von der Abschiebung bedrohte Immigranten können ab jetzt auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, wenn der Attorney General (eine Mischung aus Justizminister und Generalbundesanwalt) »Grund zu der Annahme« hat, die Person gefährde die nationale Sicherheit. Zwar muss innerhalb von sieben Tagen gegen den Immigranten Klage erhoben werden, diese Klage muss jedoch nichts mit dem Terrorismusvorwurf zu tun haben. Sie kann bspw. auf Verletzung des Aufenthaltsrechtes lauten, was bisher keinen Haftgrund darstellt. Wenn eine Abschiebung wegen drohender Folter ins Herkunftsland nicht möglich ist, weil die betreffende Person staatenlos ist oder das Herkunftsland die Aufnahme verweigert - was recht wahrscheinlich, wenn die Regierung der USA die Person für einen Terroristen hält - kann die Bestimmung dazu führen, dass jemand auf unbestimmte Zeit inhaftiert wird, ohne Gelegenheit zu erhalten, sich wegen des eigentlichen Haftgrundes vor Gericht zu verteidigen. Folglich, so die ACLU, verletzt der Patriot Act die Verfassung der USA, nämlich das Recht auf einen ordentlichen Prozess.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Gesetzespaketes ist die Erweiterung der Abhörrechte des FBI. Das FBI muss den zuständigen Bezirksrichter nunmehr lediglich darüber informieren, dass die Überwachung von Telefonanschluss oder Internetzugang einer Person »relevant für laufende Ermittlungen« sei. Der Richter ist dann dazu verpflichtet, die Genehmigung zu erteilen. Die ACLU kritisiert die Bestimmung als überflüssig: Das FBI habe in dieser Hinsicht bereits weitgehende Rechte; und in den vergangenen zehn Jahren sei es ohnehin nur dreimal vorgekommen, dass ein Richter die Abhörgenehmigung verweigerte. Formalrechtlich gesehen handelt es sich bei der neuen Bestimmung dennoch um court stripping. Der Einwand, dass sich Ermittlungsbehörden jetzt nicht einmal mehr Gedanken darüber machen müssen, ob und wie ein Lauschangriff zu rechtfertigen ist, hat sicherlich auch seine Berechtigung.

Ein FBI-Beamter kann nun praktisch auf Wunsch eine Telefongesellschaft dazu verpflichten, die von einem Anschluss aus gewählten Telefonnummern offen zu legen. Wesentlich erhellender ist dies bei der Überwachung des Internets: Hier können Provider verpflichtet werden, dem FBI eine Liste der IP-Adressen zur Verfügung zu stellen, die von einem bestimmten Anschluss angewählt wurden. So kann das FBI herausfinden, mit welchen Themen sich ein Verdächtiger beschäftigt - ein wesentlich weiter gehender Eingriff in die Privatsphäre als die Überprüfung der gewählten Telefonnummern.

Einer aber ist sicher vor der totalen Durchleuchtung: der Präsident. George W. Bush hat vergangene Woche eine Verordnung unterzeichnet, die den Presidential Records Act von 1978 neu interpretiert. Das Gesetz war als Folge eines Rechtsstreits um die Papiere Richard Nixons entstanden. Es schreibt die Freigabe von Regierungsdokumenten zwölf Jahre nach Ende der Amtszeit eines Präsidenten vor. Die neue Verordnung macht die Veröffentlichung vom Einverständnis sowohl des ehemaligen als auch des amtierenden Präsidenten abhängig. Regierungsberater Alberto Gonzales erklärte der Washington Post, Anlass für die »Neuinterpretation« des Gesetzes sei ein Antrag von Journalisten und Historikern auf Herausgabe von 68 000 Seiten aus der Reagan-Administration. Reagan ist der erste Ex-Präsident, für den der Presidential Records Act greift. Gonzales begründete die Geheimhaltung mit möglichen Bedrohungen für die nationale Sicherheit, die durch Herausgabe der mindestens zwölf Jahre alten Dokumente entstehen könnten. Kritiker hingegen vermuten, dass Regierungsbeamte, die schon für Ronald Reagan und George Bush senior tätig waren und jetzt wieder im Weißen Haus sitzen, durch die Verordnung geschützt werden sollen.