Mordfall Olof Palme

Schuss in den Ofen

Auf das Geständnis folgte prompt der Widerruf: Im Mordfall Olof Palme tappt die Staatsanwaltschaft weiterhin im Dunkeln.

Zumindest die europäischen Verschwörungstheoretiker könnten ein weit angenehmeres Leben führen, gäbe es Lisbeth Palme nicht. Denn die Frau des 1986 ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten, die einzige Person, die nach offiziellen Ermittlungsergebnissen am Tatort zugegen war und demzufolge den Mörder ihres Mannes sah, erklärt bis heute, Christer Pettersson zweifelsfrei als Täter erkannt zu haben.

Ausgerechnet Pettersson. Der Sozialhilfeempfänger und bekennende Alkoholiker, der neugierige Journalisten entweder im Flur des von ihm bewohnten Sozialbaus verhaut oder sie in seiner heruntergekommenen Wohnung im stilecht beschmierten Feinrippunterhemd empfängt, taugt wenig als Mörder des nicht nur in Schweden bekannten und geschätzten sozialdemokratischen Politikers. Denn eine derart prominente Figur wie Palme, der couragiert gegen die unterschiedlichen Übel seiner Zeit vorging, darf nach Meinung seiner Fans nicht ausgerechnet einem verbitterten Loser zum Opfer gefallen sein. Sein Tod muss mindestens von dunklen Mächten befohlen worden sein. Ganz so, als könnten nicht auch hin und wieder prominente Linke von irgendeinem durchgeknallten Mitbürger getötet werden.

Die von den unterschiedlichsten Medien verbreitete Liste der Verdächtigen im Mordfall Olof Palme liest sich demnach wie ein Who is Who der internationalen Bad Guys, nur Ussama bin Laden fehlt, denn den gab es damals noch nicht. Ansonsten sind sie alle versammelt: die kroatische Ustascha in Gestalt ihrer prominenten Frontfigur Miro Baresic, südafrikanische Nazis, die internationale Waffenhändlermafia, die PKK und/oder der KGB, der sich mit der kurdischen Arbeiterpartei zusammengetan haben könnte, um dem CIA eins auszuwischen, ein baltischer Palme-Hasser, die später als Faschistenansammlung bekannt gewordene »Baseball-League« der schwedischen Rikspolitiet, Lyndon La Rouche und ein finnischer Geheimagent.

Der Verdächtigenliste nach zu urteilen, die Verschwörungstheoretiker für überaus seriös halten, müsste am Tatabend ein ziemliches Gedränge vor dem Kino in der Stockholmer Innenstadt geherrscht haben, dessen Spätvorstellung das Ehepaar Palme besucht hatte und in dessen Nähe kurz nach dem Ende der Vorführung am 28. Februar 1986 die tödlichen Schüsse fielen.

Blöderweise erinnert sich Lisbeth Palme bis zum heutigen Tag nicht daran, dass Horden professionell aussehender Agenten ihre Funkgeräte bedienten, als sie und ihr Mann den Heimweg antraten. Sie erinnert sich nur an Christer Pettersson, der ihrer Wahrnehmung nach die tödlichen Schüsse auf Olof abgab und den sie in einer Gerichtsverhandlung ohne Zögern als Täter identifizierte.

Aus Mangel an Beweisen wurde der Angeklagte damals freigesprochen. Letzte Woche erregte er mit einem angeblichen Geständnis jedoch internationale Aufmerksamkeit. In der schwedischen Zeitung Expressen hatte Pettersson verkünden lassen: »Ich ermordete Palme«. Der Journalist, der das vermeintliche Schuldbekentnis aufzeichnete, Gert Fylking, ist zumindest in Skandinavien kein Unbekannter, denn er gilt als enger Freund Petterssons. Am 27. Oktober sah es jedoch kurz so aus, als habe der Boulevardschreiber den großen Coup gelandet. Um 10 Uhr 55 habe Pettersson, der bisher immer den Mord am Ministerpräsidenten geleugnet hatte, den Tathergang zum ersten Mal offiziell anerkannt, gab selbst das Konkurrenzblatt Aftonbladet zu. Damit seien auch gleich zwei frühere Geständnisse bestätigt worden: das von Lars Tingstäm, der kurz vor seinem Tod erklärt hatte, Pettersson mit dem Mord beauftragt zu haben, und das von Sigge Cedergren, der - ebenfalls auf dem Sterbebett - erklärte, Pettersson die Mordwaffe, einen nicht registrierten Revolver, geliehen zu haben.

Pettersson selbst hatte den Vorwurf bisher immer bestritten. Im Juli 1989 war er zwar in einem Indizienprozess verurteilt, in der Revision am 11. November desselben Jahres jedoch freigesprochen worden. Seither hatte Pettersson, so scheint es nun, eine neue Einkommensquelle entdeckt: Wann immer er Geld brauchte, gestand er den Mord, um seine Äußerungen sofort, wenn sich die Polizei dafür interessierte, zu widerrufen.

Nun aber, versicherte Fylking, handele es sich um das erste wirklich ernst zu nehmende Geständnis des Verdächtigen, das zudem durch die Aussage eines Mannes bestärkt werde, der damals in Stockholm einen illegalen Taxibetrieb unterhalten habe - in skandinavischen Metropolen bis heute kein ungewöhnlicher Gesetzesverstoß. Er habe am damaligen Abend Speed gefixt, erklärte der heute über 50jährige Chauffeur, der angab, jahrelang als Informant der Polizei gearbeitet und in der Morduntersuchung Palme als »Zeuge A« firmiert zu haben.

Am Abend des 11. November will er Pettersson gleich viermal gesehen haben, zuletzt gegen 23 Uhr am Kino »Grand«, als Schüsse gefallen seien und er sich instinktiv abgewendet habe, gab der Zeuge jetzt zu Protokoll. Zunächst nahm er an, dass Pettersson, der sich in der Nähe befand, auf ihn gezielt habe. Erst Stunden später sei ihm bewusst geworden, was er da miterlebt hatte.

Damit gliedert sich der Bericht von Zeuge A nahtlos in die Aussagen von Menschen ein, die in den internationalen Medien als Zeugen zitiert werden, weil sie zum Tatzeitpunkt vor dem Kino »Grand« gewesen sein wollen. Manche ließen sich gleich mehrere Jahre Zeit, um ihre Erlebnisse - Männer sprechen in Walkie-Talkies, ehemalige Schulkameraden aus Finnland flüstern Befehle in geheimnisvolle Apparate, Fremde versuchen, sie anzubaggern - zu Protokoll zu geben. Gleichwohl wurden solche diffusen Aussagen immer wieder begeistert gefeiert und in das imaginäre Bewegungsbild am Tatort eingefügt.

Lediglich Lisbeth Palme, die bis heute einzige offizielle Augenzeugin, erklärte Pettersson immer wieder stur zum Mörder ihres Mannes, jenen Pettersson, der sich am Donnerstag letzter Woche in der Fernsehsendung »Folkehemmet«, zu deutsch »Volksheim«, stellte. Nein, er sei es nicht gewesen, erklärte Pettersson dort, er habe im Gegenteil das vom Sender gezahlte Geld gebraucht und deswegen halt »irgendwas« erzählt.

»Christer las den Text und schluckte. Was Lisbeth dazu sagen würde, wollte er wissen. Das wisse ich nicht, antwortete ich wahrheitsgemäß«, beschrieb Fylking sein letztes Zusammentreffen mit Pettersson. Die schwedische Öffentlichkeit sah sich jedoch getäuscht. Zuletzt hatte der ehemalige Angeklagte im Palme-Prozess mehr als umgerechnet 20 000 Mark für ein öffentliches Geständnis verlangt - und bekommen. Anschließend hatte Pettersson alles widerrufen. Und nun wieder das. Der bekannte Rechtsanwalt Leif Silbersky hatte das TV-Interview als »blödsinniges Geschwalle« bezeichnet und auf die ungeahnten juristischen Folgen hingewiesen. »Bisher mag die Polizei unterschwellig die Hoffnung auf eine fundierte Aussage von Pettersson gehabt haben. Nun kann sie nicht einmal mehr darauf vertrauen. Ich sehe schwarz für eine spätere Wiederanklage von Pettersson. Die Mordwaffe wird wahrscheinlich nie gefunden werden, und es ist zudem äußerst unwahrscheinlich, dass ein neuer Mordzeuge auftauchen könnte.« Juristisch gesehen sei dieses Interview ein »großer Schritt rückwärts« gewesen, denn Pettersson werde »nun nie mehr vor Gericht gestellt werden können«.

Ein neuer Tatverdächtiger müsse nur Palmes Ehefrau Lisbeth gegenübergestellt werden, und sie werde »auf jeden Fall sagen, dass es sich nicht um die Person handele, die den Ministerpräsidenten erschoss«. Denn Lisbeth ist schließlich die einzige, die weiß, wer es war.