Die neuen Sparpläne des Berliner Senats

Streichen bei NS-Opfern

Das Land Berlin hat für Rentenzahlungen an religiös oder rassistisch Verfolgte eine Sonderregelung getroffen. Wer aus dieser Gruppe keine sonstige Rente bezieht, erhält eine aus Landesmitteln. Berlin hat aber ein Problem, ein Sparproblem. In der vergangenen Woche sorgte eine Liste der Finanzverwaltung für Aufsehen. Darin sind allerlei Posten versammelt, wo man künftig noch weiter kürzen könne. Zum Beispiel bei den Renten für die Opfer des Nationalsozialismus.

Die SPD verwies darauf, es handele sich nur um ein Verwaltungsdokument auf dem Stand vom 16. Oktober. Dies sei nicht mehr up to date, sagte Christine Peters, eine Sprecherin der Finanzverwaltung gegenüber Jungle World. Eine reine Materialsammlung sei das ohnehin »nicht autorisierte« Dokument, ein bloßer »Stadtstaatenvergleich mit Hamburg, was wir uns noch leisten können.«

Solche Controlling-Listen seien üblich, bestätigt PDS-Pressesprecher Günter Kolodzej, in der Regel würde nur ein Zehntel solcher Vorschläge umgesetzt. Wichtig sei jedoch, wie dann politisch entschieden werde. »Da sitzen ja noch welche von der CDU. Die dürften die Liste dann an die Presse weitergegeben haben.«

Politisch und moralisch verwerflich findet die Liste hingegen Axel Hildebrandt, der Sprecher der Berliner PDS-Vorsitzenden Petra Pau. »Es handelt sich um Rentenzahlungen von 200 bis 700 Mark pro Person, bei einer sehr geringen Gesamtzahl. Wie soll das denn bitte schön relevant für Einsparungen in Milliardenhöhe sein?«

»Ich will einen Bestandsschutz für diese Zahlungen an die NS-Überlebenden«, fordert Irene Runge vom Jüdischen Kulturverein Berlin. Einen Skandal könne sie aber nur ausmachen, wenn die Finanzsenatorin von dieser Liste wisse. »Ansonsten traue ich der Verwaltung gar nicht so viel politische Intelligenz zu.«

Runge sieht die Sache aber eher undramatisch. »Wenn gespart wird, wird eben alles aufgelistet: vom Sportplatz bis zum Schwulenverein.« Das sei nur eine Zahlenspielerei. »Die können doch nicht auf der einen Seite 52 Millionen für das Holocaust-Mahnmal bewilligen, und in der nächsten Woche streichen sie die Opferrenten.« Wirklich Angst hätten nur russische Juden. »Die können manchmal kein Deutsch und lesen daher die Zeitung nicht richtig.«

Einen Protestbrief hat sie trotzdem umgehend losgeschickt. Darin teilt sie ihre Verwunderung mit. Darüber, dass NS-Juristen und SS-Leute sich nie haben sorgen müssen, ob die Rente kommt oder nicht. Nazirenten seien noch vor kurzem bis nach Argentinien überwiesen worden, sagt auch Petra Rosenberg vom Landesverband der Sinti und Roma.

Misstrauen ist also angebracht. Warum sollte ein künftiger rot-grün-gelber Senat nicht einfach mal ein paar NS-Opferrenten streichen? So einfach von der Controlling-Liste, von der »Materialsammlung« runter? Hat man sich vorstellen können, dass eine rot-grüne Bundesregierung mal in den Krieg zieht? Dass sie die Riester-Rente einführt oder so genannte Sicherheitspakete, die der Datenschutzbeauftragte äußerst bedenklich findet?

»Ich liebe Berlin«, sagte Irene Runge kürzlich dem holländischen Sender Radio Netherlands. »Natürlich: Wenn Sie in Deutschland sind, leben Sie immer mit der Vergangenheit.«