Roma-Vertreter soll Haftstrafe in Neuengamme antreten

Anstalt XII

Dem Vorsitzenden des Roma National Congress droht eine Haftstrafe an dem Ort, wo einst Sinti und Roma vernichtet wurden.

Als deutsche Politiker in ihren Ansprachen zum 9. November betonten, auch in Zukunft werde man die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig halten, muss sich dies für Rudko Kawczynski wie eine Drohung angehört haben. Für den Vorsitzenden des Roma National Congress könnte das, was feierlich mit Erinnerung umschrieben wird, zu einem Alptraum geraten. Denn ausgerechnet an dem Ort, wo einst Sinti und Roma vernichtet wurden, soll er eine Haftstrafe verbüßen, in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Vierlande auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers. In Neuengamme, zunächst Außenlager von Sachsenhausen, ab 1940 eigenständig und Hauptlager für Norddeutschland, waren während des Nationalsozialismus etwa 500 Roma und Sinti inhaftiert. »Es ist makaber«, so Kawczynski, »dass ich die Haft ausgerechnet in Neuengamme antreten muss.«

Auch die Vorgeschichte ist - bestenfalls - als makaber zu bezeichnen. Mit Poststempel vom 20. Oktober wurde Kawczynski von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, er habe am 19. November in der Justizvollzugsanstalt Vierlande seine Haftstrafe anzutreten. Bereits 1992 war er vom Amtsgericht Lörrach wegen »Nötigung im Straßenverkehr« zu 50 Tagen Haft verurteilt worden. Allerdings ist Kawczynski kein Raser und Drängler, sondern hat in seiner Funktion als Vorsitzender des Roma National Congress am 9. November 1990 an einem Protestmarsch gegen die Abschiebung von Roma nach Jugoslawien teilgenommen.

An ihrem Vorhaben, vor das Uno-Flüchtlingshochkommissariat in Genf zu ziehen, wurden die Demonstranten allerdings gehindert, bereits am Grenzübergang Basel wurden sie gestoppt, die Einreise in die Schweiz wurde ihnen untersagt. Die Roma blockierten daraufhin den Grenzübergang für sieben Tage. »Das war eine Spontandemo«, sagt Rudko Kawczynski über die Aktion. »Die Polizei hat dann den Autoverkehr umgeleitet, aber damit hatten wir nichts zu tun.« Marko D. Knudsen von Rom News betont, dass aufgrund dieser Aktion mehr als 2 000 jugoslawische Roma Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland erhielten. »Die meisten von ihnen wären im Falle einer Abschiebung in diese Gegend zu diesem Zeitpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach umgekommen. Und aufgrund dieser Demonstration ist Herr Kawczynski zu einer 50tägigen Haftstrafe verurteilt worden.«

Der Prozess ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, wo er seit 1994 anhängig ist. Rudko Kawczynski berichtet, das Amtsgericht Lörrach habe einmal im Jahr angefragt, ob denn nun eine Entscheidung des Verfassungsgerichts vorliege. »Und jetzt kam plötzlich die Ladung zum Haftantritt, obwohl das Verfassungsgericht noch nicht entschieden hat.« Der Anklagevertreter will offensichtlich nicht mehr länger auf ein Urteil aus Karlsruhe warten. »Das Verfassungsgericht hat zwar unsere Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes zur Entscheidung angenommen, aber das hat keine aufschiebende Wirkung. Es ist absurd, aber nach sechs Jahren hat es jetzt plötzlich die Staatsanwaltschaft Lörrach eilig, obwohl Karlsruhe dieses Jahr angefangen hat, den Vorgang zu bearbeiten«, fasste Kawczynskis Anwalt Christian Schneider die Rechtslage zusammen.

Sein Mandant vermutet, dass die plötzliche Eile politisch motiviert ist: »60 Roma-Organisationen haben auf der Anti-Rassismus-Konferenz in Durban gegen die Abschiebepolitik der Bundesrepublik Deutschland protestiert und Aufsehen erregt. Kurz danach kam jetzt die Ladung zum Haftantritt in Neuengamme.«

Kawczynski kennt das Gelände gut; ein Jahr vor der Spontandemo am Grenzübergang hatte er am 9. November 1989 unmittelbar neben der Justizvollzugsanstalt Vierlande eine bewegende Rede gehalten. Um ein Bleiberecht für Roma aus Jugoslawien in Hamburg durchzusetzen, wurde die KZ-Gedenkstätte symbolisch besetzt. Die Roma und Sinti Union Hamburg protestierte auf dem Gelände, um ihrer Forderung nach Bleiberecht Nachdruck zu verleihen. Vor dem Hintergrund der systematischen Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti durch die Nazis könne der deutsche Staat im Jahr 1989 auf keinen Fall Roma in ein Land abschieben, in dem gerade ein Bürgerkrieg beginnt. Die Besetzung wurde am nächsten Tag abgebrochen, sie stieß in der Öffentlichkeit auf keinerlei Resonanz. Die Menschen saßen vor dem Fernseher und verfolgten die Bilder von der Maueröffnung.

Zur selben Zeit, als die Nation mit sich selbst beschäftigt war, kämpften Roma (und einige UnterstützerInnen) gegen ihren Rausschmiss aus dem neuen Einheitsdeutschland. Eine Filmdokumentation von Monika Hielscher und Mathias Heeder dokumentiert dieses Engagement. Auch die Grenzblockade bei Basel. »Der Film 'Gelem Gelem - wir gehen einen weiten Weg' beschreibt den Versuch einer Gruppe heimatloser Roma in der Bundesrepublik, den Teufelskreis von sozialer Verelendung, Kriminalisierung, Abschiebung, illegaler Wiedereinreise, erneuter Vertreibung etc. zu durchbrechen«, sagen die Filmemacher über ihr Projekt. Polizisten gehören zu den ständigen Begleitern der Roma, sie tauchen bei der Räumung des holländischen Konsulates in Hamburg auf oder bei der Kontrolle der Grenze. »Die Aufnahmen zu diesem Film entstanden zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1991«, erzählen Monika Hielscher und Mathias Heeder. »Die meisten Menschen, die wir während dieser Zeit begleiteten, wurden inzwischen von den deutschen Behörden abgeschoben. Ihre Spuren verlieren sich in den Elendsghettos von Südosteuropa.«

Viele Roma wurden ab 1991 ins mazedonische Skopje abgeschoben. Ihre elenden Lebensbedingungen, so hat Heeder beobachtet, haben sich dort trotz zugesagter Hilfsgelder aus Deutschland, mit denen die Abschiebungen humanitär begleitet werden sollten, nicht gebessert. Mittlerweile sind viele Roma im mazedonischen Bürgerkrieg zwischen die nationalen Fronten geraten. Wie bereits zuvor im Kosovo, wo Roma ebenso wie Juden und Serben nur noch in einigen wenigen Enklaven leben können. Trotzdem versuchen deutsche Behörden immer wieder, Roma, die aus dem Kosovo geflüchtet sind, abzuschieben. Um auf diese Praxis aufmerksam zu machen, organisierte der Roma National Congress im Sommer 2000 eine Kampagne.

Der Roma National Congress unterhält in Hamburg-St. Pauli seit vielen Jahren ein Büro. Sein Vorsitzender Rudko Kawczynski hat sich ungezählte Male für das Bleiberecht von Roma eingesetzt, denen nach geltendem deutschen Ausländerrecht Abschiebung droht. So zum Beispiel einer jungen Roma, die auf Veranlassung der Hamburger Ausländerbehörde Anfang November in Abschiebehaft genommen wurde und nach Kroatien ausreisen muss. Sie wurde von ihren in Hamburg lebenden Eltern getrennt. Einen Monat zuvor, im Oktober, hatte vor der Ausländerbehörde eine Kundgebung von tausend Roma gegen drohende Abschiebungen nach Jugoslawien stattgefunden.

Jetzt protestieren Roma-Organisationen gegen die Bestrafung von Rudko Kawczynski. Auch der Autor Rajko Djuric, der im Namen des Romani PEN-Club erklärt: »Kawczynski ist also 'schuld', da er die Roma, deren Menschen- und Nationalrechte wie in der BR Deutschland so auch in Europa tagtäglich mit Füßen getreten werden, versucht hat zu schützen. Wir verstehen diesen Gerichtsbeschluss mehr als einen politischen denn als einen juristischen.«

Wenn demnächst in Hamburg eine vom Europarat und der OSZE mitgetragene Konferenz zur Lage von Roma und Sinti in Osteuropa stattfindet, wird Kawczynski lediglich an der Auftaktveranstaltung teilnehmen können. »Nach der Konferenzeröffnung, die ich für den RNC machen werde, kann ich mich dann in Neuengamme zur Haft melden.« Marko D. Knudsen erklärt: »Bis zum heutigen Tage werden hier Roma und Sinti an einem Ort inhaftiert, an dem ihre Eltern und Großeltern umgebracht wurden.«

Die JVA Vierlande ist ein reguläres Gefängnis, in dem zum Teil noch frühere Häftlingsbaracken des Konzentrationslagers Neuengamme genutzt werden. Im Programm der seit dem 31. Oktober in Hamburg mitregierenden Schill-Partei heißt es unmissverständlich, dass die Verlegung des Gefängnisses Vierlande weg vom Gelände des früheren KZ Neuengamme gestoppt werden soll. In der Koalitionsvereinbarung des neuen rechten Hamburger Senates von CDU, Schill und FDP hieß es, dass die Schließungspläne unabhängig vom Neubau aufgegeben werden. Als sich gegen die Pläne, das Gefängnis auf dem früheren KZ-Gelände zu belassen, Protest regte, wurde eine neue Sprachregelung eingeführt. »Unabhängig vom Neubau werden Gespräche mit jüdischen Organisationen, Opferverbänden und Institutionen mit dem Ziel aufgenommen, Einvernehmen darüber herzustellen, ob die Pläne für eine Schließung der Anstalt XII (...) aufgegeben werden können.« Es soll geredet werden - zurückgenommen wurde die Aufrechterhaltung des Gefängnisses auf dem KZ Neuengamme bisher nicht. Zwar hat sich der liberale Interims-Kultursenator Rudolf Lange dafür eingesetzt, das Gefängnis auf dem Gelände zu schließen. Eine endgültige Entscheidung werde aber erst nach einem Gespräch mit Überlebendenorganisationen am 21. November getroffen. Zu diesem Zeitpunkt soll Kawczynski bereits dort seine Strafe absitzen, wo bis zum April 1945 der KZ-Appellplatz war, auf dem die SS ihre Gefangenen erniedrigte, auspeitschte und erhängte.