Terror macht stark

Die EU beschwört die gemeinsame Außenpolitik. Doch in der Union ist ein Wettlauf um die Beteiligung am Krieg ausgebrochen.

Die EU ist dadurch nicht schwächer, sondern stärker geworden.« In den Anschlägen vom 11. September sieht Romano Prodi eine neue Quelle europäischer Stärke. »Wir haben eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen schnell getroffen, die kein Staat allein effektiv angehen könnte«, so der Präsident der Europäischen Kommission vergangene Woche in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Plötzlich seien Dinge möglich geworden, »die in normalen Zeiten nicht ohne weiteres durchsetzbar wären«.

Ohne eine gemeinsame Außenpolitik würde Europa von der Landkarte verschwinden, davon gibt sich Romano Prodi überzeugt. Tatsächlich bietet der internationale Kampf gegen den Terrorismus der EU eine gute Arena, sich gegenüber den USA als eine vereinte Weltmacht zu profilieren. Mit einer überzeugenden Demonstration in Sachen Einigkeit klappt es allerdings in der politischen Praxis noch nicht richtig. Zum Beispiel, wenn sich die »Großen« der 15 EU-Staaten im kleinen Kreis zusammensetzen wollen, um ihre jeweiligen Strategien untereinander abzustimmen.

Zuerst, als vor dem offiziellen EU-Gipfel Mitte Oktober in Gent Frankreich, Deutschland und Großbritannien im Separee konferierten. Damals hatte sich vor allem Romano Prodi öffentlich beschwert. Ein solcher trilateraler Gipfel sei schlecht fürs Image der EU und breche die innere Einheit. Eine Kritik, die prompt Gerüchte nach sich zog, der 62jährige Italiener möge sein Amt, das noch bis 2004 währt, vorzeitig abgeben. »Wenn sich zwischenstaatliche Kooperation in unsere Kompetenzen einmischt, erhebe ich Einspruch und kämpfe wie ein Tiger«, kontert Romano Prodi. Die drei großen EU-Staaten hätten mit zahlreichen Sondertreffen den Eindruck vermittelt, als gebe es ein EU-Direktorium. Dies sei »gegen die EU-Spielregeln, und davor kann ich nur warnen«, sagte er.

Doch wichtige Fragen möchte man in der europäischen Führungsebene offenbar auch weiterhin nur im erlesenen Kreis erörtern. Am vergangenen Sonntag hatte Tony Blair erneut nur seine französischen und deutschen Kollegen zur Aussprache nach London gebeten. Nach lautem Protest wurden schließlich auch die Staatschefs aus Spanien, Italien, den Niederlanden und Belgien sowie der außenpolitische Sprecher der EU, Javier Solana, in die Downing Street eingeladen.

Dennoch legte sich der Unmut der restlichen EU-Partner nur zögerlich. »Unter Freunden ist es wichtig, ehrlich zu sein«, betonte der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel im Namen der acht ausgeschlossenen Staaten. Die Ministerpräsidenten Finnlands, Schwedens, Dänemarks, Irlands, Luxemburgs, Portugals und Griechenlands wollen nun über ihr weiteres Vorgehen beraten.

Schüssel geht davon aus, dass diese Frage auch beim EU-Gipfeltreffen im Dezember im belgischen Laeken erörtert werde. »Wenn wir einen Unterschied zwischen kleinen und großen Staaten akzeptieren, ist die europäische Einheit zerstört«, sagte Schüssel am vergangenen Donnerstag, als er Romano Prodi in Wien empfing. »Für mich gibt es keine kleinen und keine großen Länder«, lautete Prodis unbeholfener Kommentar. »Alle sind gleich.«

Doch daran glauben mag offenbar kaum einer in den 15 EU-Staaten. Während der deutsche Außenminister Joseph Fischer im Namen Europas für eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen den Terror wirbt, versuchen inzwischen auch andere, schleunigst auf den Zug der Anti-Terror-Allianz zu springen. Dabei tritt Europa keineswegs geschlossen auf. Vielmehr wird deutlich, dass es so etwas wie eine europäische Nation nicht gibt und die EU stattdessen immer noch aus verschiedenen nationalen Staaten besteht. Klar ist, wer jetzt nicht dabei ist, könnte die nächsten Jahre im Abseits stehen.

So kommt es, dass selbst die, die von Washington nicht gerufen wurden, dort ihre Bereitschaft vortragen, bei diesem Krieg dabei zu sein. Wie zuletzt Italien, das inzwischen den USA eigene Truppen zur tatkräftigen Unterstützung zugesagt hat. Am vergangenen Mittwoch hatte das Parlament in Rom mit großer Mehrheit die Entsendung von 2 700 italienischen Soldaten an die Seite der US-Truppen beschlossen.

Die Koalition von Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte geschlossen zugestimmt, die Opposition war gespalten. Zwei Gruppierungen des Ulivo-Bündnisses, Kommunisten und Grüne sowie die ebenfalls kommunistische Rifondazione Comunista, votierten gegen das militärische Engagement Italiens. Verteidigungsminister Antonio Martino verkündete im Anschluss an die Abstimmung stolz, zu dem italienischen Korps gehörten sowohl Männer der Luftwaffe, der Marine, des Heeres wie auch der Carabinieri. Ministerpräsident Silvio Berlusconi sprach von einem Zeichen der politischen Reife.

Immer wieder hatten in Italien führende Politiker davor gewarnt, in die B-Liga der europäischen Staaten abzusteigen. Unbedingt dabei sein, lautete die Devise - auch wenn laut Umfragen immerhin 55 Prozent der Italiener und Italienerinnen eine Beteiligung an der Anti-Terror-Koalition ablehnen. Und auch die Medien äußern sich skeptisch. Die Tageszeitung La Repubblica etwa kommentierte, die Kriegsbeteiligung »sei kein Grund zum Feiern«. Das Leben von Soldaten dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden, nur damit Italien »einen Platz an der Sonne oder sein Führer einen Platz am Tisch der Großen erobern kann.«

Am Kopf dieser Tafel sitzt zweifellos Tony Blair. »Wir haben keinen besseren Freund auf der Welt als Großbritannien«, hatte sein amerikanischer Kollege George W. Bush am vergangenen Donnerstag verkündet, als der britische Premier in Washington zu Besuch war. »Es gibt niemanden, mit dem wir lieber reden.« London hat bislang immerhin 4 200 Soldaten, darunter 200 Elitesoldaten von den Royal Marines bereitgestellt. Ein britischer Flottenverband patrouilliert im Arabischen Meer. Am vergangenen Wochenende hat Großbritannien zudem erstmals bestätigt, dass britische Soldaten bereits in Afghanistan sind. Verteidigungsminister Geoff Hoon sagte der BBC, die britischen Streitkräfte unterstützten die oppositionelle Nordallianz.

In der zweiten Reihe sitzen Frankreich und Deutschland. Die französische Führung zeigte sich bislang eher verhalten, da sie auf die immer stärkere Antikriegsstimmung in der Bevölkerung Rücksicht nehmen muss. Man wolle an der Planung der Operationen beteiligt sein, betonte Präsident Jacques Chirac am Dienstag vor einer Woche in New York. Dann werde man auch Eliteeinheiten für einen Bodeneinsatz entsenden. Derzeit sind rund 2 000 Franzosen und sechs Kriegsschiffe an der Operation Herakles beteiligt. Was genau ihre Aufgabe ist, verrät auch Jacques Chirac nicht.

»Die militärische Aktion ist notwendig, sie ist jedoch nicht die einzige«, betonte er gegenüber seinem Gastgeber George W. Bush. Frankreich will sich vor allem bei der humanitären Hilfe in Afghanistan profilieren. Vor zwei Wochen hatte Chirac daher Vertreter von Hilfsorganisationen im Elysée-Palast empfangen.

Langsam aber sicher trudeln weitere Angebote in New York ein. Auch die Niederlande wollen dabei sein. Ministerpräsident Wim Kok teilte am Wochenende mit, sein Land wäre bereit, Soldaten zu entsenden. Nato-Neuling Tschechien will 300 Soldaten bereitstellen. Nach Angaben des tschechischen Rundfunks soll das Korps neben C-Waffen-Experten auch ein schnelles Einsatzkommando umfassen. Die Türkei hat auf Anfrage der USA inzwischen 90 Elitesoldaten zugesagt. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, Kämpfer der Nordallianz militärisch auszubilden.

Offensichtlich sind die einzelnen EU-Nationen vor allem damit beschäftigt, den Wettlauf um die Teilnahme am Krieg dazu zu nutzen, die interne Rangordnung neu festzulegen. Denn trotz der demonstrativen Bereitschaft für den Militäreinsatz muss die von Romano Prodi beschworene neue europäische Stärke erst noch in die Praxis umgesetzt werden.

So hatte man bereits kurz nach dem 11. September angekündigt, die europäische schnelle Eingreiftruppe so bald wie möglich einzuführen. Doch noch behindern nationale Interessen den Weg zur Einheitsmacht. Streitpunkt in dieser Frage sind derzeit die Finanzen. Die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich bislang nicht einigen, wie sie die Truppe finanzieren sollen.

Bis zum EU-Gipfel in Laeken soll jedoch ein beschlussfähiger Plan vorliegen. »Wir streiten noch«, beschreibt ein EU-Diplomat, der nicht genannt werden will, die laufenden Verhandlungen. »Es ist frustrierend. Es zeigt, dass wir in Bezug auf die Eingreiftruppe tief in unserem Bauch Zweifel haben.« Auch er hofft jedoch auf den Katalysator Anti-Terror-Allianz: »Vielleicht werden uns die Anschläge vom 11. September enthusiastischer stimmen.«