Welthandelskonferenz in Katar

WTO in der Wüste

Auf der Welthandelskonferenz in Katar sind die alten Konflikte zwischen Erster und Dritter Welt neu aufgebrochen.

Eigentlich hätte es die konstituierende Sitzung der angeblichen »Allianz gegen den Terror« werden können. Zeitpunkt und Ort der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) zumindest waren ideal. Fünf Tage lang trafen sich Delegationen aus nahezu allen Staaten der Erde vom vergangenen Freitag an in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf, um neue Regeln für den internationalen Handel zu besprechen. Und weil Katar eine autoritär strukturierte Monarchie ist, konnten die unzähligen Bekenntnisse zum Freihandel auch nicht von den mittlerweile üblichen Anti-Globalisierungs-Protesten übertönt werden. Nur ein paar Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO) schafften es bis in den Konferenzsaal.

Zugleich wurde der weltweite Aktionstag gegen die WTO am vergangenen Samstag an vielen Orten in einen Antikriegstag umgewidmet. In Berlin etwa demonstrierten nach Angaben der Veranstalter etwa 4 000 Menschen »gegen Krieg und WTO«, in Genf waren es 5 000.

Wie schon in Seattle vor zwei Jahren sollte in Doha eine neue Runde von Vertragsverhandlungen eröffnet werden. Seit den Anschlägen in New York und Washington und dem Bombardement auf Afghanistan war die Welthandelskonferenz zusätzlich symbolisch aufgeladen: Erst die Entscheidung der US-amerikanischen Delegation, trotz aller Sicherheitsbedenken nach Doha anzureisen, beendete die Diskussionen um eine kurzfristige Verlegung nach Singapur oder Kanada. Die Financial Times berichtete von Drohungen aus Katar und anderen arabischen Staaten, dass eine Verlegung als Affront gegenüber der arabischen Welt angesehen werde und die Unterstützung der US-amerikanischen Militärschläge gefährden könne.

Auch die eigentlichen Verhandlungen standen auf einmal unter dem Druck, die Handlungsfähigkeit der so genannten Staatengemeinschaft belegen zu müssen. »Handel ist eine große einigende Kraft«, beschwor WTO-Generalsekretär Mike Moore in seiner Eröffnungsrede die Abgesandten. Außerdem sei es angesichts der drohenden weltweiten Rezession notwendig, dass von Doha »ein Signal des Vertrauens« ausgehe.

Aber alle Rhetorik, seit dem 11. September sei alles anders, hat nicht bewirkt, dass Bewegung in die seit Jahren unveränderten Konfliktlinien in der Welthandelspolitik geraten wäre.

Erneut bemängelte die Mehrzahl der Entwicklungsländer, dass sich das Bekenntnis der westlichen Industrienationen zum freien Handel dann in Luft auflöse, wenn es darum gehe, konkurrenzfähigen Gütern aus dem Süden die Märkte zu öffnen. Und bevor die bestehenden Verträge durch weitere Vereinbarungen ergänzt werden könnten, müsste die Mehrzahl der WTO-Mitglieder erst einmal bei der Umsetzung der schon geltenden Regeln unterstützt werden. Denn seit dem Abschluss der letzten Verhandlungsrunde, die 1994 mit dem Übergang vom alten Gatt-Abkommen zum Vertragssystem der WTO endete, werden unter dem Dach der Welthandelsorganisation nicht mehr nur Zollhöhen und Einfuhrbestimmungen geregelt, und so übersteigt schon die Teilnahme an den laufenden Treffen der Komitees, Arbeits- und Verhandlungsgruppen die Leistungsfähigkeit vieler ärmerer Staaten.

Nach der in Doha offiziell besiegelten Aufnahme von China und Taiwan als 143. und 144. Mitgliedsland ähnelt die WTO-Vollversammlung immer mehr einem Gesamtplenum für die Weltwirtschaft. Vor allem aber verändert sich die Machtbalance in der WTO weiter zu Ungunsten der USA und der Europäischen Union. 28 weitere Länder - unter ihnen auch Russland - verhandeln um die Aufnahme.

Beim Thema Landwirtschaft wurde deutlich, wie wenig die USA und die EU bereit waren, ein Signal des Entgegenkommens an den Rest der Welt zu senden. »Es macht für Brasilien und andere Länder keinen Sinn, die eigenen Märkte für Importe aus den Vereinigten Staaten, der EU, Japan und aus anderen Märkten offen zu halten, wenn diese weiterhin unsere Produkte mit Subventionen und anderen Restriktionen behindern«, sagte Brasiliens Landwirtschaftsminister Marcus Vinícius Pratini de Moraes im Vorfeld.

In Doha allerdings gab es erneut kein gemeinsames Angebot der EU und der USA zum Thema Landwirtschaft. Weder in den USA noch in der EU gibt es klare Vorstellungen darüber, was denn mit den einheimischen Bauern passieren soll, wenn sie der oft billigeren Konkurrenz aus dem Süden ausgesetzt sind.

Auch Textilprodukte aus dem Trikont stoßen in den USA und der EU auf kaum überwindbare Handelsbarrieren. Während die EU hier Angebote vorlegte, wollen einige Republikaner im US-Kongress die Bush-Administration nur dann mit dem Mandat für Verhandlungen bei der WTO ausstatten, wenn sie zusagt, keinerlei Zugeständnisse bei Textilien zu machen.

Die Ankündigung des EU-Handelskommissars Pascal Lamy, die neue WTO-Verhandlungsrunde werde eine »Entwicklungsrunde«, wirkt angesichts dessen wie Hohn. Erfolge erzielten die Entwicklungsländer, die ihre Verhandlungsmacht bei der WTO mittlerweile durch Zusammenschlüsse besser organisieren, immerhin bei der Umsetzung der bestehenden Abkommen, für die finanzielle und technische Unterstützung zugesagt wurde.

Auch die Einbeziehung von Umwelt- und Sozialstandards taucht im Entwurf der Abschlusserklärung nur noch als Thema auf, über das diskutiert werden muss, das aber noch nicht reif für Vertragsverhandlungen sei. »Realistischerweise muss man zugeben, dass wir es nicht geschafft haben, Umweltstandards in der Verhandlungsagenda durchzusetzen«, räumte Renate Künast von den deutschen Grünen in einem Interview mit der Financial Times ein. Im Entwurf der Abschlusserklärung war außerdem die Klarstellung vorgesehen, dass die WTO-Regeln nicht die Profite von Pharmaunternehmen schützen, wenn Rechte an geistigem Eigentum eine kostengünstige Versorgung mit wichtigen Medikamenten behindern. Im Notfall sollten die Patienten Vorrang vor den Patenten haben. Insbesondere die USA, Japan und die Schweiz wehren sich hier aber gegen jede Veränderung.

Wer gehofft hatte, die USA und die EU würden in Katar zu Zugeständnissen bereit sein, um ärmeren Staaten die Allianz gegen den Terror schmackhaft zu machen, muss von den Verhandlungen in Doha enttäuscht sein.