Lohnkürzungen und Entlassungen bei der Lufthansa

Fliegen? Fliegen!

Krisenbewältigung bei der Lufthansa: Das Unternehmen übt den neuen Arbeitnehmertypus ein und setzt die Gewerkschaften mit Massenentlassungen unter Druck.

Es genügt nicht mehr, mit Lohnkürzungen und dem Stellenabbau einverstanden zu sein. Von einem modernen Arbeitnehmer darf mehr erwartet werden. Wenn es darauf ankommt, sollte er seiner Geschäftsführung Vorschläge machen. Und zwar ganz konkrete.

Jürgen Weber, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lufthansa, hat sich vorgenommen, diese neue Arbeitnehmerhaltung mit seinen 55 000 Mitarbeitern einzuüben. Die erste Aufgabe lautet: Wie kürzen wir unsere Löhne um zehn Prozent? Damit die Lösung dem stehenden und fliegenden Personal etwas leichter fällt, haben alle Führungskräfte ihre Bezüge bereits um besagte zehn Prozent gekürzt. Das macht rund 15 Millionen Euro jährlich - Peanuts angesichts der üblichen Managergehälter.

Mit der zweiten Aufgabe müssen die Mitarbeiter ganz alleine fertig werden. Wie streichen wir unsere Stellen um sagen wir mal zehn Prozent? Die bisherigen Ergebnisse dürften Weber nicht sonderlich begeistern. Zwar haben die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Pilotenvereinigung Cockpit (VC) Vorschläge unterbreitet, aber die waren aus Sicht Webers viel zu zögerlich, zu knapp und zu unkonkret. Wegen angeblich unzureichender Einsparzugeständnisse der Belegschaft drohte das Unternehmen am Dienstag der vergangenen Woche damit, bis zu 4 000 Mitarbeiter vor die Tür zu setzen. Zuvor waren Gespräche mit VC und Verdi ergebnislos abgebrochen worden.

Sicherlich war dabei auch Revanche im Spiel. Die Lufthansa-Piloten können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihnen Weber ihren erst kürzlich erfolgreich geführten Arbeitskampf nachträgt. Jedenfalls geht es in der Geschichte der deutschen Linien erstmals um Massenentlassungen. Um das Schlimmste zu verhindern, hat Verdi, die 51 000 Beschäftigte vertritt, für das Boden- und Kabinenpersonal ein Einsparvolumen von über 82 Millionen Euro vorgeschlagen.

Die Pilotenvereinigung kommt bei ihren Sparvorschlägen nach Schätzungen auf rund 20 Millionen Euro. Aber man wolle »nicht den Fehler von 1992 noch einmal machen, als wir in der Lufthansa-Krise auf 30 Prozent unseres Gehaltes verzichtet haben«, sagte VC-Sprecher Georg Fongern. Die 4 200 Piloten lehnen den von der Unternehmensführung geforderten dauerhaften fünfprozentigen Lohnverzicht ebenso ab wie einen Verzicht auf die für Januar vereinbarte Gehaltserhöhung.

Das will sich die Unternehmensspitze aber nicht bieten lassen. Schließlich sei wegen der verschärften Krise nach den Anschlägen in den USA eine schnelle und spürbare Senkung der Personalkosten nötig, sagte ein Unternehmenssprecher am Mittwoch der vergangenen Woche. Seit dem 11. September macht Lufthansa pro Woche rund 50 Millionen Euro Verlust. Gegenüber dem Vorjahr ging die Zahl der Fluggäste um 3,3 Prozent auf 3,8 Millionen zurück. Das Frachtaufkommen sank um 9,4 Prozent auf 149 000 Tonnen. Jeder dritte Sitzplatz blieb leer. Das USA- und Atlantik-Geschäft brach völlig ein.

Der weltwirtschaftliche Abschwung, der im Gleichschritt erfolgt, trifft die Luftlinien auf jeder Strecke. Unternehmen streichen ihre Reisebudgets, Urlauber verzichten auf Fernreisen. Und dann sind auch noch die Kosten für die Sicherheit und die Versicherungen sowie für die Wartung drastisch gestiegen.

Schon ist die Swissair samt Anhang zusammengebrochen und American Airlines verdankt ihr Überleben der US-Regierung. Alitalia steckt in Geldnöten, ihre Kapitalsituation spricht für ein technisches K.o. Da Überkapazitäten den Markt drücken, will jede Luftverkehrsgesellschaft der anderen den Vortritt bei deren Abbau lassen.

Die Lufthansa hat ihre Kapazitäten durch Streckenstilllegungen bereits um 2,1 Prozent vermindert. Um den Nachfrageeinbruch von 15,8 Prozent abzufedern, reicht das jedoch nicht aus. Von den 372 Flugzeugen sollen 43 ausgemustert werden. Für vier Jets des Typs Boeing 747-200 hat man auch einen Käufer gefunden. Aber der erzielte Buchgewinn von 50 Millionen Euro reicht gerade mal für den Ausgleich der Mindereinnahmen in einer Woche.

Vielleicht ist dem Personal der hiesigen Airline nicht entgangen, dass Air France, British Airways und eben auch die Lufthansa die Gunst der Stunde nutzen wollen. Nachdem es die US-Luftlinien mit Krisen und Katastrophen erwischt hat, wittern die Europäer ihre Chance. Und auf dem alten Kontinent hat der Zusammenbruch von Swissair und Sabena Platz geschaffen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hofft, »dass die Lufthansa wie die Air France oder die British Airways gestärkt aus der Marktbereinigung der europäischen Luftfahrt hervorgehen wird«.

Auch die Spritkosten dürften sich für die Fluggesellschaften günstig entwickeln, da die Preise für Rohöl stark gefallen sind. Mögen Saudi-Arabien und Norwegen ihre Fördermengen beschränken wollen, Mexiko und Russland sind hingegen auf jeden Öl-Dollar angewiesen.

Allerdings: Das Rennen ist noch nicht gelaufen. Das versucht der Kopf des Kranichs eben auch seinen Gliedern klar zu machen. In der Luftfahrt misst man die Profitgröße am Ertrag pro Passagierkilometer. Hier liegt British Airways mit 10,76 Cents vor der Lufthansa (10,15 Cents) und Air France (9,12). Dafür hat der britische Branchenprimus ein Viertel seiner Kapazitäten geopfert, während die Schmerzgrenze in Frankfurt am Main bei elf Prozent und in Paris bei acht Prozent erreicht war.

Vor allem Air France hat vorgemacht, was man bei der Lufthansa nun zu erreichen versucht. Wartung und Bordverpflegung sind auf Vordermann gebracht worden, dafür gibt es in der Concorde den Kaviar jetzt auf Plastikgeschirr. Das Sparprogramm der Airline zielt auf 300 Millionen Euro. »Im Gegensatz zu anderen Airlines stieg die Zahl der Beschäftigten im vorigen Jahr deutlich langsamer als Umsatz und Verkehrsleistung«, lobte die Wirtschaftswoche.

Davon ist die Lufthansa noch weit entfernt. Wohl auch deshalb reichen Jürgen Weber die bisherigen Sparvorschläge, die sich auf insgesamt 117 Millionen Euro summieren, nicht aus. Vielmehr schwebt ihm eine Summe von 215 Millionen Euro vor. Nun macht er mit den angekündigten Massenentlassungen Druck.

Beim Bordverpflegungsunternehmen LSG Sky Chefs hat Weber schon Tatsachen geschaffen. Bei der Lufthansa-Tochter müssen 1 300 Mitarbeiter bis Ende des Jahres gehen. Das sind schon mal 16 Prozent der Arbeitsplätze. Weitere 1 100 befristete Verträge werden nicht verlängert. Für 210 Mitarbeiter endet die Probezeit abrupt - augenscheinlich nicht der Resultate ihrer Erprobung wegen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hält dieses Vorgehen für problematisch. Der Kanzler wäre mehr für ein Vorgehen wie bei Volkswagen. Statt Massenentlassungen kann sich Schröder auch den phantasievolleren Weg flexibilisierter Arbeitszeiten vorstellen.

Mehr Flexibilität forderte auch Bundesfinanzminister Hans Eichel: »Wie wäre es denn, wenn ihr mal über andere Arbeitszeitmodelle diskutiert, statt die Leute nach Hause zu schicken«, fragte er am vergangenen Mittwoch beim SPD-Parteitag in Nürnberg. Die Lufthansa reagierte prompt, Flexibilität sei ja schön und gut. Aber sie müsse von den Gewerkschaften in den Verhandlungen bewiesen werden.