Fußballerische Ungerechtigkeit

Das Glück der Geschichte

Wenn es ein wissenschaftliches Projekt verdient hätte, vom Staat mit einigen Millionen Mark unterstützt zu werden, dann wohl eines zur Erforschung fußballerischer Ungerechtigkeiten. Denn obwohl jedem Fan klar ist, welche Auswirkungen so eine kickerische Schicksalsgemeinheit gewöhnlich hat, gibt es doch bis heute keine objektive Messskala zu ihrer Ermittlung.

So ist Ungerechtigkeit im Fußball bis heute eine reine Ermessensfrage. Während Fans von Hertha BSC einen beim Stande von 0:0 in der 90. Minute gegen ihr Team verhängten Elfmeter wahrscheinlich als besondere Heimtücke bezeichnen würden, müsste jedem Menschen mit normaler Intelligenz klar sein, dass der Pfiff des Schiedsrichters sicher völlig berechtigt war.

Denn 1. handelt es sich bei Hertha um einen besonders unangenehmen Verein, 2. verfügt Hertha über besonders unangenehme Fans und 3. sind Elfer-Entscheidungen gegen einen solchen Club absolut gerechtfertigt. Blöd nur, dass Hertha immer Glück hat und sich bisher noch kaum ein Referee gefunden hat, der in letzter Minute den Mut zum Pfiff hatte.

Ähnlich verhält es sich mit der deutschen Fußballnationalmannschaft. Ihre Gegner konnten sich nach dem die WM-Qualifikation entscheidenden Gruppenspiel gegen Finnland nur kurz der Illusion hingeben, dass das eherne Fußballgesetz, »die größten Arschlöcher haben immer das meiste Glück«, vielleicht im neuen Jahrtausend keinen Bestand mehr haben könnte, dann liefen die auserwählten Elf der Nation auch schon in der Ukraine zum Relegationsspiel auf. Was folgte, ist Deutschennationalmannschaftenhassern hinlänglich bekannt.

Aber vielleicht, so mögen sich die Anti-Fußballdeutschen damals noch getröstet haben, könnten die DFB-Kicker ein einziges Mal bei einer Gruppenauslosung zur WM gerecht behandelt werden. Sprich: Nationen zugelost bekommen, die richtig gut Fußball spielen können. Aus. Vorbei. Saudi-Arabien! Irland! Kamerun! Und danach nicht etwa die Engländer, die mit Argentinien, Nigeria und Schweden in der schwierigsten Gruppe von allen gelandet sind, sondern Spanien oder Paraguay.

So sieht wahre fußballerische Ungerechtigkeit aus. Denn eigentlich hätte das deutsche Team überhaupt nicht als so genannter Gruppenkopf gesetzt werden dürfen. Auf Platz elf oder so in der Fifa-Rangliste geführt, wäre für den Spätqualifikanten allerhöchstens ein Platz im so genannten B-Topf drin gewesen, wäre dem DFB nicht in letzter Minute der entscheidende Dreh eingefallen: die Geschichte.

Gerhard Mayer-Vorfelder, davon muss nach allen bekannten Fakten ausgegangen werden, hat sich den Platz auf der A-Liste regelrecht ersoffen wie der Legende nach Willy Brandt weiland die Ostverträge, und es gab niemanden, der auf die nahe liegende Idee kam, dass Deutsche vielleicht besser nicht mit der Geschichte argumentieren sollten. »Gut, dass du uns daran erinnerst«, hätte sonst einer der Delegierten sagen müssen, »zwei Angriffskriege innerhalb eines Jahrhunderts initiiert zu haben, bedeutet den automatischen Ausschluss aus der Fußballvölkerfamilie. Kann irgendwer vielleicht mal die Ukraine anrufen und denen sagen, dass sie bei der WM mitmachen können?«

Vielleicht ist das der Grund, warum es bisher noch kein wissenschaftliches Projekt zur Erforschung fußballerischer Ungerechtigkeiten gibt. Das Ergebnis würde in jedem Falle Deutschland lauten.