Ostdeutsche Arbeiter bei niederländischen Zeitarbeitsfirmen

Schöner arbeiten

Niederländische Zeitarbeitsfirmen werben um Arbeiter aus Ostdeutschland.

Dass die auch nie irgendwas vernünftig machen können, die Holländer«, grummelt Rudi G., wenn er am Montagmorgen auf der Großbaustelle in einem Vorort von Amsterdam ankommt. Er ist Maurer und stammt aus Ostberlin. Er mag es nicht, wenn bei der Arbeit nicht Deutsch geredet wird. Englisch versteht er nämlich nicht so gut. Er arbeitet seit neun Monaten in den Niederlanden, weil es in Berlin keine Arbeit mehr gab. Er ist einer von vielen Deutschen, die von niederländischen Zeitarbeitsfirmen über deutsche Arbeitsämter angeworben wurden. Die Arbeit ist nur unwesentlich anders als zu Hause, sie wird aber wesentlich besser bezahlt. Und vor allem: Es gibt sie überhaupt.

Schon seit einiger Zeit geht es der deutschen Bauwirtschaft, besonders der ostdeutschen, nicht gut. 1999 verbuchte man in Mecklenburg-Vorpommern einen Rückgang an Aufträgen von 25 Prozent, und auch im letzten Jahr gab es weniger Industriebauten, weniger Einfamilienhäuser, weniger von allem. In Berlin waren im Sommer fast 50 Prozent der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe arbeitslos.

Das Arbeitsamt bietet kaum eine Lösung. Das einzige, was aus der Computersuchmaske herausspringt, sind Jobs im Ausland. Niederländische Zeitarbeitsfirmen locken Arbeitslose mit Nettostundenlöhnen ab 17 Gulden. Steuerfreies Geld für eine Wohnung und Fahrtkosten kommen in einer Größenordnung von zehn Gulden pro Arbeitsstunde hinzu. Wegen der Doppelbelastung.

In den Niederlanden boomt das Baugewerbe seit etwa drei Jahren, das ist unter anderem eine Auswirkung des so genannten Poldermodells. 1982 hatten die Regierung, die Unternehmerverbände und die Gewerkschaften eine Arbeitspolitik der Lohnkürzungen und der reduzierten Arbeitszeiten beschlossen, in deren Folge das niederländisches »Jobwunder« geschah - mit negativen Folgen für die Sozialleistungen, als der Anteil von Teilzeitarbeit und flexiblen Beschäftigungsverhältnissen stark zunahm (Jungle World, 43/98). Da plötzlich Handwerker für die holländischen Großprojekte fehlten, wurden und werden sie im Ausland angeworben. Niederländische Personalverleihfirmen platzieren ihre Angebote vor allem in ostdeutschen Arbeitsämtern.

Rudi G. hat, als er von dem Angebot in den Niederlanden erfuhr, Heinz H. und René S. angerufen, Freunde aus Magdeburg, die auch seit ein paar Monaten arbeitslos waren. Nach einer kurzen Beratung mit der Familie und der telefonischen Versicherung, sie könnten sofort anfangen, sind sie losgefahren in Richtung Westen. In Amsterdam trafen sie weitere Deutsche, die sich schon in einer Pension in Edam eingemietet hatten.

Rudi G. hat auch eine Wohnung in Berlin, neues Parkett, Eichenholzschrank, Sitzgarnitur aus Leder, eingerichtet wie für Schöner Wohnen. Das war ihm wichtig, dafür hat er Geld ausgegeben. Jetzt ist er fast nie mehr dort. Die Pension in Edam, in der er zusammen mit fünf Arbeitern aus Deutschland wohnte, kostet 850 Gulden im Monat. Jeden Abend drei bis vier Kästen Bier, die ganze Nacht niederländische Stimmungsmusik, manchmal am Wochenende 30 Stunden Magdeburg oder Berlin, und dann wieder zurück.

Wenn man von Deutschland über die Grenze in die Niederlande fährt, auf der A2, dann »muss man wieder das Gehirn rausnehmen und ein nasses Brötchen reinstecken«, erklären René S. und Heinz H. Holländer, Engländer, Ausländer verstehen nichts vom Arbeiten, meinen sie, die wissen gar nicht, wie man das handwerklich richtig macht, haben weder was in den Fingern noch im Kopf, höchstens nasses Brot. Fachliche Nieten. Sind die Gastgeber inkompetent, fühlt man sich als Gast wenigstens etwas besser.

G., H. und S. fahren morgens im Auto von Edam nach Amsterdam, auf ihre Großbaustelle. Die Arbeitszeiten sind geregelt, die Pausenzeiten auch. In den Baubuden muss Kaffee und Obst für die Arbeiter bereitstehen, Tütensuppen gehören zum Pflichtprogramm. Die Gewerkschaften funktionieren, und die soziale Absicherung ist garantiert.

Wird ausnahmsweise am Wochenende gearbeitet, gibt es mehr Geld, 125 Prozent am Samstag, 200 Prozent am Sonntag. Wenn ein Angestellter seinen Lohn nicht vollständig oder pünktlich erhält, kann er einen Anwalt informieren. Der kann innerhalb von Stunden das Treuhandkonto des Bauprojektes einsehen und bei Auffälligkeiten die Stilllegung der Baustelle beantragen. Fast paradiesische Zustände für deutsche Handwerker, für die es an der Tagesordnung war, dem rechtmäßig verdienten Lohn in Deutschland hinterherzulaufen, weil die Unternehmer nicht zahlen konnten.

4 000 Gulden netto im Monat scheinen nicht wenig zu sein; dass ein Gulden nur etwa 90 Pfennige wert ist, fällt erst am Monatsende auf. Da bleibt dann fast nichts mehr übrig. Die zweite Wohnung, die Fahrtkosten, die Kinder, die Wechselkurse, abends auch mal essen gehen, die Handyrechnung, das macht sich am Kontostand bemerkbar.

Rudi G. hat sich entschlossen, einen kleinen gebrauchten Wohnwagen zu kaufen und auf einen Campingplatz an der Küste zu ziehen. Der kostet nur 400 Gulden im Monat. Dort wohnen auch Dave R. und Gary B., zwei Iren, die auf derselben Baustelle arbeiten, als Verputzer und als Maler. Hier in Strandnähe gibt es wenigstens eine Kneipe, die lange geöffnet ist. Dave R. hat eine Familie in London, eine Frau und zwei kleine Kinder, die er nur selten sieht. Gary B. hat keine Familie und lernt ab und zu ein niederländisches Mädchen kennen. Rudi G. hat auch keine Freundin und sucht dringend eine, am Strand. Schöner Leben kann man das hier nicht wirklich nennen, nach einem Tag Betonrühren auf einem vollgestellten Campingplatz vor Amsterdam auf Plastikstühlen zu sitzen. Schöner Arbeiten? Vielleicht.

Vor kurzem kam ein Neuer hinzu, noch ein Berliner, Norbert T. Er war davor bei einer anderen niederländischen Zeitarbeitsfirma und hatte gleich ein niederländisches Konto eröffnet, bei der Rabobank. »Das kann man als Deutscher?« haben sich die anderen gewundert. Klar, kann man. Aber Norbert T.s Personalbüro hat sich geweigert, ihm seinen Lohn auf dieses Konto zu überweisen. Es bestand darauf, freitags jemanden mit der Lohntüte auf die Baustelle zu schicken. Norbert T. wurde misstrauisch und fragte nach. Heraus kam, dass die Firma nur die Rentenversicherung zahlte und nicht die übrigen Sozialabgaben. Konsequenter als die meisten anderen, kündigte er und ließ sich von Rudi G.s Chef anwerben, über ein anderes Lohnbüro. Er arbeitet in den Niederlanden, um den Verlust von der letzten Baustelle in Deutschland auszugleichen.

In Deutschland ist man nicht traurig, Arbeitskräfte abzugeben. Und während hoch qualifizierte Computerfachleute angeworben werden, gibt es kaum noch Entwürfe für mehrsprachige Formulare, die das Arbeitsrecht der EU erläutern. Als Norbert T. auf dem Arbeitsamt seine erste niederländische Firma anrufen wollte, brachte dort keiner ein Ferngespräch zustande. Außerdem fragte man ihn, ob er überhaupt Niederländisch spreche. Dass die Arbeitssprache in Europa Englisch ist, schien nicht bekannt zu sein. Weiter erklärte der Arbeitsberater, dass er zunächst Norbert T.s »Auslandskompetenz« prüfen müsse, und gab ihm eine Broschüre mit: Flexibilität, soziale Anpassungsfähigkeit, Offenheit für die Sitten und Gebräuche des Gastgeberlandes seien die wichtigsten Eigenschaften.

Doch nicht nur der Start in den Niederlanden ist schwierig, schließlich kann man auch im Ausland arbeitslos werden. Als Norbert T. das passierte, packte er seine Sachen und ging zurück nach Deutschland. Er ließ sich von seinem Personalverleih eine Bescheinigung über seine Arbeitszeit, sein Gehalt und die Höhe seiner Sozialversicherungsbeiträge ausstellen. Das Büro versicherte ihm, dass er in Deutschland Anspruch auf Leistungen habe, die das deutsche Arbeitsamt seinerseits beim zuständigen niederländischen Arbeitsamt beantragen werde.

Zurück in Berlin versuchte er, sich arbeitslos zu melden und einen neuen Job zu finden. Das Arbeitsamt kann aber keine niederländischen Dokumente lesen, auch wenn sie gleichzeitig auf Englisch abgefasst sind. »Social Benefits«, »Health Insurance« usw. steht auf Norbert T.s offizieller Registrierungsurkunde als Arbeiter in den Niederlanden.

Aber das kann ja alles heißen. Da könnte ja jeder kommen. Das Arbeitsamt schrieb, die Leistungen im Ausland seien nicht hinreichend belegt. Norbert T. ist sauer. Er ruft beim Arbeitsberater an und erklärt, er habe legal gearbeitet und alle Papiere zweisprachig abgeliefert. Der Arbeitsberater wird auch sauer und raunzt: »Amtssprache ist hier immer noch Deutsch, und das gilt auch für Sie.«