Wahlkampfthema Zuwanderung

Stoiber kocht

Die Bild-Zeitung verbreitete kürzlich, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) plane eine Unterschriftenkampagne gegen das neue rot-grüne Zuwanderungsgesetz. Stoiber ließ seinen vermeintlichen Plan zwar als »Ente« dementieren, legte sich jedoch nicht auf die Aussage fest, niemals zu solchen Mitteln greifen zu wollen. Zuwanderung solle auf jeden Fall im Wahlkampf zum Thema werden.

Stoiber vollführt damit zunächst schlicht ein unionsinternes Manöver im Kampf um die Kanzlerkandidatur. Die Chancen auf einen Wahlsieg der CDU/CSU sind nicht gerade groß, und die Anspielung auf den Coup, mit dem Roland Koch die Landtagswahl in Hessen nach der Niederlage seiner Partei bei den Bundestagswahlen gewann, soll natürlich Stoibers Kompetenz als rechter Volkstribun herausstellen.

Aber das Zurückgreifen auf die Unterschriftenkampagne der hessischen CDU - die Idee dazu kam damals aus Bayern - ist mehr als nur das. Für eine Zustimmung des Bundesrats fehlen dem Zuwanderungsgesetz im Augenblick vier Stimmen. Die Bundesspitzen der CDU/CSU dürften sich vor einem Debakel wie bei der Steuerreform fürchten, als es der SPD gelang, einige von der CDU oder von einer großen Koalition regierte Länder auf ihre Seite zu ziehen. Und dass Schily auch diesmal wieder jene »vernünftigen Leute in der CDU« überzeugen könnte, ist angesichts der minimalen Differenzen zwischen der Regierung und der Opposition zu diesem Thema nicht ausgeschlossen.

Die Frage ist aber vielmehr, ob die Spekulation auf eine Wiederholung des hessischen Erfolgs begründet ist oder nicht. Das hängt davon ab, ob die CDU glaubhaft machen kann, dass es »die Balance unserer Gesellschaft substanziell betrifft«, wie Stoiber meint, wenn anstelle von achtjährigen Kindern 14jährige zu ihren Eltern nachziehen können und frauenspezifische Fluchtgründe anerkannt werden. Dennoch ist im Wahlkampf wohl nur mit allgemein gehaltenen Parolen gegen »mehr Einwanderung« zu rechnen. Aber da SPD und Grüne weit davon entfernt sind, die Einwanderung zu erleichtern, sondern sie lediglich, wie sie selbst nicht aufhören zu betonen, steuern und kontrollieren wollen, könnte eine solche Kampagne ähnlich erfolgreich sein wie eine Neuauflage des Slogans »Freiheit oder Sozialismus«.

Die Kampagne der hessischen CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft konnte damals funktionieren, weil sie auf die Aufrechterhaltung der Privilegien der deutschen Bevölkerung gegenüber MigrantInnen hinauslief. Dass Geschichte sich nicht einfach wiederholt, musste jedoch schon Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen feststellen. Seine gegen die Greencard-Initiative der Bundesregierung gerichtete »Kinder statt Inder«-Kampagne scheiterte gründlich und endete mit einer Entschuldigung des CDU-Politikers.

Es hilft zwar nicht immer, wenn »die Wirtschaft« etwas gut oder schlecht findet, wie man jüngst an den Wahlergebnissen in Hamburg sehen konnte. Aber in der aktuellen Einwanderungsdebatte geht es nicht zuletzt um eine Neuordnung des ethnisch segmentierten Arbeitsmarkts. Deswegen konnte der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Peter Struck, auch prognostizieren, die CDU werde sich mit einer Kampagne gegen die Zuwanderung »eine blutige Nase holen«, denn sie bekomme es mit den Interessen der Wirtschaft zu tun.

In Umfragen wird der Union seit einiger Zeit in so ziemlich allen Themenbereichen weniger Kompetenz als der SPD zugetraut. Deswegen hat sie auch bei einem Misserfolg der Kampagne nicht viel zu verlieren. Das Risiko tragen die Migrantinnen und Migranten.