Verhaftungen vor den Wahlen

Aufgeklärt strafen

Seit einem Jahr ist der Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien beendet. Doch statt das Land zu demokratisieren, verschärft die eritreische Regierung die Repression.

Nachdem Äthiopien und Eritrea ihren Grenzkrieg am 12. Dezember des vergangenen Jahres mit einem Friedensvertrag beendet hatten, begann in Eritrea erstmals eine offene politische Debatte. Nach der Unabhängigkeit im Jahre 1991 behielten die Eritreer ihre Kritik für sich, sie gaben der aus der ehemaligen Guerillabewegung hervorgegangenen Regierung ihr Vertrauen und Zeit für den Wiederaufbau ihres zerstörten Landes. Nun aber wurde in den Kaffeehäusern eifrig darüber diskutiert, wie die Zukunft aussehen sollte.

Vor allem die für Dezember versprochenen Wahlen beschäftigten die Leute, obwohl es dieses Mal kein Mehrparteiensystem geben würde. Und schon früh feuerte der eritreische Präsident Isaias Afeworki den Direktor der für die Erstellung des Wahlgesetzes zuständigen Kommission, weil er den vorgeschlagenen Text zu liberal fand.

Im Frühsommer fand sich Afeworki plötzlich im Zentrum der Kritik. Bemerkenswert war, dass die härtesten Kritiker aus seiner eigenen Partei kamen, der regierenden Einheitspartei Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ). 15 prominente Mitglieder, die meisten von ihnen ehemalige Minister, drängten den Präsidenten, sich an demokratische Verfahrensweisen zu halten. Ihrer Ansicht nach beanspruchte Afeworki zu viel Macht und schloss das Kabinett von wichtigen Entscheidungen aus.

Afeworki riet seinen Kritikern, sich zurückzuhalten, und drohte: »Ihr macht einen Fehler.« Fast sofort enthob er sie ihrer Posten, im Herbst wurden elf von ihnen verhaftet, allen Kritikern wurden die Diplomatenpässe entzogen. Drei Dissidenten hielten sich zu dieser Zeit im Ausland auf, einer konvertierte wieder in die Reihen der Regierung. Afeworki entschied auch, alle privaten Zeitungen zu verbieten. Die Presse war in den Monaten zuvor ein Forum für politische Diskussionen geworden. Ein Dutzend Journalisten wanderte hinter Gitter, andere flohen in den Sudan.

Afeworkis Vorgehen gegen die Reformer in Eritrea führte zu einer diplomatischen Krise, als der italienische Botschafter Anfang Oktober ausgewiesen wurde, weil er eine Protestnote der EU gegen die Verhaftungen abgegeben hatte. Die EU reagierte mit einem Rückzug ihrer Botschafter.

Einige eritreische Politiker und Diplomaten traten aus Protest gegen die Repressalien zurück. Derei Mohammed Debas, ein ehemaliger Direktor der Amerika-Abteilung im Außenministerium, erklärte in einem Brief, mit dem er seinen Rücktritt begründete, er habe genug davon, »Handlungen unserer Regierung zu verteidigen, die nicht verteidigt werden können«. Seine Arbeit sei der nutzlose Versuch, gegenüber erfahrenen ausländischen Diplomaten »die lächerlichen Rechtfertigungen für die Verhaftung ehemaliger Minister und Mitglieder der Nationalversammlung, die Verhaftung von Ältesten und Studenten, Mitarbeitern der US-Botschaft und Journalisten, die Entlassung des Obersten Richters, die Abschaffung der freien Presse« zu vertreten.

Außer PFDJ-Dissidenten und Journalisten wurden vor allem Studenten verhaftet. Bereits vor dem Sommer war Semere Kesete ins Gefängnis gekommen, nachdem er eine kritische Rede auf der Abschlussfeier gehalten hatte. Daraufhin weigerten sich 2 000 Studenten, an den jährlichen obligatorischen Sommerarbeitsprogrammen teilzunehmen, bei denen sie gegen Verpflegung Bäume pflanzen und Straßen reparieren. Sie wurden ebenfalls inhaftiert und nahe der brütend heißen Hafenstadt Massawa am Roten Meer interniert. Zwei Studenten starben an einem Hitzschlag.

Die harte Reaktion schon auf harmlose Äußerungen scheint mit der Sorge Afeworkis zusammenzuhängen, dass konkurierrende Politiker der PFDJ ihm die Macht streitig machen könnten. Darauf deutet auch die Entwicklung im benachbarten Äthiopien, dessen Premierminister Meles Zenawis mit ähnlichen Problemen konfrontiert ist. Das halbe Zentralkomitee seiner Volksbefreiungsfront Tigrays (TPLF), der führenden Fraktion in der Regierung, rebellierte gegen seine Politik. Zwölf prominente Politiker kritisierten den Friedensvertrag mit Eritrea, ihrer Ansicht nach hätte Zenawi den Nachbarstaat, der sich 1991 mit dem Einverständnis der äthiopischen Regierung für unabhängig erklärt hatte, wieder annektieren sollen.

Zenawi ließ sie und ihre Familien wegen Korruption verhaften. Nach einem halben Jahr Gefangenschaft wurden sie Ende Oktober angeklagt. Unter ihnen ist auch der ehemalige äthiopische Ministerpräsident Tamrat Layne. Er wurde bereits wegen Korruption zu 18 Jahren Haft verurteilt, das Vorgehen gegen ihn wird weithin als politisch motiviert gesehen. Layne wurde als potenzieller Nachfolger Zenawis betrachtet.

Auch drei der eritreischen Dissidenten wurden als mögliche Nachfolger Afeworkis gehandelt: Mesfin Hagos, der ehemalige Verteidigungsminister, Haile Woldensae, ein ehemaliger Außenminister, und Petros Solomon, einst Minister für Fischerei. Hagos ist der einzige von ihnen, der nicht verhaftet wurde, da er sich in den USA aufhielt.

In den Kaffeehäusern und Bistros der Haupstadt Asmara sind die politischen Debatten nun weitgehend verstummt. Die Wahlen haben ihre Bedeutung verloren, wenn sie überhaupt stattfinden werden. Von den Verhaftungen wurden die meisten Eritreer überrascht. Die offizielle Erklärung, dass die Dissidenten sich zum Sturz des Regimes verschworen hätten, wird nur von wenigen geglaubt. Gerüchten zufolge leidet Afeworki unter Verfolgungswahn. Tatsächlich ist seine Macht nicht akut bedroht, Kritiker wie Unterstützer meinen, er habe diese Art der Repression nicht nötig. Der eritreische Präsident wird von vielen noch immer als eine Art »aufgeklärter Diktator« gesehen.

Allerdings scheint es überwiegend die ältere Generation zu sein, die Afeworki noch immer unterstützt. Die Jugend sieht Freiheit und Demokratie nicht als eine ausländische Angelegenheit, sondern als etwas, das auch in Eritrea möglich sein sollte. Neget, eine 17jährige in Asmara, präsentiert beim Verkauf von Kartoffeln unaufgefordert ihre politischen Beobachtungen: »Alle jungen Leute hassen die Regierung, aber erzählen sie meinem Vater nicht, dass ich das gesagt habe.«