Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und der PDS

Jetzt kommt das Linkskartell

Nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine Ampelkoalition in Berlin versuchen die PDS und die SPD, die Neue Mitte neu zu erfinden.

Das höchste und wertvollste Gut der Arbeiterklasse ist die Einheit.« Dieser Satz, gesprochen von Otto Grotewohl am 17. Juni 1945, dem damaligen Vorsitzenden der SPD in der sowjetischen Besatzungszone, scheint seit der vergangenen Woche auch im wiedervereinigten Deutschland erhört zu werden. Sofort nach dem Abbruch der Berliner Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD, der FDP und den Grünen wurde das Ungeheuerliche ins Auge gefasst: Eine rot-rote Koalition aus der SPD und der PDS in der Hauptstadt. Schwule und Kommunisten an der Macht. Ein Armageddon für Christdemokraten.

Am 4. Dezember beschloss der SPD-Landesvorstand einstimmig bei nur einer Enthaltung, Verhandlungen mit der PDS über die Bildung des Senats aufzunehmen. »Wir wollen zügig verhandeln«, sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD). Und das klang ein wenig wie die Flucht nach vorn, denn die Gespräche zur Bildung einer Ampelkoalition hatten in einem Desaster geendet.

Fast 60 strittige Punkte hatten sich in den Verhandlungen zwischen den drei Parteien ergeben. Auf einem Höhenflug schien sich dabei die gerade erst wieder ins Abgeordnetenhaus gewählte FDP zu befinden. Sie forderte u.a. Einsparungen in Milliardenhöhe bei den Personalausgaben, den Weiterbau der umstrittenen U-Bahn-Linie 5, ein privat finanziertes neues Teilstück der Stadtautobahn und die Abschaffung des Landesgleichstellungsgesetzes, das Frauen im öffentlichen Dienst gleiche Chancen eröffnet wie Männern. Das waren Forderungen, die den Grünen unerfüllbar erscheinen mussten. Die FDP schlug sogar eine Fahrradsteuer vor, um die Grünen zu provozieren.

Am 1. Dezember, als die Verhandlungen nach intensiven Streitigkeiten von Wowereit unterbrochen worden waren, stellten die Grünen dann ein Ultimatum. Sie stellten sechs Forderungen auf, darunter den Verzicht auf den Weiterbau der U 5 und auf eine erneute Olympiabewerbung. Die SPD und die FDP lehnten die Erfüllung eines Ultimatums ab, die Grünen gaben wieder einmal nach. Doch da war das Ende schon absehbar. Als dann die SPD und die Grünen die Einführung neuer Steuern zur Haushaltssanierung forderten, etwa auf alkoholische Getränke, die in Gaststätten ausgeschenkt werden, randalierte die FDP wieder mal als Steuersenkungspartei und widersprach. In den Morgenstunden des 4. Dezember, nachdem eine weitere Verhandlungsrunde im Streit geendet war, verkündeten die Grünen schließlich das Ende der Gespräche.

Gewinner dieser Entwicklung ist vorerst wieder einmal die PDS. Die demokratischen Sozialisten zeigten sich sofort zu allem entschlossen. Gregor Gysi, ihr Berliner Spitzenkandidat und erster Anwärter auf einen Senatorenposten, nannte das mögliche rot-rote Bündnis »wirklich die Chance, die Stadt zu vereinen«. Das scheint nun niemand mehr verhindern zu können.

Dabei ist Gysi und auch seiner Partei klar, dass sie zu einigem bereit sein müssen, wenn sie mitregieren wollen. Bereits nach den Wahlen, als zum ersten Mal ihre Regierungsbeteiligung diskutiert wurde, hatte die PDS angekündigt, angesichts der schlechten Finanzlage Berlins nicht gegen die geplanten Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst zu opponieren. Nur »sozialverträglich« sollten sie gestaltet werden.

Und schon am zweiten Tag der Gespräche zwischen SPD und PDS wurden rasche Fortschritte verkündet. Überraschend schnell kam man überein, bis zum Jahr 2009 die Länderfusion von Berlin und Brandenburg zu verwirklichen. Noch eine Zwangsvereinigung also. 1996 hatte die PDS diese Fusion verhindert, indem sie ihre WählerInnen in Berlin und Brandenburg bei der damaligen Volksabstimmung aufforderte, mit Nein zu stimmen. Tatsächlich blockierte das Votum der Brandenburger daraufhin auch die Fusion.

Schnell wurden dann weitere Verhandlungsergebnisse präsentiert. Die PDS erklärte sich damit einverstanden, dass der Flughafen Schönefeld zum Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) ausgebaut werden soll, dafür wollen die potenziellen Koalitionäre auf eine erneute Olympiabewerbung Berlins, gegen die es nicht nur in der PDS Widerstände gab, verzichten. Beide Parteien schickten sich an, professionelles Vorgehen und großes Einverständnis zu demonstrieren. Ein erneutes Desaster in Koalitionsverhandlungen kann sich die SPD auch nicht leisten. Schließlich gibt es sogar in den eigenen Reihen Skeptiker.

Peter Struck, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, war der erste, der seine Bedenken äußerte und das Modell einer von der PDS tolerierten Minderheitsregierung der SPD ins Spiel brachte. Dieser Vorschlag wurde aber sofort von allen Seiten zurückgewiesen. Wowereit wollte sich nicht noch einmal von der Bundespartei diktieren lassen, was er als Regierender Bürgermeister zu tun habe. Schließlich hatte er nur deshalb die Bildung einer Ampelkoalition versucht, weil das die Präferenz von Bundeskanzler Gerhard Schröder gewesen war. Das Scheitern der Ampel wurde allenthalben als Niederlage Schröders bewertet, auch wenn die SPD die Schuld dafür allein den Grünen und der FDP in die Schuhe schieben wollte.

Struck ist nicht der einzige in der SPD, der ein Bündnis mit der PDS skeptisch betrachtet. Ostdeutsche Sozialdemokraten befürchten Parteiaustritte, und auch aus dem so genannten Seeheimer Kreis, in dem sich der rechte Flügel der Sozialdemokraten trifft, meldeten sich Kritiker. Sein Sprecher Reinhold Robbe meinte: »Die größte Metropole Deutschlands darf nicht von SED-Nachfolgern mitregiert werden.«

Die Bedenken in der SPD sind nicht völlig unbegründet, denn die CDU wird die Regierungsbeteiligung der Sozialisten in der Hauptstadt für ihren Bundestagswahlkampf ausschlachten. Die Beteuerungen der Sozialdemokraten, die Koalition sei kein Modell für die Bundesebene, werden das nicht verhindern. Während einer Vorstandsklausur am vergangenen Samstag kündigte der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber bereits an, eine Kampagne gegen Rot-Rot zu führen. Der Generalsekretär der CSU, Thomas Goppel, blies zum Angriff. Er sagte einem lokalen Radiosender, Berlin werde nun das Pilotprojekt für das von Bundeskanzler Schröder angestrebte »Linkskartell«.

Vielleicht irren sich die Konservativen aber auch. Etwa Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU), der meinte: »Die Neue Mitte gibt es in Berlin nicht mehr.« Denn möglicherweise bildet sich in der Hauptstadt gerade die allerneueste Mitte. Im Osten Berlins verfügen die SPD und die PDS über eine satte Zweidrittelmehrheit. Die Wähler der PDS im Osten sind keine extreme Randgruppe, dort ist diese Partei ein Teil der politischen Mitte. Die Bundestagswahl wird zwar im Westen gewonnen, aber keinesfalls gegen den Osten.

Die SPD und die PDS werden jedenfalls den Eindruck, eine allzu linke Regierung zu sein, zu vermeiden wissen. Der Sozialabbau dürfte von den nicht ganz so zwangsvereinten rot-roten Sozialdemokraten entschieden vorangebracht werden. Niemand könnte ihn besser in der Bevölkerung durchsetzen, und die Haushaltslage Berlins wird als Begründung dafür dienen. Tatsächlich sitzt die Stadt auf einem Schuldenberg von 80 Milliarden Mark, der Haushalt weist nach Schätzungen in den nächsten fünf Jahren eine Finanzierungslücke von 40 bis 50 Milliarden Mark auf. Da würde es nicht mal reichen, alle Kindertagesstätten und Schwimmbäder zu schließen.

Aber auch in anderen Bereichen, etwa bei der inneren Sicherheit, werden die zukünftigen Koalitionäre nichts anbrennen lassen. Die Berliner Wasserwerfer werden nicht arbeitslos werden, das wird sich nicht erst am kommenden 1. Mai zeigen. Denn Sozialdemokraten und Sozialisten von heute verbindet der Wille zur Macht.

Wie schon der damalige Vorsitzende der KPD und spätere Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, am 9. November 1945 sagte: »Es lebe die brüderliche Zusammenarbeit der Kommunisten und Sozialdemokraten mit dem Ziel ihrer Vereinigung in einer einheitlichen Arbeiterpartei.«