Organisationschaos vor den Olympischen Spielen 2004

Potemkinsche Hallen

In Athen versuchte das Organisationskomitee der Olympischen Spiele, die Kontrolleure des IOC auszutricksen.

Mit treffendem Humor hat die angesehene griechische Tageszeitung Kathimerini vor kurzem das passende Bild zu den aktuellen Olympiavorbereitungen in Athen geliefert. Zu sehen ist, wie ein ergiebiger Herbstregen die griechische Hauptstadt in nur einer Nacht mal wieder kräftig unter Wasser gesetzt hat. Viele Athener Straßen gleichen kleinen Flüssen, zahlreiche Plätze haben sich sogar in mittlere Seen verwandelt. Seite an Seite, hinter dem schützenden Fenster einer Hochhauswohnung, stehen der griechische Ministerpräsident Kostas Simitis und die Präsidentin des olympischen Organisationskomitees Athoc 2004, Janna Angelopoulou, und schauen hinunter auf diese ungewöhnliche Athener Wasserlandschaft. »Welch ein Wunder, welch ein Wunder! Schwimmbad, Ruder-, Kajak- und Kanustrecke, alles in nur einer Nacht!« rufen die beiden, erstaunt und freudig zugleich.

Was in der »Karikatur der Woche« als Athener Momentaufnahme nachgezeichnet wurde, hat die Realität nicht einmal auf die Spitze getrieben. Knapp 1 000 Tage vor dem Beginn der Olympischen Spiele im August 2004 scheint den griechischen Planern tatsächlich nur noch ein Wunder helfen zu können, um die zahlreichen Bauverzögerungen an den geplanten Sportstätten in den Griff zu bekommen.

Das hat auch Denis Oswald, der Nachfolger Jaques Rogges an der Spitze der IOC-Koordinierungskommission (Cocom) für die Olympiade 2004, deutlich erkannt. Zwar quälte sich der Schweizer im September noch durch den Athener Dauerstau und fuhr - wie der Chef einer städtischen Bauaufsichtsbehörde - von einer staubigen Athener Baustelle zur nächsten. Doch echte Fortschritte konnte er nicht ausmachen.

Bei seinem nächsten Kontrollbesuch Ende November zeigte sich ihm dasselbe triste Bild. In einem vertraulichen Brief des IOC an die Verantwortlichen in Athen, der in der Tageszeitung Kathimerini veröffentlicht wurde, wurden 20 Projekte aufgeführt, deren pünktliche Realisierung bei den Kontrolleuren aus Lausanne als gefährdet gilt.

Und auch jetzt noch hängen die Griechen dem olympischen Zeitplan deutlich hinterher. Immerhin sind die »Hüter der olympischen Idee«, wie sie sich gerne selbst nennen, mittlerweile ehrlich genug, das »Grundübel Bauverzögerungen« offen einzugestehen. Im Juni dieses Jahres noch, auf Rogges letzter Inspektionsreise als Chef der Cocom, hatten sie tief in die Trickkiste gegriffen, um dem Belgier einen anderen Eindruck zu vermitteln.

Rogge wurde damals eine Art olympische virtual reality auf Griechisch präsentiert, und er fiel auf sie herein. Die pure Not nämlich machte die Verantwortlichen ziemlich erfinderisch. Mit außerordentlichem Geschick bauten sie überall dort eine Art Potemkinsches Dorf auf, wo am wenigsten zu sehen war.

So hat die Tageszeitung Kathimirini im Frühsommer recherchiert und fotografisch belegen können, wie kurz vor der Besichtigung Rogges dort, wo einmal eine Halle für die Gewichtheber entstehen soll, schweres Baufahrzeug anrückte. In der warmen griechischen Morgensonne dann, pünktlich zum Erscheinen des IOC-Inspekteurs, legten sich Mensch und Maschine mächtig ins Zeug und täuschten eine rege Bautätigkeit vor. Fast gleichzeitig mit Rogges Abreise aus Athen wurden die verdutzten Bauarbeiter mitsamt ihren Geräten wieder abgezogen. Wohin, weiß bis heute jedoch niemand.

Denis Oswald nutzte deshalb seine Athener Herbsttage auch dazu, sich an einem Krisenmanagement zu versuchen, statt sich auf Baustellen herumzutreiben. Der Schweizer Jurist traf dabei im November erstmalig Evangelos Venizelos. Der griechische Kultusminister ist vom Ministerpräsidenten Kostas Simitis der Athoc-Präsidentin Janna Angelopoulou an die Seite gesetzt worden und wird wohl auch fortan von dort nicht mehr weichen. Die olympische Omnipräsenz des »king of culture«, wie die Griechen Venizelos nennen, ist ein Zeichen dafür, dass die Athener Geschäftsfrau an Macht verloren hat. Seit dieser alles andere als stillen Übernahme von Athoc 2004 durch den Kultusminister Venizelos im November hat die griechische Regierung endgültig die Kontrolle über die Vorbereitung der Olympischen Spiele. Die Organisation ist damit, wie so vieles in Griechenland, verstaatlicht. Der Kulturminister soll in den kommenden drei Jahren »die nationale Aufgabe« erfüllen, die Olympischen Spiele zu einem guten Ende zu führen.

Und Venizelos versprach sogleich eine »neue Strategie«. Für »mehr Licht« im olympischen Management möchte er sorgen. Das scheint auch dringend nötig zu sein. Denn die Vergabekriterien, nach denen zum Beispiel die immer gleichen griechischen Baufirmen mit olympischen Aufträgen versorgt werden, sind extrem undurchsichtig. In dem veröffentlichten Brief des IOC zweifelt Denis Oswald auch daran, »dass diese Firmen über ausreichende Kapazitäten verfügen, die obligatorischen Olympiaprojekte rechtzeitig zu vollenden«.

Doch nicht nur die Bauverzögerungen geben Anlass zur Sorge. In dem »großen Puzzle 2004«, wie Denis Oswald die geplanten olympischen Sommerspiele in Athen bildhaft umschrieb, passten noch viele andere Teile nicht, berichtete er. »Wer hier einmal Auto gefahren ist, der weiß, wovon ich spreche, nämlich von den chaotischen Athener Verkehrsverhältnissen«, schilderte der Kontrolleur seine auf den Athener Autopisten gesammelten Eindrücke.

Der Schweizer hat das erlebt, worüber alle Hauptstädter täglich klagen. Wer mit dem Auto ein Ziel in Athen erreichen will, der kommt immer zu spät. Sei es, weil er im Stau stecken bleibt, sei es, weil er einfach kein Parkplatz findet. Damit jedoch alle Zuschauer auch pünktlich im Stadion sind, wenn die Olympioniken im August 2004 ihre Kräfte messen, greifen die Olympiastrategen nun zu schärferen Mitteln.

Dem griechischen Verkehrsminister Christos Verelis rang der Leiter der Koordinierungsgruppe das Versprechen ab, für mehr Disziplin auf den Athener Straßen zu sorgen. Zudem hat Oswald erkannt, dass mehr Straßen nicht automatisch zu einer Verringerung der Athener Verkehrsdichte führen. Deshalb redet man in Athen zurzeit viel über öffentliche Transportkonzepte. »Die besten Athleten der Welt brauchen nicht nur die besten Arenen der Welt, sie müssen dort auch zügig ankommen«, stellte Oswald fest.

In den kommenden drei Monate werden die Griechen endlich einmal die Ruhe haben, an der Lösung der vom IOC aufgezeigten Probleme zu arbeiten. Denn das Hin und Her zwischen den Olympiakontrolleuren aus Lausanne und dem griechischen Organisationsteam wird zunächst einmal bis nach den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City im Februar 2002 ausgesetzt.