Riots in den Banlieues

Aggression am Rande

Frankreichs Jugendliche in den Banlieues haben es an Silvester wieder einmal krachen lassen.

Ein schlimmes Ritual« nennt der Präfekt von Strasbourg, der Vertreter des Zentralstaats im französischen Rhein-Département, das Abfackeln von Autos in der Silvesternacht. Tatsächlich scheint dies seit mehreren Jahren in einigen der bis zu einem gewissen Grade ghettoisierten Stadtbezirke, wie Neuhof und Meinau, zu einer Art Folklore oder zu einem Sportereignis geworden zu sein.

Die Besitzer der angezündeten Gebrauchtwagen, die selbst zu den ärmeren Bewohnern der von der gesellschaftlichen Prosperität abgehängten Bezirke gehören, halten das Ganze allerdings weniger für eine liebenswerte, pseudo-aufrührerische Beschäftigung. Denn die Versicherungen zahlen nicht gerade viel für ein abgefackeltes Altauto, wenn sie überhaupt zahlen. Und die Neuwagen, unter denen vor allem die schickeren mit Alarmanlagen und technischen Sicherungsvorrichtungen ausgestattet sind, trifft es nicht so häufig.

Insgesamt 76 Straftaten »vorsätzlicher Inbrandsetzung von Fahrzeugen« wurden in der Neujahrsnacht im Elsass registriert. Allein 44 davon in der Regionalmetropole Strasbourg, wo es auch an den folgenden Tagen munter weiterging.

Und das Phänomen blieb nicht auf Ostfrankreich beschränkt. Fast 100 Autos verkohlten in der Neujahrsnacht in den Trabantenstädten rund um Paris. Auch in Nantes und Rouen ging es heiß her, und in Le Havre brannten fünf Busse und ein der Stadt gehörender Versammlungssaal.

Was die Jugendlichen dazu treibt, Autos anzuzünden und zu randalieren, versuchten die Mitglieder der Bürgerinitiative Cogépienne (Plurikultureller Jugendrat) herauszufinden. In der Neujahrsnacht fuhren sie daher mit einem VW-Bus kreuz und quer durch den Strasbourger Bezirk Neuhof und fragten mehrere hundert junge Bewohner nach den aus ihrer Sicht maßgeblichen Motiven.

25 Prozent der Befragten gaben an, dass die starke Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte eine Provokation für sie darstelle. Immerhin 1 200 Gendarmen und Polizisten waren in diesem Jahr mobilisiert worden, um am Silvesterabend durch die »sensiblen« Zonen zu patrouillieren. 17 Prozent nannten die sozio-kulturelle Einöde der Quartiere, 15 Prozent »den Zorn, die Ungerechtigkeit« und »den Rassismus«, als deren Opfer sich hier viele fühlen, als Gründe für die Ausschreitungen. Zehn Prozent der Jugendlichen erklärten, dass sie »Lust dazu hätten, ihren Stadtbezirk hervorzuheben und sich dadurch zur Geltung zu bringen«.

Diese Argumentation hat etwas mit dem pervertierten Wettbewerb zu tun, den in der zweiten Hälfte der Neunziger die Medien ausgelöst haben. Viele Jugendliche bestimmter Stadtbezirke merkten damals, dass Fernsehkameras und Mikrophone nur dann auf sie gerichtet werden, wenn es in ihren Wohngebieten knallt. Einige zogen daraus anscheinend die Konsequenz, eine Art Wettkampf um die Berichterstattung in den Medien zwischen den so genannten problembeladenen Vierteln zu beginnen.

Dieses Jahr versuchten die Staatsanwaltschaft, die Präfektur und der Bürgermeister vorzubeugen, indem sie anordneten, dass kein Name eines Stadbezirks im Laufe der Nacht genannt werden solle. Doch die Jugendlichen können ihre »sportlichen« Ergebnisse auch einfach übers Handy vergleichen.

Doch es geht nicht immer so vergleichsweise harmlos zu in den Außenbezirken und Trabantenstädten, in denen eine - in kaum einem anderen europäischen Land in vergleichbarem Maße festzustellende - soziale Segregation wegen der urbanen Wohnraumverteilung herrscht. Davon zeugt auch der erste Tote, den es in diesem Jahr in den Banlieues gegeben hat.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch der vergangenen Woche starb der 17jährige Moussa aus der Trabantenstadt Les Mureaux, die rund 15 Kilometer nordwestlich von Paris liegt. An einer Straßensperre auf der Ringautobahn rund um Paris feuerte ein Polizeibeamter drei Schüsse in das Innere eines Fahrzeugs, das nach offiziellen Angaben auf die Sperre der Beamten zuraste. Dabei wurde der nicht am Lenkrad sitzende Moussa tödlich getroffen. Vorausgegangen war eine Verfolgungsjagd, nachdem andere Beamte drei Jugendliche beim Aufbrechen eines Renault beobachtet hatten. Die drei entkamen zunächst mit einem VW Polo, der sechs Monate zuvor gestohlen worden war.

Nach der Version, die von der Polizei und den Medien verbreitet wird, hat der 28jährige Beamte, der die tödlichen Schüsse abgab, in Notwehr gehandelt. Die Generalinspektion der Dienste (IGS), die »Polizei der Polizeien«, hat zur Prüfung des Hergangs dennoch ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet.

Die Jugendlichen der Trabantenstadt, aus der der Tote stammte, sind von der offiziellen Version kaum überzeugt. Am folgenden Tag zündeten sie 15 Autos in ihrer Hochhaussiedlung an. Allerdings wurden sie danach von Mitgliedern einer Bürgerinitiative, aber auch von den Eltern des Opfers und seiner Begleiter von weiteren Aktivitäten abgehalten.

Die Jugendlichen sind vor allem deswegen aufgebracht, weil in der Vergangenheit immer wieder Polizisten, die Jugendliche aus den Banlieues nicht in Notwehr erschossen hatten, von ihnen wohl gesonnenen Geschworenengerichten freigesprochen wurden. So zuletzt im September des vergangenen Jahres, als der Polizist Pascal Hiblot, nach einer mehr als zehnjährigen Verschleppung des Verfahrens, von Versailler Geschworenen vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung des jungen Youssef Khaïf freigesprochen wurde. Khaïf war im Juni 1991 an einer Polizeisperre eindeutig von hinten, während das Auto sich von der Barriere entfernte, erschossen worden, angeblich aus Notwehr.

Und als dann die laizistische »Bewegung der Immigration und der Banlieues« (Mib) Ende September vor dem Gericht eine Demonstration gegen das Urteil organisierte, entblödeten sich viele konservative Zeitungen nicht, von einer Mobilisierung für den »Heiligen Krieg« und für bin Laden zu schreiben.