Wenig Unterstützung für die Islamisten und die Taliban

Tanzen statt kämpfen

Von einem bevorstehenden Krieg ist im pakistanischen Alltag wenig zu spüren. Islamistische Parteien und die Taliban werden nur von einer Minderheit unterstützt.
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Den religiösen Parteien würden diese Musik und der Tanz bestimmt nicht gefallen«, kommentiert Rafiq*. Er arbeitet in Quetta, das als Hochburg der Islamisten gilt, und ist Paschtune wie die Mehrzahl der Taliban. Doch von deren Fundamentalismus hält er wenig: »Der Islam muss richtig ausgelegt werden, etwa so, wie er hier in Sehwan praktiziert wird.«

In Sehwan Sharif, einer Kleinstadt in der Wüste, dominiert der so genannte Sufismus, eine Strömung im Islam, die oft als unorthodox oder mystisch bezeichnet wird. Hier wurde im 13. Jahrhundert Hezrat Lal Shabaz Qalander aus Afghanistan beerdigt, sein Grab und die Mausoleen anderer islamischer Heiliger sind bis zum heutigen Tag eine Wallfahrtsstätte.

Jeden Abend gibt es vor dem Mausoleum von Shabaz Qalander eine halbe Stunde Musik und Tanz. Die Menschen tanzen frei und improvisieren zur Musik von Trommeln und Blasinstrumenten, etwa so, wie man es in Deutschland bei einem fortgeschrittenen Rave beobachten kann. Sie tanzen sich in Ekstase, sowohl Frauen als auch Männer, was so gar nicht ins Bild des nach Geschlechtern segregierten Pakistan passen will. Unter den Tanzenden sind viele so genannte Sufis, die an ihren langen Haaren und ihrer unkonventionellen Kleidung zu erkennen sind.

Als die Musik endet - hinter mir ist nun nur noch der Gameboy eines Jungen zu hören -, komme ich ins Gespräch mit Rafiq und einer Gruppe von Männern, die für einige Tage aus Quetta angereist sind. Für sie ist der Sufismus eine Alternative zu den othodoxen Koranschulen, aus denen unter anderem die Taliban-Bewegung hervorging.

Hier in der Provinz Sindh gebe es kaum Koranschulen, erklärt Aslam. »Die Leute, die solch eine orthodoxe Vorstellung vom Islam haben, leben vor allem in der North West Frontier Province (an der Grenze zu Afghanistan) oder in Quetta. Vielleicht 30 Prozent der Bevölkerung unterstützen die religiösen Parteien«, schätzt er, »aber bei weitem nicht die Mehrheit der Leute in Pakistan.« Islamistische Parteien wie die Jamat-e-Islami und die Jamat Ulema-e-Islam hätten lautstarke Proteste organisiert, die aber begrenzt blieben: »Die Demonstrationen der Religiösen haben zwar stattgefunden, hauptsächlich jedoch in Quetta. In weiten Teilen des Landes ist es ruhig gewesen.«

Auf dem Bazar, wo in einem Geschäft ein Bild von Ussama bin Laden hängt, treffe ich Daud, einen Afghanen aus Kandahar, der in Sehwan Broschen aus Halbedelsteinen verkauft. Er würde gerne zurückkehren. »Aber erstmal abwarten, bis es ein paar Monate ruhig geblieben ist. Jetzt kann man noch überhaupt nichts sagen.« Die Taliban findet er abstoßend: »Sie gestatteten keine Musik, keinen Tanz und kein Spiel.« Ob es jetzt besser ist, könne er nicht sagen, weil er nach dem Ende der Taliban-Herrschaft nicht in Afghanistan gewesen sei.

Einige Freunde haben die Taliban aber wohl doch in der Stadt. »Sie haben den wahren Islam gelebt«, verkündet mein Zimmerwirt. In der Ablehnung des Krieges der USA in Afghanistan hingegen sind sich alle meine Gesprächspartner an diesem Abend einig.

Am nächsten Morgen fahre ich weiter nach Sadqabad an der Grenze der Provinzen Sindh und Punjab. Von hier aus sind es etwa 70 Kilometer zur indischen Grenze, wegen der wachsenden Spannungen wird diese Gegend als einer der gefährlichsten Orte in Pakistan eingestuft. Doch das kleinstädtische Leben hier ist so träge, wie ich es von früheren Aufenthalten kenne. Militär ist überhaupt nicht zu sehen.

Weiter geht es über Bahawalpur und Bahwalnager parallel zur indischen Grenze in Richtung Lahore. Auf dem Weg kommen uns einige mit Laub bedeckte Militärjeeps entgegen, links neben der Fahrbahn gibt es einige provisorisch zusammengebaute Schießstände. In Bahwalnager fahren zwei Militärlastwagen mit aufeinandergestapelten Charpais, wetterbeständigen Betten auf vier Pfosten, und Plastikstühlen auf der offenen Ladefläche durch den Ort. Voraus fährt ein Jeep mit Warnlicht, der letzte LKW hat eine Gulaschkanone im Schlepptau. Die Straße führt direkt an der Grenze vorbei, doch auch hier gibt es keine Militärkontrollen.

Die Möglichkeit eines Krieges mit Indien wird gelassen diskutiert. Indien solle nicht provozieren, wird mir in Gesprächen immer wieder gesagt, aber man hoffe - oder auch, man glaube -, dass es keinen Krieg geben wird. Die Oberschicht dürfte den Konflikt vor allem daran spüren, dass die hier sehr populären indischen Fernsehprogramme aus dem Kabelnetz genommen und Auftritte von indischen KünstlerInnen in Lahore verboten wurden.

Friedenskundgebungen werden derzeit nicht gerne gesehen, am Silvestertag kommmt es an der Grenze zwischen Lahore und der indischen Stadt Amritsar zum Zusammenstoß einer Anti-Kriegsdemonstration mit dem pakistanischen Militär. Dieser Grenzabschnitt hat für beide Seiten symbolische und strategische Bedeutung, weil bei einem indischen Angriff das nur etwa 15 Kilometer von der Grenze entfernte Lahore - neben Karachi die wichtigste Stadt des Landes - gefährdet wäre. In normalen Zeiten ist dies die einzige Grenzübertrittsstelle zwischen den beiden Ländern. Abends wird hier in einer Zeremonie beider Grenzposten, bei der die Fahnen eingeholt werden, die Grenze geschlossen

Die Demonstration wurde von verschiedenen Menschenrechts- und Friedensgruppen mit dem Slogan »No War, No Terrorism« organisiert und hat das Ziel, den Leuten auf der anderen Seite der Grenze zu zeigen, dass die Bevölkerung in Pakistan keinen Krieg will. 400 Demonstranten mit Transparenten erreichen die Grenze wenige Minuten nach dem Beginn der Flaggenzeremonie und versuchen, Kerzen anzuzünden. Die pakistanischen Grenzsoldaten unterbrechen ihre Zeremonie für zehn Minuten, drängen die Demonstranten zurück und verprügeln sie.

In Lahore kommen mir mit Panzern beladene Lastwagen entgegen. Von einem bevorstehenden Krieg aber ist im Alltag wenig zu spüren. Auch aufgebrachte Islamisten sind nicht zu sehen. Für einen Ausländer ist es noch immer sicherer, durch Pakistan zu reisen als durch Brandenburg.

In der Nacht wache ich auf, als es vor meinem Fenster kracht. Doch es sind keine Gewehrschüsse, sondern Böller. Es ist Silvester.

* Alle Namen von der Redaktion geändert