Prozess um Bombenanschlag auf ein jüdisches Zentrum

Aufklärung unerwünscht

Im Prozess um die Autobombe, die 1994 vor dem Jüdischen Kultur- und Gemeindezentrum in Buenos Aires explodierte, sind 15 Polizisten angeklagt.

Montag, 9 Uhr 53, vor dem Obersten Gericht Argentiniens in Buenos Aires. Wie jede Woche treffen sich am »Platz des Vergessens und der Ungerechtigkeit«, wie Juan Gurerich ihn nennt, rund 100 Menschen. Seit vier Jahren kommen sie hierher, um, so der Sprecher der Gruppe Memoria Activa, »der Straffreiheit in unserem Land ein Ende zu setzen«.

Die Stimmung ist gereizt. Denn bis heute herrscht keine Klarheit darüber, wer für die Autobombe verantwortlich ist, die am 18. Juli 1994 um 9 Uhr 53 vor dem Jüdischen Kultur- und Gemeindezentrum der Stadt explodierte. 85 Menschen kamen bei dem Anschlag auf die Asociación Mutual Israelita Argentina (Amia) ums Leben, 300 weitere wurden verletzt.

Seither kämpfen Angehörige der Opfer für die Aufklärung des Falls. »Heute wissen wir genauso viel wie eine Woche nach dem Attentat«, sagt Luis Zuppi, ein Rechtsanwalt von Memoria Activa. Anfang diesen Monats ging der Prozess um den Anschlag in seine erste Sommerpause.

Die argentinischen Strafverfolger hatten es nicht eilig. Erst Ende September des vergangenen Jahres begann der Prozess gegen 20 Verdächtige, unter ihnen 15 Polizeibeamte. Den Angeklagten wird vorgeworfen, als lokale Helfershelfer an der Aktion beteiligt gewesen zu sein. So soll Juan José Ribelli, der damalige designierte Nachfolger des Polizeichefs von Buenos Aires, den Wagen besorgt haben, in dem die rund 300 Kilogramm Sprengstoff explodierten.

Auf der Anklagebank sitzt auch der Kleinkriminelle Carlos Telledin, der über beste Kontakte zu korrupten Polizeikreisen verfügt. Er soll das Tatfahrzeug ausgerüstet und eine Woche vor dem Anschlag einer Gruppe von Polizisten übergeben haben. Zwar beschuldigen sich die Angeklagten teilweise gegenseitig; in wessen Auftrag sie gehandelt haben, darüber schweigen sich jedoch alle aus. Nicht nur deshalb gibt es bis heute nur Spekulationen darüber, wer hinter der Tat steckt. Von Anfang an seien »die Untersuchungen absolut mangelhaft gewesen«, erklärt Gurerich.

Tatsächlich gaben sich der damalige Präsident Carlos Menem und die argentinischen Ermittler alle Mühe, eine Aufklärung zu verhindern. Bei den Aufräumarbeiten wurden wichtige Beweismittel zerstört, Polizeibeamte wurden vor Hausdurchsuchungen gewarnt, Dokumente verschwanden aus den Archiven. Zeitweilig, so kritisiert der mit den Ermittlungen vertraute Publizist Raúl Kollman, sei nur mit 15 Personen gearbeitet worden. »Die meisten von ihnen waren Teil jener Polizeieinheit, die in den Fall verwickelt war.«

Für den ehemaligen Staatschef Menem gab es dagegen von Anfang an keinen Zweifel; die Spur der Täter führe in den Iran und zur von Teheran unterstützten Hisbollah. Auch das US-amerikanische FBI und der israelische Geheimdienst Mossad vermuten die Verantwortlichen im Iran. Und in der Tat legen einige Indizien nahe, dass militante islamistische Kräfte hinter dem bis dato folgenreichsten antisemitischen Angriff stecken, der nach 1945 außerhalb des israelischen Staatsgebietes verübt wurde.

So geriet beispielsweise der damalige iranische Kulturattaché in Buenos Aires, Moshen Rabbani, in Verdacht. Geheimdienstbeamte filmten den Diplomaten, als er sich vor dem Anschlag nach Preisen für einen Lieferwagen erkundigte, wie er auch für die Aktion benutzt wurde. Rabbani flüchtete, und die Reaktion aus dem Iran ließ nicht lange auf sich warten. Argentinien sei »ein Handlanger der Juden«, hieß es.

Ein weiterer Hinweis kam aus Deutschland, von einem iranischen Spion, genannt »C«. Er hatte bereits im Berliner Mykonos-Prozess gegen Geheimdienstler seines Landes ausgesagt. Die Botschaft des Iran in Buenos Aires sei, so »C«, ein Spionagezentrum gewesen. Um solchen Hinweisen nachzugehen, reiste der zuständige Richter Juan José Galeano vor wenigen Monaten quer durch die Welt. In den USA legte ihm ein exilierter ehemaliger Minister der Regierung von Schah Reza Pahlevi nahe: »Die argentinischen Ermittler müssen die Linie bin Laden-Teheran verfolgen.« Schon vor den Anschlägen vom 11. September stand ein enger Mitarbeiter bin Ladens, Imad Mugniyeh, auf den argentinischen Fahndungslisten. Er soll am Anschlag auf die israelische Botschaft in Buenos Aires im März 1992 beteiligt gewesen sein. Damals starben 29 Menschen, 250 wurden verletzt.

Juan Gurerich hält wenig von diesen Hinweisen. Richter Galeano sei der »falschen Spur« gefolgt, erklärte er der Jungle World. Für seine Mitstreiterin Laura Ginsberg hat die besondere Aufmerksamkeit für die »Iran-Linie« nur den Zweck, »die Ermittlungen gegen Argentinier zu beenden, die den Anschlag erst möglich gemacht haben«. Galeano habe entscheidende Zeugen nicht vernommen. Er »war immer abhängig vom Geheimdienst. Es gibt entscheidende Dinge, die von der Regierung selbst verschleiert werden.«

Dafür spricht nicht nur die Aussage des Zeugen »C«, der behauptet, ein Angehöriger der Regierung habe gewusst, dass der Anschlag 1992 in Teheran geplant worden sei. Menem selbst kam deshalb zeitweilig in Verdacht, in die Aktion verwickelt gewesen zu sein. Daher sollen er und einige Minister seines ehemaligen Kabinetts nach der Sommerpause in den Zeugenstand. Sie sollen erklären, warum ein Anruf nach dem Anschlag nicht an die Justiz weitergeleitet wurde, in dem der Iran der Tat bezichtigt worden war. Gegen eine solche Verwicklung der Regierung spricht allerdings, dass Menem selbst die Spur ins Ausland legte.

Dennoch hatte der ehemalige Staatschef allen Grund, die Ermittlungen nicht ausufern zu lassen. Argentiniens korrupter Polizei- und Militärapparat hat eine lange antisemitische Tradition. Als der Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann 1960 vom Mossad aus Argentinien nach Israel entführt wurde, kam es zu zahlreichen antisemitischen Angriffen. Die Polizei weigerte sich strikt, gegen die Täter zu ermitteln. Während der Militärdiktatur wurden zahlreiche Menschen wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt und gefoltert.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass einige Militärangehörige, die zwei Jahre nach dem Anschlag wegen ihrer möglichen Beteiligung verhaftet wurden, längst wieder auf freiem Fuß sind. Wenn überhaupt, tauchen sie im Verfahren nur noch auf der Zeugenliste auf.

Trotzdem setzt die Jüdische Gemeinde Argentiniens, die Daia (Delegación des Asociaciones Israelitas Argentinas) auf eine Zusammenarbeit mit den Institutionen des Landes und konzentriert sich auf die Spur in den Iran. Als eine Sprecherin von Memoria Activa 1997 auf einer Kundgebung zum Jahrestag des Anschlages die Regierung und auch den Dachverband Daia wegen seiner regierungsfreundlichen Haltung kritisierte, kam es zum offenen Bruch. Inzwischen bewegten sich die Beziehungen nur noch »auf formalem Boden«, erklärt Gurerich.

Was sich seine Gruppe vom Prozess verspricht? Wenig. Obwohl es genug Beweise für Verstrickungen der Polizei und des Geheimdienstes gebe, passiere im Verfahren nichts, sagt auch ein Redner auf dem »Platz des Vergessens und der Ungerechtigkeit«. Er fordert Gerechtigkeit für die Opfer der Anschläge auf die israelische Botschaft und das Amia-Gebäude.