In der Gastwirtschaft Zum roten Hahn

Mit Gregor Gysi stellt die PDS in Berlin zwar einen populären Wirtschaftssenator, ein wirtschaftspolitisches Konzept hat sie aber deswegen noch nicht.

Mit übergeschlagenen Beinen sitzt Gregor Gysi auf der Couch in seinem Berliner Abgeordnetenbüro und raucht eine Zigarette nach der anderen. »Die PDS ein Investorenschreck, das ist doch albern«, sagt er, zieht die rechte Seite seiner Oberlippe in die Höhe und zeigt Zähne. »Investoren wollen Gewinn, wir wollen Arbeitsplätze.«

Eine Hand wäscht die andere, so einfach ist das für den PDS-Spitzenmann, dem seine Parteifreunde am vergangenen Wochenende auf dem außerordentlichen Landesparteitag mit großer Mehrheit ihre Zustimmung zur Übernahme des Amtes des Wirtschaftssenators gaben.

Politiker anderer Parteien, rechte Medien und so mancher Unternehmer tun sich damit schwerer. Die Springer-Presse schlug Alarm, weil sie für die Zukunft Berlins rot sieht. Für den CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer ist ein sozialistischer Wirtschaftssenator »eine schlimme Botschaft für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt«. Klaus Mangold, der Vorsitzende des Berliner Finanzdienstleisters Daimler Chrysler Services, glaubt, ausländische Investoren würden nun »eine Denkpause einlegen«.

Wenn auch viele Kritiker arg überziehen - Wirtschaft ist ein heikles Thema in der PDS. Die Sozialisten besitzen kein tragfähiges wirtschaftspolitisches Leitkonzept. »Deshalb entscheiden sie ihre Positionen von Fall zu Fall«, sagt Joachim Weimann, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Magdeburg.

Das führte in der Vergangenheit zu absurden Konstellationen. In ihrem Parteiprogramm etwa fordern die Sozialisten die »Überwindung der Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums«, doch die Berliner PDS akzeptierte den Verkauf der landeseigenen Wasser- und Stromwerke. Seit einiger Zeit streiten Gysis Genossen nun, ob sie im Entwurf für das neue Parteiprogramm das Gewinnstreben der Firmen erstmals anerkennen wollen.

Im Bundesprogramm plädiert die Partei für die Einführung einer gesellschaftlichen Investitionslenkung und für Arbeitsmarktabgaben. Auch im Berliner Landtagswahlprogramm von 1999 machte sich die PDS noch für Infrastrukturabgaben der Firmen stark. Unternehmer wetterten damals gegen die »dirigistischen Folterwerkzeuge«. Heute gibt es solche Forderungen nicht mehr. »Wir sind weit entfernt von Träumen«, sagt der junge Berliner PDS-Landesvorsitzende Stefan Liebig, »schließlich war klar, dass wir uns im Falle eines Wahlsieges an der Realität messen lassen müssen.«

Nun wählen die Abgeordneten des Berliner Landtages am Donnerstag Gysi aller Voraussicht nach zum neuen Wirtschaftssenator. Er ist dann vor allem dafür verantwortlich, Investoren in die Hauptstadt zu locken, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Für keinen seiner Vorgänger war das einfach, denn nach dem Mauerfall entfielen die üppigen Berlin-Subventionen für den Westteil, und für die vereinte Stadt musste eine wirtschaftsfreundliche Infrastruktur erst aufgebaut werden. Immerhin gelang es dem ehemaligen Senator Wolfgang Branoner (CDU), das deutsche Hauptquartier des internationalen Musikkonzerns Universal Music von Hamburg nach Berlin zu holen.

Will Gysi ähnlich dicke Fische angeln, muss er bei potenziellen Investoren Vertrauen erwecken. Wer Gysi persönlich kennt, traut ihm das auch zu. Schon im Wahlkampf und auch davor war er bei Unternehmern ein gefragter Gesprächspartner. Oft endeten solche Treffen mit viel Applaus für ihn. Ein Zeichen, dass die Panikmacher übertreiben. Klaus Friedrich, der leitende Volkswirt der Allianz, formuliert es so: »Auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Investitionen gibt es keine parteipolitischen Vorlieben.«

Damit Investoren mehr Geld in der Stadt lassen, will Gysi bekannte Mängel beseitigen: Kürzere Genehmigungsverfahren für Firmenansiedlungen, eine zentrale Anlaufstelle für potenzielle Investoren statt wie bisher ein halbes Dutzend. »Außerdem werde ich mit der richtigen Investorenpflege für eine andere Atmosphäre sorgen«, sagt Gysi.

Was er damit meint, erklärte er vor ein paar Monaten so: Einen amerikanischen Millionär, der nach Berlin kam, um hier einen Teil seines Geldes zu investieren, hätte er nicht unverrichteter Dinge ziehen lassen. Damals kümmerte sich keiner richtig um ihn. »Ich wäre mit ihm essen gegangen«, sagte Gysi, »und hätte einen Stuhl nach ihm benannt, was weiß ich. Aber der hätte seine Million hier gelassen.«

Im Wahlkampf versprach die PDS, kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern, weil sie das Rückgrat der Wirtschaft seien. Beispielsweise könnte eine Beschwerdestelle bei der örtlichen Industrie- und Handelskammer eingerichtet werden, um die lasche Zahlungsmoral der öffentlichen Hand auf Vordermann zu bringen. Zudem sollten öffentliche Fördermittel in die wirtschaftsnahe Infrastruktur umgelenkt werden, statt wie bisher vor allem einzelne Firmen direkt zu unterstützen.

Als Wirtschaftssenator kann Gysi nun beides angehen. Er denkt auch über einen Verkauf der Königlichen Porzellan Manufaktur Berlin (KPM) nach, eine von knapp 400 Unternehmensbeteiligungen des Landes. Die Frage dabei sei, ob das jeweilige Landeseigentum für »soziale oder ökologische Lenkungsfunktionen« erforderlich ist. »Eine Porzellanfabrik ist das bestimmt nicht«, sagt Gysi, »aber in jedem Fall der öffentliche Personen- und Nahverkehr.«

Für den Wahlkampf erarbeitete Gysi gemeinsam mit Liebig das Papier »Wirtschaftspolitische Positionen für Berlin«. Darin schreiben sie, dass neue Arbeitsplätze vor allem »durch die Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft entstehen«. Als Wirtschaftssenator wird Gysi versuchen, solche Kooperationen in der Verkehrs- und Umwelttechnik, der Medizin- und Biotechnologie zu fördern.

Auf die Erfahrungen seiner Parteigenossen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sollte er sich dabei jedoch nicht verlassen. In Mecklenburg-Vorpommern sitzen sie seit 1998 unter Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) in Deutschlands erster rot-roten Landesregierung, und in Sachsen-Anhalt toleriert die PDS eine sozialdemokratische Minderheitsregierung. »Die beiden Bundesländer sind die einzigen, in denen die Zahl der Wissenschaftler sinkt, die in der Wirtschaft arbeiten«, sagt Professor Joachim Weimann.

Auf jeden Fall kennt die PDS im strukturschwachen und ebenfalls hoch verschuldeten Mecklenburg-Vorpommern die so genannten realpolitischen Zwänge. »Weil wir von finanziellen Mitteln des Bundes und der EU abhängig sind, können wir kaum eigene Akzente setzen«, sagt Angelika Gramkow, die PDS-Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag. Doch die Frage, was die Wirtschaftspolitik der PDS ausmacht, kann sie auch nicht beantworten. Dennoch, Gramkow ist stolz, dass der PDS im Land nicht mehr das Image einer Schuldenpartei anhaftet. Die Nettoneuverschuldung sank seit 1998 um fast die Hälfte.

Rund vier Fünftel der 83 000 PDS-Mitglieder huldigten nach Meinung des Parteienforschers Peter Lösche noch immer dem Ideal vom Staatssozialismus. Sie verkrafteten nur schwer das Tempo, mit dem sich Gysis realpolitische Vorschläge von den programmatischen Ansätzen der Partei entfernen. Vielen sei Gysis Kompromissfreude während der Koalitionsverhandlungen zu weit gegangen. Sie verstünden nicht, warum er für den Verzicht auf eine Berliner Olympiabewerbung im Gegenzug dem Ausbau des Flughafens Schönefeld zustimmte.

»Die murren zwar und sind unzufrieden«, sagt Lösche, »aber als alte Leninisten sind sie autoritätsgläubig. Weil sie vom demokratischen Zentralismus überzeugt sind, denken sie, die Führung wird es schon gut machen.« Zu einer parteiinternen Revolte wird es nicht kommen, glaubt er.

Wohl um die Basis zu beruhigen, will die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer von nun an auf »zwei Ebenen kommunizieren«. Die harten finanziellen Einschnitte im Land Berlin, die von der PDS mitgetragen werden, dürften nicht der gesamten Partei »auf die Füße fallen«, stellte sie klar.

Dem gleichen Zweck dient wohl Gysis Vorschlag, mehr Mitbestimmung in den Betrieben einzufordern. Er bekräftigte damit eines der programmatischen Ziele seiner Partei. Als Wirtschaftssenator hat er darauf aber kaum Einfluss, denn Mitbestimmung ist Bundessache. Und hier wird die PDS so schnell noch nicht mitregieren.