Umstrittene Ausstellung in der Gedenkstätte Sachsenhausen

Doppelt vergangen

In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wird neuerdings auch der von den Sowjets inhaftierten NS-Täter gedacht.

Selten zuvor ließ eine der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs eine derartige Kritik an der Gedenkpolitik des wiedervereinigten Deutschland hören. Vor der Eröffnung der Dauerausstellung über das sowjetische Speziallager 1/7 in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen im Dezember erklärte das russische Außenministerium: »Die Absicht (...), die Verbrechen des Faschismus und die Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht im Rahmen der zwischen den Siegermächten vereinbarten Politik der Entnazifizierung und Demilitarisierung auf eine Stufe zu stellen, ist nicht zu rechtfertigen. Solche Versuche laufen letztlich auf eine Reinwäsche der Untaten von Nazi-Verbrechern hinaus.«

Im KZ Sachsenhausen überlebten von 200 000 überwiegend nicht deutschen Häftlingen 100 000 den SS-Terror nicht. Unter den Opfern befanden sich 10 000 im Herbst 1941 erschossene Soldaten der Roten Armee. Ab Herbst 1945 benutzte der sowjetische Geheimdienst NKWD das Gelände als Internierungslager, es war eines der größten in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Nach einem Beschluss der Potsdamer Konferenz sollten hier ebenso wie in den Lagern der Westzonen Nazifunktionäre und -anhänger sowie für die Besatzung gefährliche Personen interniert werden.

Forschungen in neu zugänglichen Moskauer Archiven ergaben, dass in der SBZ nicht mehr Personen interniert wurden als im Westen. Von 160 000 Insassen der Speziallager (darunter 35 000 Sowjetbürger) starben 44 000 an Hunger und Krankheiten (in Sachsenhausen 12 000 von 60 000). Im Westen unterstellte man eine Vernichtungsabsicht »der Russen«. Tatsächlich war der Hungertod jedoch eine Folge der kriegsbedingten katastrophalen Versorgungssituation, an der in der Sowjetunion weitaus mehr Menschen starben.

In Westdeutschland wurde unter der Führung von Organisationen wie der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit gegen die Speziallager gehetzt, sie wurden als »sowjetische Konzentrationslager auf deutschem Boden« bezeichnet. Noch vor dem 8. Mai 1985 verhinderte so der Kurt-Schumacher-Kreis rechter Sozialdemokraten eine Fahrt der Westberliner SPD-Abgeordnetenhausfraktion nach Sachsenhausen.

Ab 1990 drängten mit den ostdeutschen Bürgerrechtlern auch die ehemaligen Speziallagerhäftlinge auf Gedenkstätten für die »Opfer des Stalinismus«. In Sachsenhausen wurden Massengräber exhumiert, ein Gedenkstein wurde aufgestellt und eine provisorische Ausstellung eingerichtet. Die ehemaligen KZ-Insassen protestierten seither immer wieder gegen dieses Gedenken an Nazi-Täter am Ort ihrer Leiden. Unterstützt wurden sie dabei vom Europaparlament, das sich im Februar 1993 in einem Beschluss »gegen jede willkürliche Verquickung der Realität der nationalsozialistischen Lager und ihrer etwaigen Nutzung nach dem Krieg« wandte.

1997 eröffnete in Buchenwald eine Dauerausstellung über das dortige Speziallager, deren Konzept in Sachsenhausen weitgehend übernommen wurde. Räumlich getrennt und der KZ-Ausstellung nachgeordnet, entstanden Orte, an denen des Leidens und Sterbens aller Speziallagerinsassen gedacht wird und die NS-Vernichtungspolitik als Ursache dafür dargestellt ist. Nach neuen Forschungsergebnissen steht fest, dass 80 Prozent der deutschen Insassen mehr oder minder stark in den Nationalsozialismus verwickelt waren.

Doch dass der NKWD zu den nach dem Potsdamer Abkommen zu internierenden »für die Besatzung und ihre Ziele gefährlichen Personen« auch einige oppositionelle Sozialdemokraten und den ersten Nachkriegsvorsitzenden der Berliner jüdischen Gemeinde, Erich Nehlhans, zählte (Jungle World, 21/01), wird dazu instrumentalisiert, dem Speziallager die Entnazifizierungsfunktion generell abzusprechen.

Bei der Eröffnung der Ausstellung in Sachsenhausen sprach der Leiter der Gedenkstätte, Günter Morsch, von 60 000 Menschen, die »vom sowjetischen Geheimdienst unrechtmäßig und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten wurden«. Der ehemalige Häftling Kurt Weiss lobte den Euthanasiearzt Hans Heinze als Lebensretter und besonders hilfsbereiten Arzt im Lager.

Die Ausstellung präsentiert Hans Heinze und andere erkennbar als Nazitäter. Dazwischen zeigt sie Porträts offensichtlich zu Unrecht Internierter. Alle miteinander gruppieren sich um das vom russischen Staatsarchiv übergebene Totenbuch des Lagers. Hier wird des Leidens und des Todes aller inhaftierten Deutschen, unabhängig von ihrer NS-Belastung, gedacht.

Wie der russische Botschafter blieb auch der Generalsekretär des internationalen Sachsenhausenkomitees der Eröffnung fern. Der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft jedoch ging die Ausstellung nicht weit genug. Sie warnte vor einer »Verharmlosung der NKWD-Lager« und forderte an allen Orten der Gedenkstätte »deutlich sichtbare Hinweise« auf die Speziallagerzeit.

Die Gedenkstättenleitung sieht sich hingegen »der historischen Betrachtung fern von Polemik und politischen Interessen« verpflichtet. Um das zu untermauern, wird die west- und die ostdeutsche Sicht auf die Speziallager während des Kalten Krieges als von »politischen Vereinnahmungen« geprägt dargestellt.

Die Auseinandersetzungen um die NS-Gedenkstätten der DDR mündeten im Laufe der neunziger Jahre in der Bundestags-Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit«. Ihr Abschlussbericht von 1998 drückt den allgemeinen totalitarismustheoretischen Konsens aus und schreibt ihn in der »Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes« von 1999 fest: »Die Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen (...) schärft das Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Recht und Demokratie. Dies (...) ist der Kern des antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen.«

Dabei gelten Orte mit »doppelter Vergangenheit« wie Sachsenhausen und die »Delegitimierung des SED-Antifaschismus« als wichtig, um zu einer »Überwindung des gespaltenen Geschichtsbewusstseins im vereinten Deutschland« zu gelangen. Zu diesem Zweck wurde die Bundesförderung von Gedenkstätten eingeführt. Eine Sonderfinanzierung von Bund und Land in Höhe von 5,4 Millionen Mark stellte sicher, dass die Speziallagerausstellung in Sachsenhausen nicht erst 2006 eröffnet werden konnte. »Gesamtdeutsche Formen des Erinnerns« verlangen schließlich deutsche Opfer, auch wenn sie Nazis waren.

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Straße der Nationen 22, 16515 Oranienburg, Di. - So., 8.30 - 16.30 Uhr