Streit um Kreuze in bayerischen Schulen

No Logo

Der Streit ums Kreuz in bayerischen Klassenzimmern.

Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz. Da verankern die gottesfürchtigen Bayern in Artikel 131 Absatz II ihrer Verfassung als oberstes gesetzliches Bildungsziel die »Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott« und niemand schert sich drum, jedenfalls nicht das Bundesverfassungsgericht. Das erklärte schon im Jahre 1995 den Passus der bayerischen Schulordnung, wonach in jedem Klassenzimmer ein Kreuz zu hängen habe, für grundgesetzwidrig. Was jedoch im übrigen Deutschland rechtens ist, ist in Bayern noch lange nicht billig.

Auch die geltende Fassung der freistaatlichen Schulordnung ordnet für die Klassenräume der Volksschulen das Lernen »unter dem Kreuz« an. Warum die Gymnasien und die Realschulen von der optischen Indoktrination verschont bleiben, erklärt das Gesetzeswerk nicht. Das ist nicht nötig, denn die bajuwarische Schulpraxis geht ihre eigenen Wege. Immer noch sind die Unterrichtsräume mit dem Symbol des alttestamentarischen Folterwerkzeuges bestückt.

Hiergegen zog nun der Lehrer Konrad Riggemann zu Felde. Räumte die Entscheidung aus dem Jahre 1995 den Eltern das Recht ein, Kreuze aus dem Blickfeld ihrer Zöglinge entfernen zu lassen, so focht Riggemann als Lehrberechtigter gegen das Symbol. Auch er bekam Recht. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, dass wenigstens in Riggemanns Klasse 8a der Pfaffenhofener Volksschule das Kruzifix abgenommen werden müsse. Das war für die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier Grund genug, sich zu entrüsten: »Riggemann setzt seine befremdlichen Auffassungen rücksichtslos gegen Eltern und Schüler durch.« CSU-Generalsekretär Thomas Goppel forderte, der weltanschaulich zweifelhafte Lehrer müsse aus seinem Beruf entfernt werden.

»Das war natürlich ein Schnellschuss. Niemand kann entlassen werden, weil er sich so verhält, wie es im Gesetz steht«, stellt dagegen der Landesvorsitzende der GEW Bayern, Georg Wiesmaier, fest. Allerdings: »Andere Lehrer müssen im Zweifelsfall die gleiche Prozedur wie Riggemann durchmachen und vor Gericht ziehen.« Denn die bayerische Schulverwaltung wird nicht ohne weiteres davon ablassen, das Schulkreuz zum Symbol einer längst untergegangenen Wertehomogenität zu stilisieren. Damit verkennt die Behörde allerdings, dass die gekreuzten Balken nicht lediglich für »Erlösung, Hingabe und Versöhnung« stehen, wie es der Münchener Domdekan Ernst Blöckl behauptet.

Schon die grausame Realität der exponierten Hinrichtungsmethode zeitigt einen qualvollen Tod des Opfers jenseits aller Verklärung. Als 1968 die Überreste »Jehohanan ben Hagqols« in der Nähe von Jerusalem gefunden wurden, machten sich Ärzte und Archäologen erstmals ein genaueres Bild der oft viele Stunden andauernden Pein des Kreuzestodes. Dem Zeit- und Altersgenossen Jesu wurden Nägel durch Handgelenke und Knöchel getrieben, die Füße waren mittels eines Brettchens am Balken befestigt. Jehohanan »saß« auf einem Holzklotz, wodurch der Todeskrampf in die Länge gezogen wurde. Erst nach vielen Stunden trat der Tod dann tatsächlich durch Ersticken ein.

Jehohanan und Jesus waren beileibe keine Einzelfälle. Schon während des Spartakusaufstandes in den Jahren 73 bis 71 vor Christus hämmerten die vergeltungssüchtigen Römer 6 000 Sklaven an Kreuze, die sie längs der Via Appia zwischen Capua und Rom errichteten. Freiheitskämpfern im römisch besetzten Palästina drohte stets der Tod am Kreuz.

Im Jahre 4 vor Christus befahl der römische Feldherr Varus, 2 000 aufsässige Juden rings um die Stadtmauern Jerusalems zu kreuzigen. 13 Jahre später versank der römische Elitesoldat mit seinen Mannen im nordischen Sumpf, nachdem ihm der Cheruskerfürst Arminius zuvor ordentlich zugesetzt hatte. Besiegt wurde Varus möglicherweise mit Hilfe von Lanzen, auf denen sich ein Kreuzsymbol befand. Mit einem Hakenkreuz schmückten die pelzbekleideten Germanen Lanzenspitzen und Grabstätten. Damit wollten sie kämpferische Wildheit und aggressiv-vitale Tötungskraft als Steigerung der Fruchtbarkeit signalisieren.

Das Hakenkreuz ist nur eine Variante vieler möglicher Kreuzformen, deren Symbolgehalt nicht erst das Christentum entdeckte. Das Henkelkreuz, bei dem der obere Teil des senkrechten Balkens durch eine Schlaufe ersetzt ist, zeigt bereits im 15. Jahrhundert vor Christus der »Papyrus von Quenna«. Hier deutet die obere Kreisform auf die Stilisierung einer Muttergottheit und die lebensverleihende Kraft des Pharaos oder einer Göttergestalt hin. Bereits aus der Mittelsteinzeit (12 000 bis 9 000 vor Christus) stammen mit roten Kreuzformen bemalte Kieselsteine, die Archäologen am Eingang der Tunnelhöhle Mas d'Azil am Fuße der Pyrenäen fanden.

Während frühzeitliche Kreuzdarstellungen in der Regel positiv besetzt waren, stellte die erste christlich konnotierte Darstellung ein »Spottkreuz« dar. An die Wand eines römischen Gebäudes ritzte im Jahre 200 ein Schüler das Bild eines Mannes am Kreuz mit einem Eselskopf und schrieb darunter: »Alexamenos betet seinen Gott an.«

Die Verehrung des Kreuzes durch die Christenheit begann erst im Jahre 335. Da glaubte Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, das Kreuz Jesu bei Golgatha gefunden zu haben und erbaute auf dem Hügel eine Basilika. Fortan entwickelte sich das Kreuz zum universellen christlichen Logo. Kreuzzügler trugen es voran, als sie sich auf den Weg machten, Palästina zu verwüsten. Die spanischen Konquistadoren verlangten von den Indios unter vorgehaltenem Kreuz die Instant-Bekehrung.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde das einfache Zeichen dermaßen mit religiösem Gehalt beladen, dass auch gegenwärtige Künstler wie Francis Bacon, Antonio Saura oder Joseph Beuys es gerne als Metapher für Leid und Verklärung verwendeten. Beuys allerdings bezog sich bei seinen Braunkreuzen möglicherweise gar nicht auf den religiösen Gehalt des Zeichens. Vielleicht erinnerte sich der Kriegsfreiwillige an das Balkenkreuz der deutschen Luftwaffe, das er auf den Flügeln seiner JU 87 gesehen hatte. Mit dieser Maschine flog Beuys als Sturzkampfflieger jahrelang Einsätze unter anderem in Italien, Jugoslawien und der Urkaine.

Die vielfach negativ besetzte Verwendung der verbundenen Balken interessiert die Schulbehörden im frommen Voralpenland freilich nicht. Kein Schulleiter ist gezwungen, Kreuze aus den Klassenzimmern zu entfernen, wenn aufmüpfige Kreuzsäger dies verlangen. Vielmehr empfiehlt die gültige Richtlinie: »Suchen sie eine einvernehmliche Lösung zu finden.« Bayern wird seine bisherige Praxis fortsetzen. Schon 1995 erklärte der bayerische Ministerpräsident Stoiber, dass er Kreuze noch lange nicht deshalb aus Klassenzimmern nehme, weil der Passus der Schulordnung rechtswidrig sei.