Schröder vs. Stoiber

Öfter mal ins Kino gehen

Der Bundestagswahlkampf ist eröffnet. Sein Höhepunkt soll ein Fernsehduell werden.

Wir fühlen uns in unserer Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen unseres Landes und der Welt mehr und mehr an die uns wohlbekannten Übel der Diktatur erinnert. So können wir uns zwar alle vier Jahre bei den Wahlen für eine von vielen streitenden Parteien entscheiden. Wir stellen jedoch fest, dass die Programme dieser Parteien mit der Politik, die sie dann tatsächlich machen, kaum etwas zu tun haben.«

Mit diesen Worten beschwerten sich Ende des vergangenen Jahres ehemalige DDR-Bürgerrechtler in ihrem Appell »Wir haben es satt« über das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Es handelte sich vor allem um Personen aus der Umgebung des ehemaligen Neuen Forums, die zu dieser völlig überraschenden Einsicht gekommen waren. »Die politischen Losungen in der DDR waren selten lustig, sie werden in ihrer Hohlheit von den Wahlwerbungen der Parteien heute übertroffen«, mokierten sich Wolfgang Ullmann, Sebastian Pflugbeil, Reinhard Schult und andere. »Wir haben uns über das Abstimmverhalten der Volkskammerabgeordneten amüsiert. Angesichts des Abstimmverhaltens der Bundestagsabgeordneten ist uns das Lachen vergangen.«

Was werden sie wohl in den nächsten Monaten machen, da in der real existierenden Bundesrepublik wieder die Zeit der besonders hohlen Parolen angebrochen ist? Seitdem die Union ihre so genannte K-Frage beantwortet hat, läuft der Bundestagswahlkampf auf Hochtouren. Und alles deutet daraufhin, dass er noch penetranter, vielleicht noch ein wenig aggressiver geführt wird als in den vergangenen Jahrzehnten.

Denn diesmal werden nicht nur die Städte und Dörfer mit grinsenden Visagen zugekleistert und es wird nicht nur Wahlwerbespots zur besten Sendezeit geben, in denen so legendäre Hits wie der SPD-Schlager »Wir wollen wie die Wolken sein« unter das Volk gebracht werden. Nein, Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Herausforderer Edmund Stoiber wollen sich auch noch zur prime time im Fernsehen duellieren.

Für Abwechslung ist also gesorgt, zumal sich Schröder und Stoiber in Sachen Populismus in nichts nachstehen. Die Parolen und Phrasen, die sich die beiden Politikdarsteller im September im Fernsehen gegenseitig um die Ohren hauen werden, werden dem Wahlvolk allerdings bis dahin schon längst aus den Ohren quellen. Deshalb dürfte es beim TV-Duell um ganz andere Dinge gehen: um Mienenspiel, Haltung, Intonation, Gehabe - und um die Rasur. Als beim ersten TV-Wahlkampfduell 1960 die US-Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon und John F. Kennedy aufeinander trafen, gaben - so wird allgemein kolportiert - Nixons Bartstoppel den Ausschlag für seine Wahlniederlage. Ein spätes Argument für eine Kandidatur Angela Merkels.

Weil Schröder es sich weder mit den öffentlich-rechtlichen Sendern noch mit Leo Kirch verderben will, hat er zwei Duelle vorgeschlagen. Eins vier Wochen und ein zweites unmittelbar vor der Wahl am 22. September; eins für ARD und ZDF und eins für RTL und Sat1. Am liebsten aber wäre es Schröder, alle Sender würden für das Rededuell gleichgeschaltet und auf allen Fernsehapparaten der Republik wäre für ein bis zwei Stunden nichts anderes mehr zu sehen als Schröderstoiber. »Und wer keine Politik sehen will, der kann ja mal ins Kino gehen«, schlug der Kanzler vor. Warum eigentlich nicht gleich noch eine Ausstrahlung in den Kinos?

Die kleineren Parteien sehen der anstehenden Auseinandersetzung etwas missmutig entgegen. Die FDP fürchtet um die Chancengleichheit. Obwohl der Sender RTL ein zusätzliches »Duell der Kleinen« vorgeschlagen hat - Westerwelle gegen Fischer, die PDS war nicht vorgesehen - wollen die Liberalen das Fernsehduell zwischen Schröder und Stoiber sogar gerichtlich verbieten lassen. Denn wie will man 18 Prozent der Stimmen gewinnen, wenn man nur unter den kleinen Parteien einsortiert wird?

Bei den Grünen und der PDS kommentiert man die Angelegenheit gelassener. »Ich glaube nicht, dass irgendwelche Probleme gelöst werden, wenn sich zwei Jungs im Nachtprogramm streiten«, befand die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Petra Pau.

Vor der weiteren Personalisierung der Politik sind indes auch die kleinen Parteien nicht gefeit. Für die Westerwelle-FDP und die Gysi-PDS war das ohnehin nie ein Problem. Die Grünen jedoch wollten einstmals Inhalte und nicht Personen in den Vordergrund stellen. Nun aber haben sie die Gelegenheit genutzt, um ein weiteres Überbleibsel aus ihrer Oppositionszeit über Bord zu werfen. Im September wird die Partei erstmals offiziell mit einem Spitzenkandidaten antreten: mit Außenminister Joseph Fischer. Am Montag ernannte ihn der Parteirat der Grünen auf Vorschlag der Parteiführung offiziell zum Spitzenkandidaten.

Zuvor hatte man sich auf dem kleinen Parteitag in Magdeburg kämpferisch gegeben. Es setzte Attacken auf Stoiber, der für den »Kohlschen Mehltau« stehe, wie die Parteivorsitzende Claudia Roth meinte, ihr Kollege Fritz Kuhn prophezeite der Partei ein besseres Wahlergebnis als 1998. Um die Globalisierungsgegner als Wähler zu gewinnen, forderte man in Magdeburg die Einführung der so genannten Tobin-Steuer auf Spekulationsgewinne.

Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Grünen rechtzeitig vor der Bundestagswahl von ihren linken Feigenblättern verabschieden. Hans-Christian Ströbele verpasste am vergangenen Samstag bei der Mitgliederversammlung der Berliner Grünen, auf der die Berliner Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt wurden, den zweiten Listenplatz, er unterlag in der Stichwahl gegen den Realo und ehemaligen ostdeutschen Bürgerrechtler Werner Schulz.

Platz eins besetzte erwartungsgemäß Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Wegen der Verkleinerung des Bundestages werden die Berliner Grünen voraussichtlich nur zwei ihrer Leute ins Parlament bringen, d.h. Ströbeles Zeit als Bundestagsabgeordneter dürfte dem Ende entgegen gehen. Und auch Winfried Hermann, der wie Ströbele immer wieder gegen deutsche Kriegseinsätze votierte, wird bei der Listenaufstellung in Baden-Württemberg wohl den Kürzeren ziehen.

Vielleicht verabschieden sich die Grünen aber auch gemeinsam aus dem Bundestag. Denn trotz Joseph Fischers andauernder Popularität rangieren sie in den Umfragen derzeit nur knapp über der Fünfprozentmarke. Und die steigende Zahl der Arbeitslosen, die im Januar über vier Millionen liegen dürfte, und die schlechten Konjunkturdaten für 2002 - das deutsche Wirtschaftswachstum soll im Jahr 2002 nur noch 0,75 Prozent betragen - bringen die rot-grüne Bundesregierung mehr und mehr in Bedrängnis.

Deshalb muss es aber nicht automatisch zum Sieg für Edmund Stoiber reichen. Die Union muss nach der K-Frage jetzt die W-Frage beantworten: Wer wird Stoibers Wahlkampfmanager? Der ehemalige Leiter der hessischen Staatskanzlei, Franz Josef Jung, hätte zwar schon allein wegen seiner Vornamen und seiner Verwicklung in diverse Schwarzgeldaffären gut zu Stoiber gepasst. Jung aber hat abgelehnt, weil ihm die Wahlkampfmannschaft nicht gefällt.

Das »Stoiber-Team« soll von Stoiber und Angela Merkel gemeinsam geleitet werden und unter anderem aus den Unionspolitikern Jürgen Rüttgers, Wolfgang Schäuble, Christian Wulff und Horst Seehofer bestehen. Dass Stoiber Wolfgang Schäuble wieder in die erste Reihe holt, ist dabei als ein durchaus raffinierter Schachzug zu bewerten. Er bindet damit die CDU gut in seinen Wahlkampf ein, besser als es Franz Josef Strauß 1980 gelang.

Festzustehen scheint auch schon ein weiteres Thema des Wahlkampfs neben der rot-grünen Wirtschaftspolitik. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) kündigte in der Zeitung Welt am Sonntag an, dass die Zuwanderung auch dann thematisiert werde, wenn die Bundesregierung mit den Stimmen der Brandenburger Koalition aus der SPD und der CDU noch vor der Wahl ein Zuwanderungsgesetz durch den Bundesrat bringe.

Das lässt erahnen, welche Fragen die Nation in den nächsten Monaten bewegen werden. Um dem Ganzen zu entgehen, hilft wohl nur, sich zu Hause einzusperren und die Glotze aus dem Fenster zu schmeißen. Oder doch öfter mal ins Kino?