Die Geschichte des Bündnisses für Arbeit

Bündnis für Verlust

Ein Blick in seine Geschichte zeigt, dass das Bündnis für Arbeit meistens ein Bündnis gegen die Beschäftigten war.

Ein »Medienspektakel« sei das Treffen gewesen, kommentierte die FAZ, ihr liberaler Gegenpart, die Frankfurter Rundschau, sprach von einem »Fototermin«, nachdem die achte Gesprächsrunde des so genannten Bündnisses für Arbeit Ende Januar gescheitert war. Im rot-grünen Koalitionsvertrag zum Allheilmittel erklärt, floppte die Konsensrunde aus Gewerkschaften, Vertretern der Unternehmerverbände und der Bundesregierung, worüber sich am meisten Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) geärgert haben dürfte, dem gerade im Wahljahr an einem Erfolg auf diesem Gebiet liegt.

Sein »Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit«, das ohne Ergebnis blieb, ist in der Substanz nichts Neues. In den fünfziger Jahren nannte es sich »Kanzlerausschuss«, 1967 »Konzertierte Aktion« und 1996 wurde es unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in »Bündnis für Arbeit und Standortsicherung« umbenannt.

Trotz neuer Namen aber war das unausgesprochene Ziel dieser Bündnisse stets die Einbindung der Gewerkschaften. Doch was in den Niederlanden, in Österreich oder in Skandinavien eine lange Tradition besitzt, konnte in Westdeutschland erst mit dem Regierungseintritt der SPD im Jahr 1966 so richtig in Angriff genommen werden. Es war der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD), der Vertreter der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Gebietskörperschaften ins Kanzleramt einlud. Denn erstmals seit 1959 war 1967 die Arbeitslosigkeit spürbar, für heutige Verhältnisse freilich gering gestiegen: auf 2,1 Prozent. Zugleich sanken trotz eines Exportbooms die Wachstumsrate und das Bruttoinlandsprodukt, die Teuerungsrate und die Zahl der Kurzarbeiter stiegen dagegen kräftig an.

Dennoch waren die damaligen Spitzengespräche aus der Sicht des noch jungen Sachverständigenrates keine Beschäftigungsoffensive, sondern eine »konzertierte Stabilisierungsaktion des Geldwertes«. Man nahm an, dass bei einer niedrigen Inflationsrate auch die Arbeitslosenrate sinke. Diese Annahme bildete die Grundlage für das Stabilitätsgesetz mit dem »magischen Viereck« aus Preisstabilität, hoher Beschäftigung, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und Wachstum.

Erst später thematisierten die viermal pro Jahr stattfindenden Treffen eine lohn- und einkommenspolitische Unterstützung der keynesianischen Wirtschaftspolitik. Dass die Reallöhne und die Beschäftigungsrate zusammen mit der Wachstums- und Investitionsrate 1970 ihren Höchststand erreichten, war allerdings auf einige erfolgreiche so genannte wilde Streiks in der verarbeitenden Industrie am Ende der sechziger Jahre zurückzuführen.

Das änderte sich mit dem Ölschock von 1973, als die Opec-Staaten ihre Fördermengen reduzierten und der Ölpreis stieg. Die Gewerkschaften akzeptierten schnell eine Lohnkürzung nach der anderen. Ihre mit jedem Arbeitslosen schwächer werdende Verhandlungsposition führte zur Anerkennung des konservativen Lohn-Beschäftigungs-Paradigmas, das da lautet: Höhere Löhne, höhere Arbeitslosenzahlen. Wie in ganz Westeuropa forderten die Gewerkschaften nur noch niedrige Lohnerhöhungen, um dafür Arbeitsplätze zu retten.

Schon damals aber war diese Strategie zum Scheitern verurteilt, denn mehr Arbeitsplätze wollten die Unternehmer nie verprechen. Während deren Gewinne in die Höhe schossen, wurde die Massenarbeitslosigkeit zum Strukturmerkmal. Als die Arbeitgeber dann auch noch gegen das Mitbestimmungsgesetz klagten, trat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 1977 wutschnaubend aus der Konzertierten Aktion aus.

Eine Neuauflage der Gespräche gab es dann 1996 unter Helmut Kohl. Wieder galt die Arbeitslosigkeit als Besorgnis erregend, wieder boomten die Exporte, wieder machten nur die Gewerkschaften Zugeständnisse und verließen das Bündnis, wütend über das von der CDU/FDP-Regierung verabschiedete Sparpaket. Dabei waren ihre Ziele alles andere als radikal. In der Konzertierten Aktion ging es ihnen noch um Mitbestimmung, um Rätemodelle und um eine andere Verteilungs- und Sozialpolitik. Das Bündnis für Arbeit unter der Regie Kohls sollte dagegen nur noch die Zahl der Arbeitslosen unter vier Millionen drücken und Zustände wie in Frankreich verhindern, wo Generalstreiks das Wirtschaftsleben 1995 lahmgelegt hatten.

Längst bekannte sich der DGB zur Standortpolitik. Bereits 1981 hatte er in Düsseldorf mit der Verabschiedung seines dritten Grundsatzprogramms eine Wende vollzogen und sich vom Antikapitalismus verabschiedet. Das vierte Grundsatzprogramm, 1996 in Dresden beschlossen, bekennt sich zu »sozial regulierter Marktwirtschaft« und zum Standort Deutschland.

Das waren beste Voraussetzungen für das Bündnis der neuen Mitte unter Gerhard Schröder. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte 1998 ihrer Klientel vorsorglich noch abgeraten, »Gewerkschaften zu umschmeicheln, denen das Bündnis mit der SPD einen Lebenstraum erfüllt«. Und tatsächlich milderte die rot-grüne Bundesregierung zunächst einige soziale Härten des Sparpakets, hob die von der Regierung Kohl zuvor beschlossene Verschlechterung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder auf und weitete die Mitbestimmung aus.

Zudem hatte der neue Anlauf Ergebnisse wie die Einführung der Greencard, die Altersteilzeit, aber auch die nun selbst von den Sozialdemokraten geforderte Lohnzurückhaltung. Die IG Metall willigte vor zwei Jahren in »moderate« Lohnerhöhungen ein, was bedeutete, dass die Löhne stagnierten, während die Arbeitslosigkeit langsam, aber stetig wieder das Niveau der Zeit vor Schröders Wahlsieg erreichte.

Im Wesentlichen herrschte also Kontinuität. So sank die Zahl der Arbeitslosen im ersten Jahr der Kanzlerschaft Schröders trotz prächtiger Konjunktur nur um 200 000 auf 3,9 Millionen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzte wie 1996 die reale Arbeitslosenzahl auf rund sieben Millionen. Das neue Bündnis sollte es nun richten. Dabei stand schon von vornherein fest, dass Zusagen von den Wirtschaftsverbänden nicht zu erwarten waren. Die DGB-Führung aber konnte auf keinen Fall Zugeständnisse in der Tarifpolitik machen, denn nach den vielen mageren Jahren war die Basis zu Recht verstimmt.

Die Interessengegensätze sind - trotz der Simulationen des wiederkehrenden Bündnisses für Arbeit - an bestimmten Punkten unüberbrückbar; sei es bei der Rentenfinanzierung, bei den Löhnen oder beim Überstundenabbau. Solange die Gewerkschaftsführung den Unmut der Basis nicht in ein entschlossenes Vorgehen umwandelt und den Streik wagt, wird das Bündnis für Arbeit ein Bündnis für Reallohnverlust bleiben, das auch den Arbeitslosen nicht hilft.