Was wusste die Regierung von der Pleite des Konzerns Enron?

General unter Beschuss

Hat die US-Regierung mit illegalen Mitteln versucht, die Enron-Pleite zu verhindern? Eine Klage soll Vizepräsident Cheney zur Herausgabe möglicherweise belastender Dokumente zwingen.

Welche Ausmaße der Skandal um den gestürzten Energieriesen Enron noch annehmen wird, ist kaum abzusehen. Die Liste der Opfer des bisher größten Firmenkonkurses in der Geschichte der USA jedenfalls wird von Woche zu Woche länger. Tausende Angestellte stehen ohne Rente da, der stellvertretende Geschäftsführer hat sich umgebracht, der Sohn des Geschäftsführers ist in ein Baptisten-Seminar eingetreten, und sogar die Schwiegermutter von US-Präsident George W. Bush hat 8 096 Dollar verloren.

»Kein politischer Skandal«, urteilt USA Today, die größte Boulevardzeitung des Landes. »Noch kein politischer Skandal«, echot es aus Regierungs- und Kongresskreisen. Doch alle paar Tage kommen Meldungen über weitere politische Figuren, die mit dem bankrotten Konzern in politisch-geschäftlichen Beziehungen standen.

Nach Informationen der New York Times hat einer von Bushs Politstrategen, Karl Rove, dem ehemaligen zweiten Mann der Christian Coalition, Ralph Reed, einen lukrativen Beratervertrag bei Enron verschafft - zu einer Zeit, als Bush sich im Wahlkampf um die Gunst der fundamentalistischen Christen bemühte. Lawrence B. Lindsey hat im Jahr 2000 mindestens 50 000 Dollar für Beratertätigkeiten bei Enron erhalten. Jetzt ist er Vorsitzender des Nationalen Wirtschaftsrates der US-Regierung. Edward Gillespie, ein wichtiger Berater im Wahlkampfteam des Präsidenten, hat im vergangenen Jahr bei Enron mehr als eine halbe Million Dollar an »Beraterhonoraren« verdient. Der Staatssekretär für Armeeangelegenheiten, Thomas White, war früher der Vizepräsident der Enron-Tochter Enron Energy Services. Er steht unter Beschuss, weil er sich, bereits im Amt, für die Privatisierung der Energieerzeugung in Militärbasen eingesetzt haben soll.

All das ist zwar anrüchig, aber immer noch legal. Die Affäre wird aber spätestens dann zu einem politischen Skandal werden, wenn sich herausstellt, dass der Konzern vor seinem Zusammenbruch aus Regierungskreisen in unbotmäßiger Weise unterstützt worden ist. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Dokumente der Arbeitsgruppe Energie des Weißen Hauses unter der Leitung des Vizepräsidenten Richard Cheney. Der ehemalige Golfkriegsgeneral weigert sich noch immer, dem Kongress Aufzeichnungen über die Sitzungen auszuhändigen. Nun hat David Michael Walker, der Vorsitzende des General Accounting Office (GAO), einer parlamentarischen Einrichtung zur Überwachung der Staatsfinanzen, die Regierung auf die Herausgabe der Dokumente verklagt.

Seitdem das Amt im Jahre 1921 geschaffen wurde, ist Walker der erste Amtsinhaber, der eine Bundesbehörde wegen mangelnder Kooperation vor Gericht bringt. Walkers GAO ist allerdings nicht die erste Organisation, die gegen das Weiße Haus in dieser Angelegenheit klagt. Bereits seit dem vergangenen Juli läuft die Klage der gemeinnützigen Anwaltsfirma Justice Watch in der gleichen Sache.

Cheney beruft sich auf das in der US-Verfassung verbriefte Recht des Präsidenten auf unabhängige Berater seiner Wahl. Sollte der Inhalt der Gespräche bekannt werden, so Cheney, würde dieses Recht untergraben, denn die Öffentlichkeit würde einen offenen Austausch verhindern. Cheney vernachlässigt in seiner Argumentation aber ein seit 1972 bestehendes Gesetz, den Federal Advisory Committee Act (FACA). Dieses Gesetz findet Anwendung, wenn eine Gruppe von zwei oder mehr Personen den Präsidenten berät und mindestens ein Mitglied dieser Gruppe nicht der Regierung angehört. In diesem Fall ist die Regierung verpflichtet, alle Vorgänge der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, Sitzungsprotokolle zu führen und dafür zu sorgen, dass in der Gruppe ein breites Meinungsspektrum vertreten ist.

Auf den ersten Blick erfüllt die Ende Januar 2001 ins Leben gerufene Energy Task Force nicht die Kriterien für die Anwendung des FACA. Offiziell sind die Mitglieder der Gruppe ausschließlich Regierungsangehörige: sechs Kabinettsmitglieder (die Minister für Landwirtschaft, Finanzen, Transport, Wirtschaft, Inneres und Energie), ein Stab aus Regierungsbeamten, sowie weitere Minister, die im Bedarfsfall zur Beratung hinzugezogen werden können.

Der Rechtsanwalt und ehemalige Berater Richard Nixons, John Dean, schreibt in einer juristischen Fachzeitschrift, dass Cheney die Energie-Gruppe absichtlich so konstituiert hat, dass FACA keine Anwendung findet. Doch, so Dean weiter, verlangen David Walker und die GAO keinerlei Informationen über den genauen Inhalt der Gespräche. Die Anklage fordert lediglich die Herausgabe einiger weniger Informationen: Sitzungstermine, die Namen der Anwesenden sowie Berichte darüber, »nach welcher Methode die Arbeitsgruppe Energie die Richtlinien für die Energiepolitik der Regierung entwickelt hat«.

Kaum vorstellbar, dass das Recht des Präsidenten auf unabhängige Berater dadurch in Gefahr gerät. Sollte sich jedoch herausstellen, dass de facto auch Privatpersonen in der Arbeitsgruppe saßen - immerhin waren bei mindestens sechs Sitzungen Enron-Vertreter zugegen - müsste das FACA angewendet und sämtliche Sitzungsunterlagen müssten nicht nur der GAO und dem Kongress, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Das wäre wohl auch im Sinne einer gründlichen Aufklärung der Enron-Affäre. Nach Recherchen der New York Times haben nämlich 212 der 248 Senatoren und Abgeordneten, die in diversen Untersuchungsausschüssen zum Thema Enron arbeiten, von Enron oder von der von Enron beschäftigten Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsfirma Arthur Andersen (Jungle World, 5/02) Wahlkampfspenden erhalten. In Washington versuchen derzeit Hunderte von Politikern, ihre Verbindungen zu Enron und Andersen herunterzuspielen oder zu kappen. Viele haben ihre Wahlkampfspenden zu gemeinnützigen Zwecken gestiftet oder in einen Spendenfonds für die durch den plötzlichen Wegfall der Betriebsrente geschädigten Enron-Mitarbeiter eingezahlt.

Auch David Michael Walkers Vergangenheit ist in dieser Hinsicht nicht ganz unbefleckt. Bevor er 1998 in sein Amt eingesetzt wurde, hat er für Andersen Consulting gearbeitet. »Richard Cheney zu verklagen, ist mir nicht leicht gefallen«, sagte Walker in der vergangenen Woche auf einer Pressekonferenz. »Aber ich muss meine Arbeit tun.«

Nicht zu klagen, würde John Dean zufolge auch einer unvertretbaren Selbstbeschneidung des Kongresses in seiner Funktion als Kontrollinstanz der Exekutive gleichkommen. Ebenso fatal wäre seiner Meinung nach eine Entscheidung zugunsten des Vizepräsidenten, von dem erwartet wird, dass er schon im Hinblick auf die Wahlen 2004 durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof gehen wird. »Wenn Vizepräsident Cheney diesen Prozess gewinnt, wird das hohe Gericht entschieden haben, dass die parlamentarische Kontrolle der Exekutive nur so weit reicht, wie es der Präsident und der Vizepräsident erlauben. Das würde eine gewaltige Umverteilung der Macht in Washington bedeuten. Selbst Ussama bin Laden könnte unserer Demokratie keinen empfindlicheren Schlag versetzen.«