Nato-Sicherheitskonferenz und Proteste in München

Hier demonstriert die Sicherheit

Während der Nato-Sicherheitskonferenz war in München die Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt. Der Rechtsstaat zeigte Härte.

Vor dem Beginn der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik machte in Polizeikreisen ein Schlagwort die Runde: die Genua-Taktik. Damit meinten die Ordnungshüter jedoch nicht die monatelange Kampagne gegen die angekündigten Proteste, in der die Medien wilde Gewaltszenarien entwarfen, und auch nicht die Strategie, ein Klima der Spannung zu erzeugen, das ihnen die Legitimation für brutale Einsätze liefern würde. (Jungle World, 4/02) Sie wollten damit sagen, dass militante DemonstrantInnen wie beim G8-Gipfel in Genua im letzten Jahr »in die Stadtteile ausschwärmen und dort Unruhe stiften« könnten.

Welcher Interpretation der so genannten Genua-Taktik man auch folgen mag, juristisch wurden Edmund Stoibers (CSU) Vorstellungen von Demokratie und Innerer Sicherheit am vergangenen Wochenende voll erfüllt. Alle Demonstrationen und Veranstaltungen unter freiem Himmel, die gegen die Sicherheitskonferenz gerichtet waren, wurden mit dem Hinweis auf mögliche Ausschreitungen kurzerhand verboten. Auch der kleinste Protest sollte nach den Worten des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD) »im Keim« erstickt werden.

Und dennoch demonstrierten mehrere tausend Menschen am Samstag ungeachtet aller Verbote gegen die Konferenz, an der rund 250 Politiker, darunter zahlreiche Außen- und Verteidigungsminister, sowie Militärexperten aus 43 Ländern teilnahmen. Ein »Bündnis gegen die Nato-Sicherheitstagung« mit Gruppen aus der Schweiz, Deutschland und Italien rief dazu auf, »gegen das Treffen der Welt-Kriegselite« zu demonstrieren und die »Kriegspolitik der Nato-Staaten« zu stoppen. Mit einer Veranstaltungsreihe, Kundgebungen und Demonstrationen wollte das Bündnis die nach dem Krieg in Afghanistan gesteigerte Brisanz der Sicherheitskonferenz thematisieren.

Das sahen sie nicht besonders gerne, die Verantwortlichen in München, das sich so gerne als Weltstadt präsentiert. Schon Wochen vorher zeichnete sich ab, dass Ude und Co. jedes Mittel recht sein würde, den OrganisatorInnen der Proteste Schwierigkeiten zu bereiten. Wie konsequent sie jedoch über die wahre Beschaffenheit der viel beschworenen »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« aufklären würden, war nicht unbedingt vorhersehbar.

Bereits Mitte Januar quittierte der von der CSU unter Druck gesetzte Ude die Forderung des Bündnisses, Unterkünfte für die DemonstrantInnen bereitzustellen, mit der Bemerkung: »So weit kommt's noch, dass wir unsere Störer beherbergen oder bewirten.« Danach begann die Stadtverwaltung, systematisch die Betreiber aller Einrichtungen und Projekte zu bedrängen, die in die Vorbereitung der Protestaktionen einbezogen waren.

So wurde den OrganisatorInnen das Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität als Veranstaltungsort verweigert, dem »Eine-Welt-Haus« wurde signalisiert, dass es jegliche finanzielle Unterstützung der Stadt verlieren würde, wenn die dort geplanten Veranstaltungen und Vorbereitungstreffen durchgeführt würden. Mit demselben Druckmittel verhinderte die Stadt ein Benefiz-Konzert für das Protestbündnis im Kulturprojekt »Kafe Kult«.

Am vergangenen Donnerstag wurden dann die Räume des Münchner Infoladens durchsucht. Den Vorwand dazu gab ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten. Sämtliche Computer und Faxgeräte wurden beschlagnahmt. Doch bei der Behinderung der Infrastruktur des Bündnisses ließ es die Polizei nicht bewenden. Am Tag der Durchsuchung wurde ein Pressesprecher des Vorbereitungskreises, der in der Flüchtlingshilfe aktive Hans Georg Eberl, in den so genannten Unterbindungsgewahrsam genommen, wo er bis zum Ende der Konferenz blieb.

In der Nacht zum Freitag bestätigte dann der bayerische Verwaltungsgerichtshof das Verbot aller Protestveranstaltungen unter freiem Himmel im gesamten Stadtgebiet. Begründet wurde die Entscheidung damit, eine zu erwartende große Anzahl militanter Globalisierungsgegner auch aus dem Ausland werde die öffentliche Sicherheit gefährden. Mit anderen Worten: Demons-trationen sind nur noch dann erlaubt, wenn sie wegen der geringen Teilnehmerzahl wirkungslos bleiben.

Trotzdem kam es bereits am Freitag zu einer spontanen Kundgebung auf dem Marienplatz, die von der Polizei aufgelöst wurde. Dabei wurden 350 Menschen festgenommen. Aber auch am Samstag gab es wieder Proteste. Trotz eines Polizeiaufgebots von mehr als 3 500 Beamten, trotz der Drohungen des Polizeipräsidenten Roland Koller, hart durchzugreifen, widersetzten sich Tausende dem Demonstrationsverbot. Auf dem Weg zu einer für Samstagmittag angekündigten Pressekonferenz wurde dann der Mitinitiator des Bündnisses, Claus Schreer, festgenommen.

Auf dem Marienplatz hatte sich inzwischen jedoch eine heterogene Gruppe von Protestierenden eingefunden, die sich allen Versuchen der Polizei, die Menschenmasse zu zerstreuen, widersetzte. Es kam zu einer Spontandemonstration, die erst nach mehreren hundert Metern von der Polizei gestoppt werden konnte. Die Sicherheitskräfte bildeten mehrere ihrer berüchtigten »Kessel«. Dabei wurden die Eingeschlossenen teilweise mit Pfeffergas und Schlagstöcken malträtiert. Trotzdem gelang es den DemonstrantInnen bis in die Abendstunden immer wieder, sich zu spontanen Demos zusammenzufinden.

Vor allem wenn keine Kameras in der Nähe waren, ging die Polizei brutal mit Schlagstöcken gegen die NatogegnerInnen vor. Als sich gegen 18 Uhr eine größere Menge Richtung Tagungsort bewegte, wurden 300 Personen eingekesselt und in Gewahrsam genommen. Ein Polizeisprecher meinte dazu: »Diese Leute haben sich hier widerrechtlich versammelt, nicht wir.« Das Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz sah das ein wenig anders. In einer Presseerklärung hieß es: »Rassismus, Krieg und Polizeistaat - ist das die Vorstellung von Demokratie, die der 'freie Westen' mit seinen Soldaten und Kampfbombern in alle Welt exportieren will?«

Edmund Stoiber dagegen dürfte stolz auf sich gewesen sein. Einmal mehr war der Beweis gelungen, dass das Demonstrationsrecht kein tragender Pfeiler der bayerischen Verfassung ist. Selten zuvor gab es eine vergleichbare Kampagne, die ein breites Protestbündnis so konsequent und mit allen verfügbaren Mitteln kriminalisierte wie anlässlich dieser Sicherheitskonferenz. Der Kanzlerkandidat hat seine Visitenkarte abgegeben.

Stoiber sprach auch auf der Konferenz, und zwar zum Thema Sicherheitspolitik. Bedingt angriffsfähig - so könnte man seine Kritik an der militärischen Leistungsfähigkeit Deutschlands in eine Formel fassen. Er forderte eine deutliche Erhöhung des Rüstungsetats. Die gewachsenen Verpflichtungen könnten nur erfüllt werden, »wenn wir unsere Armee entsprechend ausstatten«. Denn der Bayer ist neuerdings auch um die Wahrung großdeutscher, ja sogar europäischer Interessen bemüht: »Wir Europäer dürfen uns nicht nur auf die Amerikaner verlassen.« Der technologische Abstand zu den USA sei viel zu groß.

Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping pflichtete ihm da bei. Er gestand in seiner Rede auf der Konferenz die militärische Schwäche Europas ein, kritisierte aber zugleich »die mangelnde Bereitschaft unserer amerikanischen Freunde, transatlantische Projekte zu verwirklichen und Technologietransfer durchzuführen«.

Die US-amerikanischen Vertreter auf der Münchner Konferenz verrieten indes ihr nächstes Ziel im »Krieg gegen den Terror«. »Ein Terrorist residiert in Bagdad«, verkündete Senator John McCain. Stoiber drückte es anders aus. »Militärische Optionen sind notwendig zum Schutz der Friedens- und Menschenrechte«, sagte er, während 850 DemonstrantInnen in Münchner Zellen auf ihre Freilassung warteten.